Nochmals stumpfwinklige Dechsel

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FlintSource
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Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von FlintSource »

Dank eines Hinweises von Michael Kaiser habe ich jetzt die ersten definitiven Hinweisen auf archäologischen stumpfwinkligen Dechseln. Er schickte mir einige Bilder aus dem Metropolitan-Museum in New York wo tatsächlich so etwas wie eine (Duden lässt grüßen) richtig stumpfwinklige Dechsel zu sehen ist.

Eine kleine Recherche in der hervorragenden Datenbank vom Metropolitan ergab dann gleich zwei Exemplare. Als erstes das was auch auf dem Bild von Michael zu sehen war:

http://www.metmuseum.org/works_of_art/c ... &hi=0&ov=0

Und dann gibt es noch ein kleineres Exemplar das wohl als nicht-arbeitsfähiges Modell angesehen wird:

http://www.metmuseum.org/works_of_art/c ... &hi=0&ov=0

Zwar haben diese Geräte bereits Kupferklingen, aber es gibt bei diesen Dingen dank der guten Erhaltung endlich mal keine Diskussion wie herum die Klingen geschäftet sind. Kennt jemand weitere Vorbilder von ähnlich geschäfteten Teilen?

Der Vielfalt von Dechseln im alten Ägypten ist ohnehin erstaunlich. Da lohnt es sich eine kleine Suchanfrage nach ‚adzes’ beim Metropolitan laufen zu lassen.

Grüße,
Rengert
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Blattspitze
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Blattspitze »

Sagenhaft, was Michael da gefunden hat! Gratulation!
Das erscheint als überzeugende Parallele.
Aber wie und wofür?
Edit: Die Holme sehen ja genau aus wie die Standard-Dechselholme, nur mit "falschherum" aufgebundenen Klingen?


Das Neue Reich ist ja auch reich an Handwerks-Bildnissen (z.B. das Grab des Rechmire), also gucken ob`s Darstellungen solcher Dechsel gibt.

"Normale" Dechseldarstellungen gibts ja reihenweise:
Bild

und die entsprechen gut den Funden (z.B. Detail unterer Holmabschluß):
Bild
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vorhersehbare Unverschämtheit der Zukunft
gegenüber dem Heute." Nicolás Gómez Dávila
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Blattspitze
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Blattspitze »

Habe gerade noch etwas zur Stossbeil - Nutzung gefunden, guckt mal das 6. Bild an:
http://www.woodworking.de/cgi-bin/holzb ... read/49986
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Trebron
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Trebron »

Habe mir mal die ganze Serie rein gezogen, da sind ein paar ganz elegante Teile dabei, Respekt. :axt:
Bild
http://www.metmuseum.org/Imageshare/eg/ ... .3.111.jpg
Zuletzt geändert von Trebron am 08.06.2011 13:21, insgesamt 1-mal geändert.
Wer nur zurück schaut, sieht nicht was auf ihn zu kommt
Uff pälzisch: wä blos zurigg guggt, sieht net was uff`ne zukummd
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von ulfr »

Blattspitze hat geschrieben:Habe gerade noch etwas zur Stossbeil - Nutzung gefunden
Auf die Art wird die Stoßaxt (ob japanisch ode germanisch) gern verwendet, ich habe das mit dem 115er auch in Ergersheim am letzten Tag noch versucht, aber mit zu wenig Zeit. Schlecht ging es nicht, aber auch nicht richtig gut. Hopefully in 2012.
flintsource hat geschrieben:Und dann gibt es noch ein kleineres Exemplar das wohl als nicht-arbeitsfähiges Modell angesehen wird:
Warum das? Denk mal an den "Fön" ...
Holzhandwerk ist nicht nur Zimmerei, und auch da braucht man kleines Werkzeug.
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FlintSource
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von FlintSource »

Wegen restloser Erschöpfung (hatte heute Laserscannervorführung und gerade noch einen Vortrag für ein kleines aber sehr erlesenes Publikum in Markkleeberg [130 km eine Richtung]) nur sehr kurz. Den Blockbaukurs möchte ich auch machen, und dann nie wieder zurück zu den herumstampfenden Obernachbarn.

@Blattspitze: Die merkwürdige eckige Schäftung scheint ziemlich typisch zu sein. Ich kenne sie zu mindest von vielen Abbildungen von der "Mundöffnungszeremonie" (keine Ahnung ob dieser englischer Begriff auch im Deutschen verwendet werden kann).

@Trebon. Nette Serie nicht? <hyperkorrektmodus> Aber bitte einen Hinweis für den Herkunft des Bildes. </hyperkorrektmodus>

@Ulfr: "das wohl als nicht-arbeitsfähiges Modell angesehen wird" Koste den minimalen Unterschied aus, ich kann mich gut vorstellen, dass es einsatzfähig ist, in der Datenbank steht jedoch "model" („Model Adze from the Foundation Deposit for Hatshepsut's Tomb“).

Mit dem Fön habe ich am Montag mit einem Kollege mal etwas herumgehackt. Das Teil ist einfach genial. Ich verwende es noch am Donnerstag bei einer Werbeveranstaltung für die Ausstellungserweiterung (Ergersheim), hohle es dann nochmals durch den Röntgen und schicke es dir dann zurück.

Ergersheim 2012, here we come.

Rengert
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von ulfr »

Der Fön gehört Dir, Rengert, genau wie der eine 115er, ich hab ja die anderen beiden, mehr als eines pro Sorte brauche ich nicht... :bleeep: :keil:
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FlintSource
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von FlintSource »

Wow, vielen Dank, nur nicht von den Bäumen in meiner Umgebung. Wir haben da eine wildgewachsene Erle gefällt. Auch wenn es im wahrsten Sinne des Wörtes eine Rebe war (noch nicht mal 10 cm), doch wieder eine Lehrreiche Erfahrung. Beim Fällen sollte man unbedingt darauf achten auch seitlich der Kerben (Richtungs- und Fäll-) ausreichend Material zu entfernen. Wenn man das nicht macht ist die Neigung zu spalten des gefällten Stammes einfach zu gross. Aber wie es immer im Leben ist, praktische Übung kann man nie zu viel haben (nudge, nudge, wink, wink, say no more....)
Rengert
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Jürgen Weiner

Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Jürgen Weiner »

Einen angenehmen Nachmittag!

Zitat Rengert:"...aber es gibt bei diesen Dingen dank der guten Erhaltung endlich mal keine Diskussion wie herum die Klingen geschäftet sind."

Bislang, Rengert, aber ich gedenke, dies hiermit zu ändern und versuche, mich knapp zu halten.

Zitat Rengert: "...die ersten definitiven Hinweise auf archäologische stumpfwinklige Dechseln."
Schon jetzt melde ich hier höchste Zweifel an! Im Folgenden meine Argumente.

Das Leben im dynastischen Ägypten war stark reglementiert und bestens organisiert, da werdet ihr mir wahrscheinlich zustimmen. Wichtige Dinge überliess man nicht dem Zufall. Eine "staatstragenden Säule" war die Handwerkerschaft. Deren Tätigkeiten folgten klaren Regeln und Vorgaben, wie dies ja bei allen Handwerken der Fall zu sein scheint, und die Werkzeuge waren über lange Zeit kontinuierlich verbesserte Zweckformen, deren Handhabung schliesslich kaum noch verbessert werden konnte. Einen Überblick zu den ägyptischen Handwerken liefert:

Drenkhahn,Rosemarie, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten im Alten Ägypten. W. Helck (Hrsg.) Ägyptologische Abhandlungen 31 (Wiesbaden 1976).

Kap. VIII, ebd. 97-131 befasst sich mit dem Holzhandwerk. Die wichtigsten Werkzeuge der Holzhandwerker waren Beitel, Säge, Axt und Dechsel (Letztere wurde aber auch von den Statuenhersteller, d.h. Steinbearbeitern, benutzt). Allem Anschein nach war die Bedeutung/das Ansehen der Handwerker und ihrer Tätigkeiten sehr gross. Denn es finden sich zahlreiche Abbildungen arbeitender Handwerker. Selbstverständlich hat Frau Drenkhahn auch Quellennachweise zu den Handwerkerszenen in ihrer Arbeit aufgeführt, ebd. 163-164.

Um einen Eindruck von der ägyptischen Standarddechsel zu erhalten, brauchen wir aber nun nicht all jene Quellen zu durchforsten. Vielmehr haben sich die Ägyptologen selbst einen guten Dienst erwiesen und - was ja nur zu verständlich ist - ein enzyklopädisches Werk auf die Beine gestellt: W. Helck & E. Otto (Hrsg.) Lexikon der Ägyptologie (Wiesbaden).

Schauen wir nun unter dem Stichwort "Dechsel" in Band I (Wiesbaden 1979), dann finden wir keinen Eintrag, obwohl dort der Buchstabe D abgehandelt ist. Schauen wir indes unter "Dächsel", dann werden wir fündig in Spalten 979-980. "...Der D. besteht aus einer Klinge und einem gewinkelten Holzschaft, dessen einer längerer Teil leicht geschwungen ist und als Griff dient, während der andere kurz und gerade ist (Anm. 2). An diesem ist die Klinge aus *Kupfer quer zum Schaft mit einer Lederschnur befestigt (Anm. 3).
Anm. 2 Abb. in pReisner II, 55, Fig. 190ff. - Anm. 3 Ebd., 27 u. Tf. 1A, Z. 37ff. R.D." (= Rosemarie Drenkhahn)

Schnell wird klar, dass uns diese Definition in unserer Sache nicht aufs Fahrrad hilft (bemerkenswert ist m.E. u.a. auch "Lederschnur").

Versuchen wir also unser Glück weiter mit den Abbildungsverweisen, denn es sollte ja klar sein, dass in einer (grundlegenden) Enzyklopädie die Geräteform "De/ächsel" auch grundlegend abgehandelt wird. Zumindest sollten die Abbildungen, auf die verwiesen wird, das gesamte Spektrum der ägyptischen Dechseln präsentieren. Ich belasse es bei der in Anmerkung 2 genannten Quelle, dem Papyrus Reisner; hier das volle Zitat: W.K. Simpson (Hrsg.) Papyrus Reisner, Transcription and Commentary. Band II (Boston 1965) 55.
Ägyptische Dechsel Papyrus Reisne II, 55..jpg
Ägyptische Dechsel Papyrus Reisne II, 55..jpg (18.77 KiB) 40807 mal betrachtet
Die hier dargestellten Dechseln, konkret die Art der Schäftung der Klingen und der daraus resultierende Innenwinkel sprechen für sich, so dass sich ein weiterer Kommentar erübrigt.

Im Übrigen erachtete ich es als töricht, wollte jemand mit dem Hinweis auf die Zeitstellung der hier abgebildeten Stücke (Mittleres Reich) daraus reklamieren wollen, es könnte möglicherweise im Alten sowie im Neuen Reich Dechseln mit stumpfwinkelig geschäfteten Klingen geben. Nur zu gerne warte ich/warten wir auf entsprechende Belege, die hier präsentiert werden sollten.

Und hier nun schliesst sich der Kreis zu den von Rengert als "definitive Hinweise" auf eine vermeintliche Stumpfschäftung bemühten beiden Stücken aus dem Metropolitan-Museum.

Nach dem Anschauen sprang mich ein Begriff an, mit dem jede(r) Adept(in) unseres Faches im Laufe des Studiums konfrontiert wird: Quellenkritik.

Nun, niemand von uns war dabei, aber die Stücke haben ja schon einiges hinter sich, denkt man ans handling beim ausgraben, verpacken, Transport, auspacken, lagern, ausstellen, wieder einpacken etc. Und wenn dann die Fixierung der Klinge mittels Leder- oder Rohhautriemen brüchig ist oder wie auch immer beschädigt und die Klinge nun aus den sehr wahrscheinlich stark ausgetrockneten Bindungen rausrutscht und dann später - von wem auch immer - sagen wir eigenwillig/falsch wieder in die Wicklung geschoben wurde, ja dann...
Schaut Euch doch bitte einmal die Breiten der Klingen jeweils am Nackenende sowie die Breiten der Schäftungswicklung am Wicklungsende auf der richtigen Schäftungsseite an!

Aber vor diesem Hintergrund "definitiv" zu verwenden, Rengert, halte ich schon für ausgesprochen mutig, um es vorsichtig auszudrücken.

Was dürfte letztlich - if push comes to shove - eine höhere Wahrscheinlichkeit haben?

- Jenes oben von mir gemutmaßte Szenario?
- Oder die Existenz zweier ägyptischer "Dechseln" mit völlig abwegiger Klingenschäftung und damit einer Form, die in keinem Standardwerk beschrieben wird? Ehrlich gesagt müssten beide Exemplare als bislang unbekannte Gräteform in der Ägyptologie Furore machen!

Zitat Rengert:"Kennt jemand weitere Vorbilder von ähnlich geschäfteten Teilen?"

Lieber Rengert, nach meinen vorstehenden Ausführungen erlaube ich mir die Voraussage, dass sich mit grösster Wahrscheinlichkeit bei Dir niemand mit einer positiven Antwort melden werden kann!

Herzliche Grüsse

Jürgen
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Blattspitze
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Blattspitze »

Hallo Jürgen,

interessanter Einwand. Tatsächlich gilt es wohl, zunächst die Stücke aus dem "Met" genauer zu untersuchen.

Nur mal so: Was ist denn Deine Interpretation der bandkeramischen 115° - "Dechsel-Verdächtigen"?

Cheers Marquardt
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FlintSource
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von FlintSource »

Hallo Jürgen,
Weil ich die Stücke nur als besagte Bilder gesehen habe und noch kein eingehendes Studium von altägyptischen Dechseln durchgeführt habe, ist der Begriff den ich gewählt habe dann auch 'Hinweis' und nicht das 'Be'-Wort.

Die angebliche Erschöpfendheit des zitierten enzyklopädischen Werkes lasse ich mal im Raume stehen. Noch nicht mal die PBF können als definitiv gelten.

Die beiden von Blattspitze geposteten Bilder zeigen tatsächlich, dass es in Ägypten Dechsel gab mit einem ausgesprochenen 'heel', wie der 'Hinterkopf' einer Schäftung auf Englisch genannt wird. Bei diesen Stücke könnte eine 'falschherum' Rekonstruktion zu dem gewünschte stumpfwinklige Ergebnis führen.

Bei einer gerade durchgeführten Internetrecherche habe ich mir jetzt mal eine größere Serie von Dechseln aus besagter Region angeschaut.

Und tatsächlich, wenn man sich dieses Bild aus dem gleichen Museum anschaut http://www.metmuseum.org/works_of_art/c ... &hi=0&ov=0, sind die Stiele fast identisch. Sogar der Fundort ist gleich, nur ein anderes Depot. Hier würde die Drehung der Klinge zu der gleichen Morphologie wie die des stumpfwinkligen Holms führen. Zwar auch hier kein Be- aber ein deutlicher Hin-.

Es wird, glaube ich, mal Zeit einen kleinen Hinweis :D zu den Kollegen im Metropolitan zu schicken.

Dann machen die Holme aus Erkelenz, Eythra und Altscherbitz wohl noch etwas länger als eine bislang unbekannte Gräteform, die in keinem Standardwerk (oder sonstwo) beschrieben ist, Furore. :wink: :wink:

Grüße,
Rengert
Je größer der Dachschaden, desto schöner der Aufblick zum Himmel.
Karlheinz Deschner
Jürgen Weiner

Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Jürgen Weiner »

Meine Herren, einen schönen Tag!

@Marquardt: Nichts lieber als das und vor allem nichts leichter!

- Was die bislang bekannten drei Dinger sind, weiss ich nicht! Wir haben aus unserem Brunnen ein vollständiges Exemplar, und ich habe seinerzeit wegen der frappierenden Form und einem gewissen anderen Grund den Terminus "Eisen 7" geprägt.

-Was die drei Dinger NICHT sind, behaupte ich im Brustton grösster Überzeugung, wenn nicht zu wissen, so doch zu vermuten: Schäfte von Dechseln für klassische Dechsel-, d.h. Holzarbeit.

@Rengert: Du schreibst: "Die angebliche Erschöpfendheit des zitierten enzyklopädischen Werkes lasse ich mal im Raume stehen."

Hier meine Replike:

Wie bin ich vorgegangen?

- Nun, im Gegensatz zu M. Kaiser, den ich sehr schätze - dessen kritischer Teil seines Geistes aber zum Zeitpunkt jener "Entdeckung" der beiden vermeintlich stumpfwinkelig geschäfteten Dechseln aus dem NY-MetMus offensichtlich inaktiv blieb, vermutlich, weil er von seiner "Entdeckung" überwältigt war - und der Dir die Stücke zur Kenntnis gab (signalisierte er bei Dir Quellenkritik?), die Du dann hier als "definitiv" präsentiertest, habe ich versucht, mich fachspezifisch zu informieren, d.h. hier auf dem Gebiet der Ägyptologie.

Die von Dir kritisch erwähnte "Erschöpftheit" kann sich nur beziehen auf meine Feststellung: "...denn es sollte ja klar sein, dass in einer (grundlegenden) Enzyklopädie die Geräteform "De/ächsel" auch grundlegend abgehandelt wird. Zumindest sollten die Abbildungen, auf die verwiesen wird, das gesamte Spektrum der ägyptischen Dechseln präsentieren."
Hieraus ist zu entnehmen, dass selbst dann, wenn in jenem Artikel "Dächsel" nicht "grundlegend abgehandelt wären, auf jeden Fall "das gesamte Spektrum" in Abbildungen vorgestellt werden sollte. Die Abbildungen sprechen gegen eine stumpfwinkelige Schäftung.

Was ich nicht geschrieben habe, ist, dass sich diese Forderung nur auf den Sachstand des Jahre 1965/1979 beziehen kann. Aber das ist ja wohl selbstverständlich und erübrigt sich somit.
Was ich auch nicht gemacht habe, ist quellenkritischer Natur, denn ich habe nicht nachgeforscht, ob seit 1979 weitere, andere Dechselformen/-typen aus Ägypten bekannt geworden sind.

Freilich gebe ich hier folgendes zu bedenken:

Sollten stumpfgeschäftete Dechseln ein regelhaft auftretendes Werkzeug der Holz- (und mancher Stein-) Handwerker in Ägypten gewesen sein - was ich rundweg bezweifele - und vor dem Hintergrund einer recht langen Forschungstradition der Ägyptologie (cum grano salis rd. 200 Jahre bis zum Lexikon der Ägyptologie Bd. I, 19799; müsste es dann nicht "mit dem Teufel zugehen", dass ausgerechnet jene(r) vermeintliche(r) Dechselform/-typ dort nicht auftaucht, sondern erst allerjüngst entdeckt wurde?! Pruuuuuust!

Ansonsten halte ich meine Vorgehensweise für transparent und methodisch in Ordnung.
Es sei denn, man zieht generell all das, was in solchen Enzyklopädien geschrieben worden ist, in Zweifel. Bitte, das kann jeder für sich ausmachen, aber damit kommen wir nicht weiter, das sollte doch wohl klar sein.

Zitat Rengert: "Noch nicht mal die PBF können als definitiv gelten." Dem pflichte ich doch nur zu gerne bei!

Der Hauptgrund dafür ist, dass ich mich schon vor vielen Jahren von der Idee/dem Konzept einer "Vollständigkeit", das ist Deine "Erschöpfendheit", Rengert, "vollständig" verabschiedet habe. Man erlebt es bei der Literatur, man erlebt es bei Sammlungen, und man erlebt es auch bei Elektronikgeräten oder PKWs.
Man wird nie vollständig (vulgo komplett) bzw. auf dem allerneuesten Stand sein. M.E. lebt sich mit dier Erkenntnis hervorragend, zumal damit jede Menge Druck/Stress wegfällt.

Rengert, vielleicht wird in einem noch zu entdeckenden LBK-Brunnen endlich mal ein Holz (=driver) entdeckt und dann - möglichst zeitnah - noch ein Putter. Auf diese Weise vervollständigen wir langsam, aber sicher einen veritablen Schlägersatz (wir haben schon ein "Eisen 7" aus unserem Brunnen in Kückhoven). Und wenn dann jemand noch die passenden Bälle findet! Plätze mit weit, weit über 18 (Pfosten-)Löchern habe ich hier schon ausgegraben, nur die Greens - zugegebenermaßen - liessen doch sehr zu wünschen übrig! Aber daran kann man auch noch munter werkeln...

Und last, but not least, lieber Rengert:
E. Mayr, Zitat Ewige Wahrheiten_kleiner.jpg
E. Mayr, Zitat Ewige Wahrheiten_kleiner.jpg (71.45 KiB) 40761 mal betrachtet
Trifft dies nicht wunderbar auf die Vorstellung einiger Kolleginnen und Kollegen zur steinzeitlichen bzw. LBK-Wasserversorgung zu?

Was allerdings die vermeintlich stumpfgeschäfteten ägyptischen Dechseln betrifft, so schlage ich mich in diesem Falle auf die Seite der Vertreter einer "Ewigen Wahrheit" und leiste gerne deutlichen Widerstand.

Herzliche Grüsse

Jürgen
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FlintSource
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von FlintSource »

Hallo Jürgen,

Wie man mir im Altgriechisch-Unterricht in der Schule, letztendlich doch noch erstaunlich erfolgreich, beigebracht hat: Πάντα ῥεῖ καὶ οὐδὲν μένει. Ewige Wahrheiten gibt es nicht.

Nur gilt für mich ebenfalls der Grundsatz ‚the absence of evidence is not the evidence of absence’. Wenn in einem Handbuch eine Geräteform nicht abgebildet ist, sagt mir das, auch bei einer so langen und guten Forschungstradition wie in Ägypten, zuerst mal recht wenig.

Und darauf wollte ich auch hinaus: Die Dechseln die dort gezeigt werden, haben alle einen kurzen Kopf. Bei den Bildern die Blattspitze gepostet hat von den Schäftungen mit den sehr langen ‚heel’, ist eine Drehung der Klinge möglich, also als Referenz finde ich die Abbildung aus dem Handbuch nicht sonderlich aufschlussreich. Die einzige aussage ist, dass dort nur 'normale' Schäftungen abgebildet sind.
Quellenkritik ist eine schöne Sache, aber ohne Lösungsvorschläge bringt es uns jedoch nicht sehr viel weiter.

Auch bei bestimmten Kollegen scheint die Verbohrtheit nicht so absolut zu sein, wie ich feststellen dürfte als ich als Öffnungssatz von einem Beitrag las: „Water supply in the LBK has hardly ever been discussed explicitly“. Also scheint zumindest von der Seite eine gewisse Diskussionsbereitschaft zu bestehen. Geben wir die Hoffnung also nicht auf.

Und warum Golfschläger in der LBK? Die Keulenköpfe sind doch viel effektiver?

Herzliche Grüße,
Rengert
Je größer der Dachschaden, desto schöner der Aufblick zum Himmel.
Karlheinz Deschner
Stefan F.

Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von Stefan F. »

Grüße allerseits!

Ich wollte mich eigentlich schon ne ganze Weile zu Wort melden, hatte aber noch zweifel, ob meine Meinung qualifiziert genug ist, da meine Replik, die ich testen könnte, noch lange nicht fertig ist. Da die Stumpfwinklige-Dechsel-Diskussion im Forum ein bisschen eingeschlafen ist (wie ist denn der Stand draußen?), wollte ich trotzdem den Faden mal wieder aufnehmen.
Ich hoffe ihr entschuldigt.Das kann jetzt ein bisschen ausufern.

Mir scheint, es gibt hier große vorbehalte gegen eine stumpfwinklige Schäftung. Bei den ägyptischen Teilen halte ichs ehrlichgesagt erstmal spekulativ, von einem Bild auf die Verwendung zu schließen, da, wie von euch schon festgestellt, die dünnen Metallklingen auf alle mögliche Weisen auf die Holme gebunden werden könnten, sei es bewusst oder durch die Unbedarftheit eines Priesters/Ausgräbers/Museumsrestaurators. Dennoch gibt/gab es sie, Eythra und Altscherbitz lassen wenig Zweifel daran. Falls es sich nicht um fehlkonstruierte Einzelstücke handelte, die ein Linienbandzimmermann vor lauter Wut im Brunnen versenkt hat, mussen sie ihren Zweck irgendwie erfüllt haben.

Eine gültige Definition im wissenschaftlichen Sinn für die Funktionsweise von Dechseln zu finden, ist gar nicht so einfach. Dechsel werden einfach (auch heute noch) benutzt. Das geht auch ohne tiefes Verständnis für die expliziten physikalischen Regeln. Das Buch "Technologie und Ergologie in der Völkerkunde" (Hirschberg/Janata 1980) sagt dazu auch nur trocken: "Beil, Axt und Dechsel beruhen auf der Schwungperkussion." (S. 168). Hier findet man die Funktionsweise anschaulich für Hand-/Heimwerker erklärt:

http://www2.mehr-als-werkzeug.de/web_sh ... echsel.php

Das gilt, bei Oberflächenbearbeitung vorausgesetzt auch für alle LBK-Dechsel. Sollten die Flachdechsel als Oberflächenbearbeitungswerkzeuge dienen, wie von den meisten Autoren behauptet, müssen sie diesem Schema folgen, um eine ergonomische Arbeit zu ermöglichen.
Es wird beim Betrachten der Bilder deutlich: nicht der Schäftungswinkel bestimmt die Funktion, sondern das Verhältnis der Schneidenstellung zum Drehpunkt der Griffhand (Handgelenk). Moderne Dechsel haben meist einen Anschliff (Fase) an der Unterseite und eine gewölbte Rückenfläche. Es ist nicht das Ziel tief ins Holz einzudringen, wie beim Zerteilen oder Fällen, sondern es soll nur kurz flach ins holz ein- und wieder aufgetaucht werden, um einen flachen Span abzulösen und eine möglichst flache und saubere Schlagmulde zu hinterlassen. Die Position der Griffhand lässt sich ungefähr bestimmen, indem man eine Tangente an die Schneidenkante anlegt und eine Linie im rechten Winkel nach unten über den Schaft zur Position des Handgelenks zieht. Sticht man hier mit dem Zirkel ein, und zieht einen Kreis über die Schneidenkante, erhält man den Schwungkreis. Befindet sich die Fase oben, rutscht die Griffhand automatisch weiter nach oben. LBK-Dechsel haben einen beidseitigen Anschliff mit stark gewölbter dorsaler Schneidenpartie. Das führt dazu, (das weiß ich aus eigener Anschauung)dass , will man die "Bewegung aus dem Handgelenk" ausnutzen, man bei den meisten Rekonstruktionen mit Schäftungswinkeln zwischen 60° und 90° ziemlich nah am Kopf greifen muss, auch wenn der Schaft schön lang ist (Bei groben Fällarbeiten mögen andere Regeln herrschen). Längerer genutzter Schaft bedeutet jedoch größeres Drehmoment der schwingenden Schneide und damit weniger benötigte Kraft aus den Armen. Um die gesamte Schaftlänge nutzen zu können, kann man entweder den Anschliff ändern oder den Schäftungswinkel vergrößern. Ich versuche das mal grafisch zu veranschaulichen, was mir sicher besser gelingt als durch Text. Ich habe mich dazu, ich hoffe das ist erlaubt, an Rengerts Fundbericht gütlich getan:

Bild

Links der Schaft aus Zwenkau-Eythra, rechts der Fund aus Altscherbitz, von mir "verlängert"


Bild

Soweit das Setting. Die Schafthand ist noch nicht an der richtigen Position.


Bild

Die Schneide in einen sinnvollen Schwungkreis integriert. Der Radius verläuft von der Schneide im Rechten Winkel bis zur Position des Handgelenks. Hier wird das hobelartige Prinzip des Flachdechsels besonders deutlich.


Bild

In diesem Setting müsste die Hand bei einer unglaublichen Position von knapp 80 cm am Schaft greifen (je nachdem von wo aus man misst)! Setzt man einen geraden Schaft voraus, erhält man tatsächlich einen Dechsel in Golfschläger-Dimensionen. Ein sinnvolles Arbeiten erscheint ersteinmal schwer vorstellbar. Man könnte aber eventuell einen am Boden liegenden Balken im Stehen behauen. Für filigranere Arbeiten müssten Dechsel handlicher und kürzer sein um Gegenstände von vielen Seiten oder in beengten Verhältnissen bearbeiten zu können.
Der Eythra-Schaft, scheint ein solches Teil zu sein, auch wenn die wahren Dimensionen durch Beschädigungen nicht mehr sicher bestimmbar sind.


Bild

Ich habe einen Schäftungswinkel von ca 100° angenommen. Daraus ergibt sich eine ergonomische Handposition bei ca. 38 cm der Schaftlänge, was sich mit den tatsächlichen Maßen des Schaftes gut vereinbaren ließe:

Bild

Das war ein Versuch, die "stumpfwinkligen Dechsel" aus sich selbst heraus zu erklären. Die "letztgültige" Lösung kann aber wohl nur ein Experiment erbringen, da die Bewegungsphysik des Zusammenspieles Körper, Handaparat und Werkzeug doch etwas komplizierter ist, als ich es hier etwas vereinfachend darzulegen versucht habe. Ich bin noch dabei, einen "Winkelverstellbaren Flachdechsel" zu bauen. Hatte hier im Forum nicht mal jemand sowas vorgestellt? Leider sind mir schon zwei Klingenrohlinge wegen Haarrissen zerbrochen. Zum Glück ist das Semester bald zuende.

Es bleiben noch viele weitere Fragen offen, z. B. bezüglich der äußerst filigranen Stiele (unterstützt Elastizität die Funktion? - Dämpfung?) oder wie die lächerlich dünne Klingenrast bei beiden Teilen die hohen Scher- und Biegemomente bei erhöhtem Drehmoment aufnimmt.
Meiner Meinung nach - ohne Tatsachen schaffen zu wollen - zeichnet sich hier eine elegante technische Lösung für ein neolithisches Spezialwerkzeug ab, das auch ohne große physikalische Vorbildung (man siehts an mir) durch Probieren und Nachdenken von den Bandkeramikern hervorgebracht worden sein könnte. Diese Lösung würde jedenfalls nichts von den eh schon aufsehenerregenden Kulturrelikten aus den Brunnen in den Schatten stellen sondern eher weiter erhellen.

Ich hoffe ich konnte einen interessanten und diskussionswürdigen Beitrag liefern, der auch wieder zu Experimenten statt Spekulieren anregt. Denn Erkenntnis kommt nur aus der Bewegung! Schon Eratosthenes musste von Alexandria bis nach Assuan laufen, um die Kugelgestalt der Erde beweisen zu können.

In diesem Sinne, alleses Gute und noch ne schöne Diskussion!

Stefan :strickdachs:
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LS
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Re: Nochmals stumpfwinklige Dechsel

Beitrag von LS »

Sehr schöne Grafiken, danke im Namen der Community.
Für das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten solcher stumpfwinkligen Dechsel plädiere ich ja von Beginn dieser Diskussion dafür, auch an die fiesen Löcher in diversen Schädeln zu denken. Das beginnt im Hohlenstein und zieht sich durch bis Talheim, also die gesamte Zeit der Bandkomiker. Die Verwendung exklusiv zur Holzbearbeitung ist durchaus nicht zwingend...

Gruß L.
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