Unteruhldingen. Mein Gott...

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jsachers

Beitrag von jsachers »

S. Crumbach hat geschrieben: Warum nicht eine Bandbreite zeigen? Das ergibt auch die Möglichkeit Präsentationen zu Entwicklungslinien zu zeigen.
Das ist es letztlich, was für mich "Geschichte" bedeutet, weswegen ich auch mit Epochengrenzen nicht viel anfangen kann. Und besonders interessant wird es ja immer dann, wenn Dinge "wiederentdeckt" werden, die Jahrhunderte zuvor schon einmal bekannt waren.
Genau da haben Freilichtmuseen, ArchäoParks oder was auch immer m. M. ein riesiges Potential, nämlich diese Entwicklungslinien anSCHAUlich und beGREIFbar zu machen ? im Bauwesen, in der Mode oder z. B. auch in Beleuchtung, Heizung, Ackerbau (da gibt es z. B. einen Film über den Vergleich zw. Pferd und Ochse beim Pflügen ?) usw.

Grüße,
-j-
Mela
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Beitrag von Mela »

Hallo Gunter,

nein, schon klar - ich kenne die Sachzwänge im Museum (und kenne mindestens eine Gruppe, die auch für den hehren Zweck nicht auf "Gage" verzichten wird :wink: ).
Ich sehe halt nur auch oft die andere Seite - und kenne viele Familien, für die das durchaus ein Hinderungsgrund sein kann (da geht man dann halt doch eher an einen weniger "komplizierten" Ort, wo man evt. das Programm schon kennt etc... Gerade für "eher selten im Museum-Familien" ist das Preisargument oft ein schlagendes.)

Den Ansatz mit den "Gratiskindern" finde ich übrigens gut - Erwachsenpreise finde ich nämlich meist okay.
Auch noch eine Anregung, die mir andernorts extrem gefallen hat: das Museum Bern (ansonsten UNGLAUBLICHE Preise, die scheinen zu glauben, sie seien der Louvre :shock: ) hat eine Grillstelle eingerichtet, mit Bierbänken, Holz und etwas Platz rundherum. Damit spart eine Familie natürlich enorm.

Liebe Grüsse

Mela
Claudia
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Beitrag von Claudia »

Ich denke, es ist weniger die Frage, ob man um "Raum zu füllen", Gruppen aus anderen Epochen nimmt oder nicht (je nach Konzept der VA kann das durchaus der Sinn des Ganzen sein), sondern ob man um "Raum zu füllen", Gruppen dazunimmt, deren Qualität nicht dem Level entspricht, was man (und nicht zuletzt auch der Besucher) in einem Museum erwarten kann (und sollte).

Bandbreite über die Zeit kann je nach Konzept der VA sehr reizvoll und interessant sein.
Wenn es allerdings im Hinblick auf Qualität eine zu große "Bandbreite", sprich zu starke Ausreißer nach unten gibt, ist das sowohl für die restlichen Teilnehmer als auch für die Besucher unerfreulich.
pinguin

Beitrag von pinguin »

Es stellt sich die Frage, ob multithematische Veranstaltungen aus Sicht der Museumspädagogik überhaupt sinnvoll sind oder ob eine Zeitbeschränkung, allenfalls ein dialektischer Gegensatz zwischen Steinzeit/Bronzezeit oder Kelten/Römer besser für das Verständnis wären. Es besteht die Gefahr, daß bei zu viel Information die Differenzierung beim Besucher nicht mehr gelingt. Aber hier müßte vielleicht noch auf der konzeptionellen Seite überlegt werden. - oder ?
Thomas Trauner

Beitrag von Thomas Trauner »

Pinguin, so würde ich es auch gerne sehen.

Unsere Erfahrungen in der NHG sind bestimmt nicht unbedingt immer typisch oder einfach so zu übertragen, aber wir stellen immer wieder fest, sei es bei Veranstaltungen oder auch nur bei Führungen im Museum, dass viele BesucherInnen nicht wirklich über genug Vorinformationen verfügen, um multithematischen Veranstaltungen folgen zu können.
Das soll um Gottes Willen keine Besucherbeschimpfung sein.

Auch wenn es vielleicht ?altbacken? oder ?überkommen? ist, glaube ich trotzdem, dass eine chronologische Differenzierung immer noch wichtig ist, quasi als Vorsortierung.

Die NHG unterstützt z.b. einen kleinen Vorgeschichtsverein im Landkreis Roth, südlich von Nürnberg einmal jährlich bei deren Veranstaltung, die sich natürlich weder im Aufwand noch bei den Besucherzahlen oder gar Bedeutung mit der letzten Veranstaltung in Unteruhldingen vergleichen lässt.
Der Punkt ist, dass der Verein dort sowohl ein metallzeitliches Gebäude als auch ein neolithisches Gebäude stehen hat und wir deshalb beide Zeiten abdecken.
Zusätzlich kommen immer noch gerne ein paar Römer (der Limes ist in der Nähe..) und ein paar Germanen (vom naheliegenden Römer-und Germanenmuseum).
Wir belassen es dabei, einfach wegen des lokalen Bezugs und der historischen gewachsenen Kontakte.

Aber es ist immer sehr, sehr schwierig dem p.p. Publikum den Unterschied klar zu machen, trotz räumlicher Trennung der ?Gruppen?, trotz Tafeln etc.

Andererseits beschränkt sich Dr. David vom Manchinger Museum auf Kelten und Römer und fährt gut damit.
Langer Rede, kurzer Sinn:
Ich würde einen relativ schmalen chronologischen Abschnitt, der sich dann aber in Tiefe ergeht, bevorzugen. Ich glaube, das ist für das Publikum eingängiger.

Just my two cents.

Thomas
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Dago
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Beitrag von Dago »

Ich sehe es so das es das Vernümpftigste wäre die Veranstalltung auf die vom Museum behandelte Zeit zu konzentrieren. Also Jungsteinzeit, Bronzezeit und ev. frühe Eisenzeit. Das kann auch Überregionale Darstellung sein.
Das Konzept ein Spectakel zu machen halte ich für grundsätzlich falsch, da dies dem Besucher ein falsches Bild vermittelt.
Lieber eine kleine aber feine Veranstalltung als etwas was es überall gibt.
Grüsse
Thorsten Seifert
Man kann aus Geschichte nur lernen

Neue Erkenntnise entstehen nur durch das Studieren von Funden
Joze

Beitrag von Joze »

In unserem Museum in Ljubljana wird am Museumstag auch "nur" Steinzeit präsentiert und deswegen "brauchen" die keine Kelten ... :(

Joze
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Steve Lenz
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Beitrag von Steve Lenz »

Meiner Meinung nach schaltet der Besucher im Falle eines (zu) breiten Informationsspektrums je nach Vorbildung und "Nehmerqualitäten" irgenwann ab und konsumiert dann nur noch "Oberflächen" (Ausrüstung, Auftreten - klassifiziert von "spektakulär" abwärts), sind aber nicht mehr in der Lage, das "Dahinterliegende" rentabel aufzunehmen.

Am Beispiel des Standortes Pfahlbaumuseum Unteruhldingen, welches auch unbemannt eine hohe Informationsfülle bietet gesprochen dürften hier nicht zeit-/ ortbezogene Darstellungen vom eigentlichen Zweck (Museumsauftrag) ablenken/ wegführen. Es sei denn:

1. Man kann es in Bezug mit der allgemeinen Lage (Bodensee, archäologische Befunde, etc.) setzen.

2. Räumlich klar trennen.

Die Eröffnung des Kelten Römer Museums in Manching hätte mir persönlich besser gefallen, wenn man die einzelnen Gruppen chronologisch gestaffelt hätte: Der Besucher betritt das Gelände bei der Steinzeit, wechselt in die Bronzezeit und so weiter.

Aber ungeordnet und nach Gruppenplatzbedarf orientiert ist das zwar ein buntes Kaleidoskop, aber auf die einzelnen Komponenten kann man nur mit erhöhtem Aufwand fokussieren.

Deswegen fand ich "Tempus - Zeit erleben" in Dorstadt so gelungen: Größtenteils (!) nicht in Bezug zueinander setzbare Zeitinseln, generierter Entdeckungsfaktor, Zwischenräume zum "Rebooten", Infotafeln, Karte mit Kurzvorstellungen, Frage/ Antwort-Standups, gute Orga, gute Darsteller -> Viel Platz!

Und wenn man nicht so viel Platz hat muss Platz geschaffen/ gesichert werden: In dem man die Menge der (aktiven) Informationsträger entweder durch Limitierung der Darstellungen oder Gruppenstärke auf ein ressourcenfreundliches Maß runterbricht und/ oder gleichzeitig Löcher mittels (passiven) Informationsmitteln kompensiert.

Klartext:

Gruppen ohne deutlich merkbarem ernsthaften Anspruch passen a) nicht zum Event/ in die Lokalität, b) kosten Geld, das c) anderswo vorteilhafter gewesen wäre, d) rauben (sic) Raum, der e) wiederum entweder hätte offengelassen oder an geeignetere Anbieter (intern, extern) vergeben werden können.
Aus den Augen - aus dem Sinn.
Thomas Trauner

Beitrag von Thomas Trauner »

Schöner, durchdachter Text, Steve. Das wäre wirklich der Idealfall....

Thomas
Joze

Beitrag von Joze »

Thomas, hast recht! Ich mag den Steve eben deswegen sehrr, weil er so klardenkender und fachlich sehr talentierter Mensch ist! :) Ich bin immer wieder und wieder positiv überrascht hier in diesem Forum mit echt guten Diskussionen! :)

Joze
pinguin

Beitrag von pinguin »

Chronologische Ordnungen passen gut zu unseren Lehr- und Lernmustern wobei ich die jüngeren unter uns ausnehmen möchte, die hier schon anders Zusammenhänge erfasst haben. In der Pädagogik oder dem Tourismus setzen sich heute immer mehr chorologische oder thematische Ordnungen durch, sodaß ich in der Stevschen Kette Naturraum-Chronologie-Inhalt nur einen der möglichen Wege sehe. Spannend sind auch Ketten wie Töpferei vom Neolithikum bis in die Neuzeit oder Gewänder vom Lendenschurz bis zum Kettenhemd, die diskursive Folgen und somit auch das etwas kompliziertere differenzierende Lernen herausfordern. Das ist vielleicht viel verlangt und manchmal muß man mit allem personellem Einsatz im Museum auch zufrieden sein, wenn man den Säbelzahntiger von Fred Feuerstein und den Sauriern im Vergleich zu den Steinzeitmenschen in den Köpfen der Kunden trennen konnte. Aber Mann/Frau sollte vielleicht versuchen -und das war ja auch eine der Ideen hinter dem Uhldinger Event- besseres und schlechteres oder -vermittlungsstärkeres und schwächeres- entscheiden zu können. Wir haben viel gelernt und sind noch nicht am Ende damit. Fortsetzung folgt bestimmt. Spätestens nach der Vorlage der Evaluationsergebnisse der beauftragten Studierenden. :idea:
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Steve Lenz
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Beitrag von Steve Lenz »

"Stevsche Kette" - klingt gut! :wink:
Aus den Augen - aus dem Sinn.
KatrinA

Beitrag von KatrinA »

@pinguin und viele, die die chronologische Sortierung als altbacken und langweilig empfinden: das ist sie vielleicht manchmal, aber für mich ist es immer noch eine der besten Arten der Präsentation.
Das schließt themenorientierte Präsentationen nicht aus (ich erinnere mich mit Freuden an eine VA des LVR zum Thema "Feuer", wo ein Herr das Feuermachen mit Flint von der Steinzeit bis zum 19.-Jh.-Feuerzeug vorstellte).
Aber, wie in diesem Thread auch schon erwähnt wurde, wir, die wir eher vom LH-Hobby her kommen und z. T. langjährige Erfahrung mit "Mittelaltermärkten" und dergleichen haben, machen halt sehr oft die Erfahrung, dass gerade das zeitliche Einordnen bei sehr vielen Besuchern massiver Unterstützung bedarf, weil einfach das Wissen nicht da ist. Nicht schlimm, dafür machen wir unsere Vorführungen ja ;-) - aber gerade die Irgendwiemiddelalderspectaculi führen leider zu einer Art "Grundrauschen" im Kopf der Leute, das alles, was irgendwie alt und urig erscheint, zu Mittelalter erklärt.

Und um diesem Grundrauschen entgegenzuwirken, halte ich es für sehr wichtig, dass die Information "dies war zu dieser Zeit gebräuchlich, das hatten sie damals noch nicht, erst im xx. Jahrhundert kam yy. auf" bei musealen Präsentationen des Lebens vor soundsoviel Jahren sehr oft und sehr deutlich zum Tragen kommt.

Das muss die Präsentation einer Mittelaltergruppe auf dem Gelände eines Steinzeit-Freilichtmuseums nicht ausschließen, im Gegenteil, es ermöglicht gerade, interessante Gegensätze herauszuarbeiten. Aber dieses Herausarbeiten muss dann auch geleistet werden.

Grüße
von der Frau, die auf jeder VA geschätzte 2.728mal erklärt, dass es im Frühmittelalter noch keine Spinnräder gab....
jsachers

Beitrag von jsachers »

KatrinA ? ich fühle mich jetzt einfach mal angesprochen:
Ich bin um Himmels Willen NICHT gegen eine chronologische Sortierung, nur halte ich die strikte chronologische TRENNUNG nicht immer für sinnvoll.
Im Wesentlichen stimme ich Dir zu, besonders was das "Grundrauschen" (schöner Ausdruck!) betrifft. Man glaubt gar nicht, wie viele Menschen der Meinung sind, die Antike dauerte bis Christi Geburt und das MA bis 1848 ? oder so ähnlich.
Andererseits hat man aber bei der Themenstellung "Steinzeit" oder "Mittelalter" automatisch schon eine Entwicklung eingeschlossen: FrühMA ist eben nicht nur in Sachen Spinnen etwas anderes als Hoch- oder SpätMA, und das Paläo- unterscheidet sich erheblich vom Neolithikum ? sonst gäb's ja auch nicht diese Abgrenzung. Da besteht also allein schon das Risiko, dass in den Köpfen hängen bleibt: "In der Steinzeit lebten die Neanderthaler, die hatten Faustkeile, Einbäume und Bögen, pflanzten Emmer und Einkorn und wohnten in Holzhütten ?" So wie Wikinger und Ritter, Sax und Langschwert, Topfhelm und Hundsgugel, Spinnwirtel und Spinnrad usw. usf. eben alle irgendwie "Mittelalter" sind.
Wie sieht die Lösung aus?
Ich kann es nicht sagen, ich denke nur, es kann manchmal sinnvoller sein, diese Unterschiede zu thematisieren, die Entwicklungen aufzuzeigen und darauf hinzuweisen, dass Epochengrenzen eben mitunter etwas willkürlich sind und sich durchaus nicht auf alle Lebensbereiche erstrecken. Niemand ist in der Antike zu Bett gegangen und im Mittelalter aufgewacht!
Im Umkehrschluss nur noch Neolithikum bzw. nur noch FrühMA bzw. nur noch 1848-1871 darzustellen halte ich weder für praktikabel noch für sinnvoll. (Für Gruppen schon, nur nicht für Museen bzw. Veranstalter.)

Das soll jetzt umgekehrt natürlich NICHT bedeuten, dass in sämtlichen Freilichtmuseen alle Epochen ständig vertreten sein sollen ? das würde in der Tat das "Grundrauschen" nur verstärken, den Besucher überfordern und nicht dem Verständnis dienen. Aber wenn man sich einen kleinen Themenbereich raussucht ? Beleuchtung, Spinntechnik, Bronzeguss oder was auch immer ? und diesen in seine Jahrhunderte währenden Entwicklungsstrang darstellt, möglichst rückgebunden an das erforderliche Umfeld (Spinnen -> Schafzucht, Wachskerzen -> Imkerei), kann man IMHO beim Besucher ein tieferes Verständnis erlangen und gewissermaßen sein Auge und seinen Verstand für solche Entwicklungen und Unterscheidungen schulen.
Und das dürfte auf lange Sicht (hoffentlich) erfolgreicher sein, als wenn Du noch 200 mal erklärst, dass es im FMA keine Spinnräder gab, auf dem nächsten MA-Markt aber doch wieder eines zu sehen ist und die Leute sagen: "Siehste! Diese KatrinA hat einfach keine Ahnung ? "* Man glaubt ja lieber das, was ins eigene Weltbild passt, und das historische Weltbild eines großen Teils der Bevölkerung ist ziemlich verdorben ? DARAN muss man arbeiten, mit allen verfügbaren Mitteln und Methoden!

Grüße,
-j-

* Was natürlich nicht heißen soll, dass Du die Leute nicht über ihren Irrtum aufklären sollst!
pinguin

Beitrag von pinguin »

Auf der website

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de ... te/id=2911

ist jetzt ein weiterer Tagungsbericht gesetzt. Empfehlenswert ist dort das Nachlesen aller Veranstaltungen von Kiekeberg bis Freiburg zum Thema "Lebendige Geschichte".
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