Glätt- und Poliersteine

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Fridolin
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Glätt- und Poliersteine

Beitrag von Fridolin »

Wozu wurden Glätt- und Poliersteine im Alt- und Mittelneolithikum eigentlich verwendet? Diese Frage ergab sich vor ein paar Tagen als auf einer Grabung (u.a. mit ältester Bandkeramik) solch ein Fragment aufgelesen wurde. Eine UFG-Doktorandin meinte, ich solle mich an einen Spezialisten wenden. Na prima!

Nun, insgesamt betrifft es die rundlich-ovalen Flusskiesel von durchschnittlich Walnussgröße, die aus porenfreien Hartgesteinen - meist Quarz oder dicht verkieselter Quarzit - bestehen. An Gebrauchspuren lassen sich mit der Lupe (besser Binokular) Scharen von subparallelen Kratzern beobachten, manchmal findet man auch glänzend polierte Stellen. Ansonsten sind die Flusskiesel völlig unscheinbar. (Stark abgeschliffene Stücke kenne ich bisher nur von metallzeitlichen Fundstellen).

Bekanntlich wurde die Oberfläche von Keramik geglättet und manchmal extrem stark poliert. Dabei wurden hervorstehende große und harte Magerungspartikel aus Granit, Quarz etc. im wahrsten Sinne des Wortes „platt gemacht“. Aber gibt es noch andere Materialien, die mit solchen Kieseln zusammen mit irgendwelchen Poliermitteln bearbeitet werden können? Was ist mit Knochen oder Holz (z.B. Holzgefäße)? Steinbeile wurden ja ebenfalls poliert. Die Frage ist, ob man dazu Kieselsteine hernahm oder nicht doch eher Steinplatten.

Habt Ihr ’ne Idee?

Viele Grüße

Fridolin
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ulfr
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Beitrag von ulfr »

Denkbar wäre ein Einsatz bei der Ausarbeitung von konkaven Bereichen an Steingeräten, Stellen, an die man mit einer Steinplatte nicht so gut rankommt, also z.B. die Absätze bei Scheibenkeulen.
Bei einer Verwendung auf Holz dürfte je nach Holzart ebenfalls eine Art Politur zu erwarten sein, wenn auch vielleicht nicht so stark wie beim Gniedeln von Keramik.
"Wenn Sie stolz sein wollen auf Ihr Volk, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers".
Hubertus Meyer-Burckhardt
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Sikla
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Kalk

Beitrag von Sikla »

Kalk kann auch geglättet werden.... heute nennt sichs tadelakt http://de.wikipedia.org/wiki/Tadelakt

Viele liebe Grüße, Sina
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Vielen Dank zu Euren Einschätzungen.
Nun, ich hielt das Glättsteinfragment für ältestbandkeramisch und hatte gehofft, ein Indiz für Keramikproduktion vor Ort zu erhalten. Leider handelt es sich nur um einen Streufund, der ausgerechnet in einem Bereich aufgelesen wurde, in dem sich bandkeramische und mittelneolithische Befunde überschneiden.

Na ja, die Befunde, die sich auf der bisher abgeschobenen Fläche abzeichnen sind nicht alltäglich: Mehrere (konzentrische?) Palisadengräben stehen wohl im Zusammenhang mit einer riesigen mittelneolithischen Dorfanlage (ca. 30 Hektar) und es gibt auch das eine oder andere vermutlich bandkeramische Grab. Das Bayerische Fernsehen wurde bereits eingeschaltet. Führungen sind geplant.
In der kommenden Woche werde ich mehr von der Grabung berichten können.

Viele Grüße

Fridolin
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LS
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Beitrag von LS »

Durch das Polieren der Keramik entsteht zum Teil eine Quarzpalisadenschicht auf der Oberfläche, was die Haltbarkeit der Gefäße wesentlich verbessert. Das lässt sich m. E. am besten mit einem Polierkiesel erreichen. Wäre interessant, dazu auch passende Scherben mit glänzender Oberfläche zu haben in derselben Siedlung. Wie sieht´s denn damit aus?

Gruß L.
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Dr. Seltsam hat geschrieben:Wäre interessant, dazu auch passende Scherben mit glänzender Oberfläche zu haben in derselben Siedlung. Wie sieht´s denn damit aus?



Hallo Dr. Seltsam,
die ausgegrabenen Scherben müssen noch gewaschen werden. Hoffentlich geschieht dies bald, noch vor dem Austrocknen!.

Den Begriff „Quarzpalisadenschicht“ kenne ich nicht. Was versteht man darunter?

Viele Grüße

Fridolin
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LS
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Beitrag von LS »

Den Begriff hat der Geologe W. Gauger eingeführt für überkieselte (oberflächig glänzende) Feuersteinartefakte. Bei Keramik vermute ich da eigentlich etwas anderes, es gibt aber noch keine Untersuchungen und daher auch keinen Begriff. Ich habe seit Jahren polierte Scherben in der Schublade liegen, bin aber auch nie dazu gekommen sie unter dem REM anzuschauen. Details können wir gern mal per PM austauschen.

Gruß L.
JolandaRingelblume

Beitrag von JolandaRingelblume »

Hinweise auf die Keramikbearbeitung geben eventuell die Kratzspuren.

Um gute Ergebnisse beim Glätten/Polieren/Gniedeln zu erhalten, sollte man konzentrisch arbeiten. Das würde dann auch eher konzentrische Kratzspuren ergeben.

Viele Grüße,
Jol
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Sikla
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Dachbodenfund

Beitrag von Sikla »

Auch ein Glättstein, aber größer und vermutlich aus der Textilherstellung (19. Jhd) - definitiv nichts steinzeitliches - aber auch interessant....

Viele liebe Grüße, Sikla

http://picasaweb.google.com/lh/photo/Ev ... directlink

http://picasaweb.google.com/lh/photo/aS ... directlink
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Danke für Eure Hinweise.

Sina, moderne Glättsteine aus Glas waren mir bekannt, aber Deine Stücke sind ja ebenfalls aus Quarz. Wenn tatsächlich damit textile Stoffe bearbeitet wurden sollten sie keine Kratzspuren besitzen, aber vielleicht Polituren?

JolandaRingelblume hat geschrieben:Hinweise auf die Keramikbearbeitung geben eventuell die Kratzspuren. Um gute Ergebnisse beim Glätten/Polieren/Gniedeln zu erhalten, sollte man konzentrisch arbeiten. Das würde dann auch eher konzentrische Kratzspuren ergeben.

Bisher konnte ich nur lineare Kratzspuren bzw. polierte Bereiche beobachten, aber wegen zu geringer Stückzahlen sind meine „Untersuchungen“ natürlich nicht repräsentativ.

Dr. Seltsam hat geschrieben:Ich habe seit Jahren polierte Scherben in der Schublade liegen, bin aber auch nie dazu gekommen sie unter dem REM anzuschauen. Details können wir gern mal per PM austauschen.

Gute Idee. Ich muss mal nachsehen, ob ich noch Keramik mit angeschliffenen Quarzen habe. Und an die Mikrosonde muss ich demnächst ohnehin mal wieder...

Viele Grüße

Fridolin
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Sikla
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Glättsteine

Beitrag von Sikla »

Hallo Fridolin, genauso erging es mir auch.

Die Überlegung, dass der eine Glättstein aus dem Textilbereich kommt, ist jedoch unsicher, da es sich um einen Dachbodenfund handelt und die Einwohner im 18./19. Jhd fast ausschließlich in der Textilbranche zu tun hatten. In den "ungeschliffenen" Bereich haben sich dünne Schichten erhalten, welche den Eindruck von Farbe machen - Färberei, Druckerei ... ?

Falls Du das Ding für einen Vergleich mit in Deine eventuellen Untersuchen einbeziehen möchtest - einfach Bescheid sagen... Kein Problem.

Viele liebe Grüße, Sikla
Andreas K.
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Beitrag von Andreas K. »

Bei "Glättsteinen" aus Dachbodenfunden des 18.-20. Jh. muss man allerdings auch noch andere Nutzungsmöglichkeiten bedenken. So schlägt Mrs Beeton, die englische Haushaltsschriftstellerin des 19. Jahrhunderts vor, man solle sich zum Entrosten und Polieren der Feuerböcke im Kamin von der Straße mittelgroße Kieselsteine aufsammeln und das Metall damit polieren. Wenn Farbreste dran sind, dürfte diese Nutzung natürlich eher unwahrscheinlich sein.
Geschichte geht durch den Magen
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