"Chaefre ist groß"

Moderatoren: Sculpteur, Hans T., Nils B., Turms Kreutzfeldt, Chris, Dago

Benutzeravatar
FlintMetz
Beiträge: 686
Registriert: 03.10.2010 19:43
Wohnort: 84543 Winhöring
Kontaktdaten:

Re: "Chaefre ist groß"

Beitrag von FlintMetz »

Warum soll das kein Fehler sein dürfen?
Darf es natürlich, Blattspitze - gar keine Frage. Ich empfinde es dann aber zumindest für ziemlich seltsam.

Ein weiteres Detail, dass Aufschluss über "Absicht oder Unfall" geben könnte, wäre der Boden der Bohrung. Es scheint, als ob der Bohrkern ziemlich sorgfältig herausgearbeitet worden ist. D.h., dass zuerst gebohrt wurde, dann der Kern ausgeschlagen, weiter das umstehende Material abgearbeitet, danach der Fehler der zu tiefen Bohrung erkannt wurde und dann doch noch nachträglich der Boden der Kernbohrung sauber ausgearbeitet wurde??? Die Kerne brechen ja nicht eben und rückstandslos vom Boden weg. Macht für mich aber wiederum keinen Sinn - es kann aber auch gut sein, dass ich einen logischen Fehler in der gedachten Prozesskette habe - bitte ggf. um Korrektur :|

Aber im Ernst - wenn die Bohrung aus Verstehen zu tief geraden ist, dann arbeite ich doch nicht den Kern noch vollständig und sorgfältig bis zum Boden ab, kloppe sie noch tiefer, um das Loch dann wieder mit Steinmehl zuzuschmieren - oder? Täuschen die Proportionen, aber ich würde die Tiefe des noch verbleibenen Lochs so ca. auf 3-4cm schätzen???

Schöne Grüße...

der immer noch an ABSICHT glaubende Robert :wink:
Dem Retuscheur ist nichts zu schwör...
Skulpteur

Re: "Chaefre ist groß"

Beitrag von Skulpteur »

RobertGraf hat geschrieben:
Warum soll das kein Fehler sein dürfen?
...Ein weiteres Detail, dass Aufschluss über "Absicht oder Unfall" geben könnte, wäre der Boden der Bohrung. Es scheint, als ob der Bohrkern ziemlich sorgfältig herausgearbeitet worden ist...
...Macht für mich aber wiederum keinen Sinn - es kann aber auch gut sein, dass ich einen logischen Fehler in der gedachten Prozesskette habe - bitte ggf. um Korrektur :|..
Hallo Robert,

nein, da hast du ganz und gar keinen logischen Denkfehler drin. Die Borhkerne auch heutiger Kernbohrungen brechen so wie von dir beschrieben aus, ein Bossen bleibt in den meisten Fällen über dem Niveau stehen. In m.E. selteneren Fällen kann es auch passieren, dass eine Bohrung nach unten (also in die Werkstückfläche hinein) ausreisst - je nach Material und dessen Eigenschaften. Nach diesen Gesichtspunkten ist es ja sogar sinnvoll, Bohrungen generell niemals direkt auf das Niveau zu führen, dass erreicht werden soll, sondern ein paar Millimeter weniger tief zu bohren und dann anzuarbeiten. Deine Argumentation mit der Grundfläche der Bohrung ist stimmig und auffällig!

Für eine Angleichung und "Retuschierung" (habe gerade kein besseres Wort) der möglichen Fehlbohrung wäre es - nach heutigen Gesichtspunkten - m.E. sogar von Vorteil, einen Bossen stehen zu lassen, weil dann mehr Haftgrundf für eine Klebverbindung mit Mörtel oder Klebstoffen, bzw. Spachtelmassen entsteht.

Eine Indizschwächung wiederum ist jedoch, dass auch die Alten Ägypter bereits ein ganz spezielles Verständnis für etwaige Reparaturarbeiten ("Retuschierungen") gehabt haben müssen - das lese ich an Steinmetztraditionen über die Jahrtausende ab und an Handwerksüblichkeiten auch in der Antike - ich kann mich darin aber natürlkich irren, weil ich nicht ganz so tief im Thema bin dass ich behaupten könnte, ich hätte einen Gesamtüberblick. Deshalb freue auch ich mich darüber, wenn ich in diesem Bereich durch geeignete Rückmeldungen noch etwas dazu lernen kann. :D

Sollte damalige Absicht gewesen sein, das Loch als Versehen zu retuschieren, hätte rein theoretisch auch eine "Fierung", also eine passgenaue Einpassung aus dem gleichen Material verwendet werden können. Zumindestens winklige Fierungen lassen sich millimetergenau anfertigen und Einkleben. Sogar mit Maserungen kann bewusst gearbeitet werden. Eine Fierung könnte also der potenzielle Grund gewesen sein für eine exakte Ausarbeitung des Untergrundes der Bohrung. Für eine solche Fierung hätte z.B. aus einer Platte des Materials mit passgenauer Dicke ein kreisrundes Stück gleichen Durchmessers ausgebohrt werden müssen. Es wäre dann ein Einsatzstück mir einer Fuge in Bohrkronendicke entstanden.

Ähnlich wie bei den Techniken des Herstellens von Fierungen haben auch Völker der Antike bereits über das Wissen und Know-How verfügt, schwalbenschwanzartige Verbindungsanker etc. für Steinblöcke etc. herzustellen und die Alten Ägypter waren ja z.B. auch meisterlich z.B. in der Herstellung von Vasen und Behältern aus Stein.
RobertGraf hat geschrieben: ...Täuschen die Proportionen, aber ich würde die Tiefe des noch verbleibenen Lochs so ca. auf 3-4cm schätzen???...
Hm... - schwer zu sagen, finde ich. Gefühlsmäßig hätte ich eher auf 1 bis etwa 1,5 Zentimeter getippt... - mal schauen, ob sich hier mehr darüber in Erfahrung bringen lässt...
:D

Herzliche Grüße,

Vinzenz
Skulpteur

Re: "Chaefre ist groß"

Beitrag von Skulpteur »

Na, da hat mich jetzt aber der Enthusiasmus gepackt, nach langer Zeit mal wieder den Modellierton auszupacken... :D

Was mich bei der Bohrung stutzig macht, ist mein Empfinden, dass die Fußpartie damals recht genau so gut wenn nicht sogar besser mit der Perforierungstechnik (klein vorbohren und wegschlagen) hätte bearbeitet werden können, ebenso wie die Beinpartien (Unterschenkel) der Statue. Ich bin der Meinung, dass mit der Perforierungstechnik und entsprechenden Flintbohrern etc. kleineren Durchmessers recht rasch gearbeitet werden kann. Es wäre m.E. ein sensibleres oberflächennahes Arbeiten möglich, dass auf eine größere Bohrung verzichten kann.
Vielleicht liegt der Sinn einer größeren Bohrung aber in der extremen Härte des Materials begründet. Vorstellbar ist auch, dass mittels der Bohrung quasi auch das Tiefen-Niveau des Sockels an dieser Stelle ermittelt werden sollte. Aus bildhauerischer Erfahrung weiss ich aber, dass man auch anders ermessen und anarbeiten kann als mittels einer "Punktierung" solchen Durchmessers.

Wesentlich interessant und faszinierend für mich aber ist und bleibt allemal die Tatsache, dass die verwendeten Werkzeuge und ihre Möglichkeiten in der Handhabung der Alten Ägypter wesentlich Einfluss auf die Art und Weise, auf den Stil der Bildhauerei Altägyptens genommen haben (auch je nach verwendetem Steinmaterial und dessen Härte)! - und dass sich über den Stil und die Art der bildhauerischen Produkte im Umkehrschluss Rückschlüsse auf die verwendeten Werkzeuge und ihre Möglichkeiten sowie die Befähigungen der Menschen gezogen werden können, welche Naturstein im Alten Ägypten (und anderswo) bearbeitet haben!:). Für mich gibt es keinen Spielfilm und keine Doku - etwa über Bundesladen - :10: - die spannender sind als solche Einblicke in die Vergangenheit!

Um herauszufinden, ob eine lange Bohrung ausgeführt wurde um auch das Anarbeiten der Unterschenkelpartie zu erleichtern, müsste man meines Erachtens jetzt im Besitz einer möglichst exakten fotografischen Draufsicht der Kniepartie sein :4: um beurteilen zu können, ob eine lang geführte Bohrung besagten Durchmessers bildhauerisch wirklich so viele Vorteile gebracht hätte... - ich muss aber auch zugeben, das ich über die schiere Härte des Materials nicht im Bilde bin...

Herzliche Grüße,

Vinzenz
Dateianhänge
Archaeoforum 10.2012 Thema Chaefre ist groß, Perforationsprinzip in der Bildhauerei (C) Vinzenz Maria Hoppe 2012.jpg
Archaeoforum 10.2012 Thema Chaefre ist groß, Perforationsprinzip in der Bildhauerei (C) Vinzenz Maria Hoppe 2012.jpg (56.16 KiB) 15953 mal betrachtet
Benutzeravatar
FlintMetz
Beiträge: 686
Registriert: 03.10.2010 19:43
Wohnort: 84543 Winhöring
Kontaktdaten:

Re: "Chaefre ist groß"

Beitrag von FlintMetz »

Hallo Vinzenz,

da lerne ich ja richtig was dazu - den Ausdruck "Bossen" für den Bodenaus/abbruch einer Kernbohrung und "Fierung" als Einpassung zum "Retuschieren" bei der Steinmetzarbeit waren mir neu. Gut - ich habe damals auch nur 2 Semester Klassische Archäologie im Nebenfach studiert - das rächt sich dann wieder, dass ich damals dann das Fach gewechselt habe :D

Schöne Grüße...

Robert
Dem Retuscheur ist nichts zu schwör...
Skulpteur

Re: "Chaefre ist groß"

Beitrag von Skulpteur »

RobertGraf hat geschrieben: ...Hallo Vinzenz, da lerne ich ja richtig was dazu - den Ausdruck "Bossen" für den Bodenaus/abbruch einer Kernbohrung und "Fierung" als Einpassung zum "Retuschieren" bei der Steinmetzarbeit waren mir neu...
Hallo Robert,
:D

ich betrachte das ganze natürlich als Handwerker. Es mag sein, dass es akademisch einwandfreiere Begrifflichkeiten gäbe. In der Branche aber gäbe es gefühlsmäßig wohl wenige, die das anders bezeichnen würden als mit "Bossen". Es ist Insidern ja landläufig bekannt, dass der "Bossen" im Steinmetzjargon im typischen Sinne dem Begriff "Bossieren" zugenordnet ist, welches mit Bossiereisen ausgeführt wird.
Heutzutage haben ja z.B. viele Gebäude und Gärten Mauerwerk aus bossiertem Naturstein, auch je nach Region. Wenn ein Steinmetz vom "Bossen" spricht, meint er meines Wissens in den allermeisten Fällen "..DAS, was nach der Bossierung noch über der Fläche stehen bleibt, welche einzuebnen ist, oder auch nicht..." (Bossierungen als gestalterisch absichtlich stehenbleibendes Merkmal findet man zumindestens hier in Ibbenbüren, einem Abbaugebiet des Ibbenbürener Sandsteins recht häufig.
Da auch nach dem Bossieren und Anlegen eines Randschlages bei einem Werkstück immer noch vom "stehengebliebenen Bossen" gesprochen wird, ist meiner Erfahrung in dem Gewerbe nach auch die Ausbrechung in einem Bohrkern am ehesten so zu bezeichnen. Hier wurden zwar keine Bossierhiebe und Randschläge ausgeführt, aber es gibt einen zuvor durch die Bohrkrone eingeebneten Rand. Für mich trifft der Begriff des Bossens deshalb am ehesten zu.
Nun hoffe ich, dass mir meine alten Beufsdschullehrer nicht die Bossiereisen um die Oren hauen(!), denn beweisen kann ich nicht, dass es so heissen muss... :20 - aber irgendwie muss das Kind ja benannt werden, dachte ich mir mit Verlaub. Wir können natürlich auch von dem am Werkstück verbleibenden "Bohrkernabbruch" sprechen... :wtf: :D

Aber vielleicht mache ich mich einmal auf die Suche nach einem übergreifenden umfangreichen Wörterbuch zum Thema (falls es das überhaupt gibt), da ich mich nur auf die Quelle: "Eigene Erfahrung, Ausbildung und entsprechende Fachschulbildung" berufe...
RobertGraf hat geschrieben: ...Gut - ich habe damals auch nur 2 Semester Klassische Archäologie im Nebenfach studiert - das rächt sich dann wieder, dass ich damals dann das Fach gewechselt habe :D...
Nun, da hast du ja was das angeht mir immerhin gewaltig was voraus...!!! :D

Aber mal ganz ehrlich: Ich frage mich öfter, ob und wie die für archäöologische Erkenntnisse relevanten Handwerkstechniken aus den verschiedenen Handwerksberufen sich mit dem Akademischen Studium der Archäologie vereinbaren lassen und vermute hier noch zu füllende Lücken in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Handwerkern, welche ja z.B. auch die Betrachtung von Bildhauerarbeiten der Antike möglicherweise ganz anders möglich machen würden.
Aber auch hier muss ich zugeben, dass mir studierte ArchöologInnen etwas voraus haben könnten, weil sie studienbedingt möglicherweise wesentlichere und umfangreichere Einblicke in entsprechende Quellen haben und ich das ganze artfremd zu naiv betrachte...
Ein großes Bindegleid ist sicherlich die Experimentelle Archäologie, denn manche Erkentnisse erschließen sich (bei nicht handwerklich Vorgebildeten) meiner Meinung nach durch den fachpraktischen Aspekt wesentlicher, wenn nicht überhaupt erst dadurch... - so könnte es sein, dass viele wissenswertes noch immer auf seine Entdeckung wartet, weil ausgefeilte Handwerkstechniken und die generellen Erkentnisse der Archäologie und der Kulturforschung überhaupt noch mehr zusammenfinden müssen (meiner bescheidenen Meinung nach). Ich kann mich aber natürlich auch komplett naiv irren, da ich bisher keinen konkreten Einblick in die Studieninhalte der Archäologie hatte... - hoffentlich lerne ich hier mit der Zeit eine Menge dazu, was auch das betrifft (ich bin mir fast sicher, dass es so sein wird)!

Für die Statue des Chaefre - um mal ein mögliches Anwendungsbeispiel zu nennen - scheint die Gegenseitige Beflügelung ja gerade jedenfalls ganz gut zu funktionieren und das finde ich natürlich toll! In diesem Forum lerne ich persönlich eine ganze Menge! :D

Übrigens habe ich mal versucht, möglichst exakt anhand des Bildes mit der Gesamtansicht der Statue zu messen und in etwa umzurechen, wie tief die Bohrung in etwa sein könnte und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich wohlmöglich um etwa 1 - 1,5 Zentimeter herum (etwa 1/128 der Gesamthöhe von laut Wikipedia 168 cm) handeln könnte.

Herzliche Grüße,

Vinzenz

Recherchequellen waren:
[deutsche Wikipedia, Artikel "Chepren", Version 29. Jun. 2012 und Datei Khaefre Statue.jpg, Version 28. Mär. 2008]


http://www.
molon.de/galleries/Egypt/NatMuseum/Statues/img.php?pic=21

[Es gilt der übliche Haftungsausschluss für Links und Quellen: Jegliche Haftung meinerseits für die selbstverantwortliche Nutzung der hier von mir genannten/angegebenen Quellen und Links, für deren sämtliche Inhalte und Meinungen und für sämtliche etwaige Folgen ist ausgeschlossen. Keine Haftung, Verwendung auf eigenes Risiko.]:
Antworten