Bäume fällen mit dem Dechsel

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FlintSource
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Beitrag von FlintSource »

@ Chris: kein Stress, das brauchen wir nicht, es wäre schön wenn du es vor den dunklen Tagen noch schaffen würdest die mit Sicherheit vorhandenen Dopplungen auszusortieren und das Zeug hochzuladen, damit wir unterm Weihnachtsbaum etwas über das Fällen von Bäumen zu lesen haben.

@ allen: wenn noch mehr Listler Chris in den letzten beiden Wochen so mit Literatur eingedeckt haben wie ich, dann ist Endjahresstress vorprogrammiert. Gut Ding hat Weil, freut euch auf eine einmalige und extrem ausführliche Digitalbibliothek mit allem drin, von Forschungsgeschichte (zB Pflugversuchen mit Ziegenbock und Schuhleistenkeil) bis Aktualität.

@ Rolf Peter: Weihnachtsurlaub hätte ich gerne....fällt dieses Jahr wohl ersatzlos aus, aber immerhin mit unverabschiedenden Grüßen von der Kältefront in DD.
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LS
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Beitrag von LS »

Dann will ich doch mal wieder den Hype-verdächtigen Fred auf die Intro-Seite befördern...:-)

Wie neulich zu lesen war, stellt es bei einigen der Beteiligten offenbar die Nackenhaare auf, wenn das Wort Schuhleistenkeil verwendet wird. Ich persönlich habe völlig positive Assoziationen und Kindheitserinnerungen an diesen Begriff, waren die irgendwie geheimnisvoll klingenden Schuhleistenkeile doch mit die ersten Objekte, die ich als Bengel auf dem Acker gefunden habe.
Trotzdem gebe ich zu, dass Schuhleistenkeil wohl formentechnisch nur eine Minderheit der neolithischen Dechsel treffend beschreibt. Sinnhaftigkeit sehe ich nach wie vor für den schmalhohen Typ der Bandkeramik, was in Mitteldeutschland (zum Beispiel von Kaufmann, Behrens und Preuss) auch stets so verwendet wird. Kaufmann verwendet den Begriff offenbar sogar vorzugsweise, um durchlochte Formen der Stichbandkeramik von Flachdechseln abzugrenzen, was allerdings eine persönliche Sinnverschiebung ist.
Anders gefragt: wie allgemein ist der Begriff noch in Verwendung, über Mitteldeutschland (vor allem Halle) hinaus?

Zur Befriedung der Begriffe: In der WP wird es demnächst einen neuen Artikel "Dechsel (Steinzeit)" geben, und der Artikel "Schuhleistenkeil" wird zum großen Teil dorthin verlagert. Dass der Begriff forschungsgeschichtlich relevant ist, sollte allerdings unbestritten bleiben.

Gruß L
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FlintSource
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Beitrag von FlintSource »

Lectori Salutem!
Nicht nur sind Schuhleistenkeil und Flachhacke forschungsgeschichtlich durchaus wichtige Begriffe, sie lesen sich auch angenehmer als hoch-smal und flach-breit oder mittelhoch. Es ist nur die Frage, wie man mittelhohe Dechselklingen (mit einer Höhen-Breiten-Index von ca. 70 bis 100) bezeichnet. Ich plädiere dafür, für diese Stücke den forschungsgeschichtlich ebenso wertvollen Begriff ‚Flombornkeil’, in Abgrenzung zu den richtigen schmal-hohen (HBI > 100) ‚Hinkelsteinkeilen’, wieder zu verwenden. Ich habe in den vergangenen Wochen mal (wieder) einige Gräberfelder nebeneinander gelegt und der Tendenz zu ‚Hinkelsteinisierung’, i.e. die höhere Geräte (= Schuhleistenkeile) werden tatsächlich mit der Zeit deutlich schmal-höher, ist und bleibt eindeutig. Zwar nicht für das individuelle Stück, aber durchaus für größere Ensembles. Also kann man die Einteilung wie von Reinerth 1923 (abb. 39 & 40 ff, 51-53, demnächst verfügbar in der Projektbibliothek), basierend auf Koehl 1903 (nicht für die Projektbibliothek vorgesehen, eventuell nachzuliefern), vorgeschlagen eigentlich ohne größere Modifikationen beibehalten. Es lest sich sicherlich bequemer als Typ I, II, III, manchmal IV, auch bis V und VI, wobei man ständig wieder nachschlagen muss, ob die typologische Einteilung von Schietzel, Modderman, Farruggia, Bakels, Nieszery oder Ramminger gemeint ist und wie sich die einzelnen Typen genau definieren.
Mit weihnachtlichen Grüßen,
Rengert


Reinerth 1923: H. Reinerth, Typologie/II. Die Steinwerkzeuge. Aus: Die Chronologie der jüngeren Steinzeit in Süddeutschland. (Augsburg, 1923), 41-58
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ulfr
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Beitrag von ulfr »

Die Dänen nennen die Dinger skolæstøkse, also Schuhleistenaxt.

Es gibt übrigens mindestens 5 Stück davon auf dem westseeländischen Ertebølle-Fundplatz Åmosen (Fischer, A. 1982a: Trade in Danubian shaft-hole axes and the introduction of Neolithic economy in Denmark. Journal of Danish Archaeology 1) und (Fischer, A. 1983: Handel med skolæstøkser og landbrugets indførelse in Danmark. Aarbøger for Nordisk Oldkyndighed og Historie 1981):

"Es handelt sich um Äxte mit Schaftloch aus einer charakteristischen gestreiften Felsgesteinsart, die in Nordeuropa nicht natürlich vorkommt. Man muss schon bis nach Zentraleuropa oder auf den Balkan schauen, um das Ursprungsvorkommen dieses Gesteins zu finden - und damit auch den Herstellungsort dieses Axttyps"

Literaturhinweis:
Schwarz-Mackensen, G. 1983: Wo liegen die Hauptliefergebiete für Rohmaterial donauländischer Steinbeile und -äxte in Mitteleuropa? ArchKorrbl 13
"Wenn Sie stolz sein wollen auf Ihr Volk, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers".
Hubertus Meyer-Burckhardt
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rolfpeter1
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Beitrag von rolfpeter1 »

Servus Archäologen, ist jetzt nicht euer Ernst - oder?!

Die forschungsgeschichtliche Relevanz des Begriffs "Schuhleistenkeil" hätte ich dann aber doch mal gerne näher erläutert.
Es handelt sich bei dem Namen doch um eine Fehlbenamsung, wie sie schlimmer nicht sein könnte. Nicht nur, dass die Funktionalität im Namen völlig unberücksichtigt bleibt, auch ist unsere Generation wohl die letzte, die sich überhaupt noch etwas unter einem Schuhleistenkeil vorstellen kann. Zudem sieht eine schmalhohe Dechselklinge einem gängigen Schuhleisten in keiner Weise ähnlich.

Dann würde ich doch eher "Donnerkeil" vorschlagen. Oder besteht hierbei die Verwechlungsgefahr zu schlanken Beilklingen oder Belemniten?

Eine Dechselklinge läßt sich doch eigentlich mit den vier Attributen Breite, Höhe, Länge und Rohmaterial vollständig beschreiben. Warum dann der Griff in die Mottenkiste?
Da haben sich Generationen angesehener Urgeschichtler die Birne zermartert und einen Konsens gefunden, und hier geht's wieder los.

Ganz liebe jahresendliche Grüße
Rolf Peter
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Blattspitze
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Beitrag von Blattspitze »

Fehlbenamsung

Da gibt`s ja noch reihenweise mehr: z.B. Faustkeil, Schaber, ...
Und der Fund aus Altscherbitz, ist das zweifelsfrei eine "Dechsel"-klinge, wenn der Schaftabdruck die alte Realität annähernd wirklichkeitsgetreu abbildet?

Unentschlossen verbleibend
"Was an der Unverschämtheit des Heute
gegenüber der Vergangenheit tröstet, ist die
vorhersehbare Unverschämtheit der Zukunft
gegenüber dem Heute." Nicolás Gómez Dávila
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FlintSource
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Beitrag von FlintSource »

Hallo Rolf Peter,
deine Bemerkungen verdienen deutlich mehr als die paar, wortwörtlich lapidaren, Sätze die ich hier jetzt im Forum schreibe. Ich sitze gerade an einem Aufsatz (Deadline seit Vorgestern überschritten, deshalb wenig Aktivität hier im Forum), basierend auf meinem Vortrag im vergangenen Herbst in Hitzacker, worin ich mich gerade zu dieser Problematik etwas ausführlicher äußere.
Länge, Breite, Höhe und mit deutlichem Abstand Gewicht und Rohmaterial sind tatsächlich die gängigen Parameter, um Dechselklingen zu beschreiben. Aber die Massen beschreiben nur einen Quader und eine Dechselklinge/Flachhacke/Schuhleistenkeil ist alles andere als ein Quader!
Die Beschreibung bzw. Klassifikation von geschliffenen Steinwerkzeuge ist ein sehr breites Feld das bereits von vielen beackert wurde, eine den Funden angemessene Lösung hat bislang aber keiner gefunden, auch weil wir kaum wissen wofür die Geräte eingesetzt wurden. Hoffentlich habe ich demnächst etwas mehr Zeit für einen ausführlicheren Beitrag, es brennt aber noch an vielen Stellen.
Und auch für dieses Jahr Gut Fund,
Rengert
rolfpeter1
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Beitrag von rolfpeter1 »

Herzlichen Dank für die guten Wünsche! Bei der für die Kölner Bucht ausgesprochen ungewöhnlichen Zwischeneiszeit, kann ich wirklich jeden gedrückten Daumen gut gebrauchen - eigentlich wäre jetzt Hochsaison!

Bin halt keine Archi, sondern Inschenör, und die haben es lieber mit harten Zahlen zu tun als mit blumigen Umschreibungen.

Du hast natürlich Recht, l*b*h beschreibt einen Quader. Das ist zu wenig. Insbesondere wird der Grad der Abnutzung allein durch die Längenangabe nicht erfaßt.

Denkbar wäre die Einbeziehung eines Attributes, wie es seinerzeit M. Dohrn-Ihmig vorgeschlagen hat: die Lage und Form der Schneide in Relation zur Lage der seitlichen Symmetrieachse. Wenn die Schneide auf der Symmetrieachse liegt ist die Dechselklinge noch jung in ihrer Lebensgeschichte, weicht sie Richtung Dorsalseite aus, geht's bald in die Grube.
Du kennst den Aufsatz von 1983: RA 24, das bandkeramische Gräberfeld von Aldenhoven-Niedermerz, 76, 77.

Die Lage des Maximums der Höhe einer Klinge könnte auch vielleicht etwas über Lebensgeschichte aussagen.

Ein weiterer Ansatzpunkt zur umfassenderen Beschreibung der Morphologie könnte evtl. die Erfassung der Lateralkonvergenz sein. Nicole Kegler-Graiewski versucht in ihrer Diss. auf die Art ja ältere von jüngeren parallel geschäfteten Beilklingen zu trennen. Ob so etwas auch bei Dechselklingen sinnvoll ist - keine Ahnung.

Nicht zuletzt sollen ja Dechselklingen mit konvexer Ventralfläche jünger sein als solche mit planer Ventralfläche. (L. Fiedler??)

Aber wie auch immer, ein Bild sagt mehr als 1000 Worte!

Ich wünsche Dir ein gutes Jahr 2011, erfolgreiche Forschungen, ergiebige Grabungen und uns allen zur Erbauung, zahlreiche Veröffentlichungen"

Rolf Peter
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Bullenwächter
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Beitrag von Bullenwächter »

Auf der Wikipedia ist gestern folgender Artikel unter Mitarbeit des hier wohlbekannten Benutzers LS eingestellt worden:

Dechsel (Archäologie)

.

:axt: (unpassendes Archaeomoticon)
The day may be near when we must kill to conserve.
"Dekmalschützer" Giles Cato in der MIDSOMER-MURDERS-Episode The House in the Woods
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LS
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Beitrag von LS »

Ähhm... Moment, das war ein Student von mir, der noch Anfänger ist und dem man Ungenauigkeiten nachsehen darf. Für die derzeitige Textversion möchte ich also keinerlei Haftung übernehmen:-) Ich habe lediglich einen passenden Einleitungssatz geschrieben. Der Grund war, dass Schuhleistenkeil eben als Begriff nur eine Untergruppe der Dechsel treffend beschreibt. Wir schauen aber, das in den nächsten Wochen was Vernünftiges aus dem Artikel wird.

Gruß L.
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Bullenwächter
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Beitrag von Bullenwächter »

Hallo LS - In die Haftung für den Artikel nimmt Dich hier keiner - aber vielleicht beteiligen sich noch weitere hier aus unseren Reihen daran.
The day may be near when we must kill to conserve.
"Dekmalschützer" Giles Cato in der MIDSOMER-MURDERS-Episode The House in the Woods
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LS
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Beitrag von LS »

...von mir aus gerne. Gerade in diesen Tagen, wo die Wikipedia ihr Zehnjähriges feiert, wäre das ja mal ein Anlass für Neueinsteiger.
Sobald ich Zeit habe, werde ich noch sinnvolle Infos von
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuhleistenkeil
zu den Dechseln verschieben bzw. kopieren.

Gruß L.
rolfpeter1
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Beitrag von rolfpeter1 »

Servus,

ich hänge hier gerade mit 'nem Bandscheibenvorfall rum und kann außer Lesen nix vernünftiges tun. :shock:

Ist in absehbarer Zeit ein Update der Projektbibliothek in Sicht? Das würde meine Pein evtl. ein wenig lindern.

Beste Grüße
Rolf Peter
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Hallo,
um eine PN-Frage von Flintsource zu beantworten: an diesem Wochenende sollen die Bäume ausgesucht werden.

Rolf Peter: gute Besserung!

Viele Grüße

Fridolin
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Chris
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Beitrag von Chris »

Sorry, es hat länger gedauert :ups:

Nun ist die Bibliothek wieder aktualisiert - ich hoffe, ich habe alle Neuigkeiten seit der letzten Aktualisierung erwischt! Falls etwas fehlt, bitte kurze Info.

Viel Spaß beim Lesen alle und Gute Besserung an Rolf Peter!!
Me transmitte sursum, Caledoni!
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