Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Moderatoren: Hans T., Nils B., Turms Kreutzfeldt, Chris
Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Passend zur Veröffentlichung des Fundes vom Hohlen Fels:
Einen Überblick über den Stand der Dinge zur Diskussion der Geschlechterrollen im Paläolithikum verschafft:
Linda R.Owen:
Distorting the Past: Gender and the Division of Labor in the upper Paleolithic.
Kerns Verlag, Tübingen. 2007
http://www.kernsverlag.com/owen.html
In der ersten Hälfte des Buches beschäftigt sich Owen mit ethnologischen Vergleichen anhand einiger Inuit-Kulturen.
In der zweiten Hälfte befasst sie sich mit Fundplätzen und Artefakten des Jungpaläolithikums Europas.
Ich möchte jetzt beileibe nicht eine umfassende und detaillierte Buchkritik verfassen, aber trotzdem und in vollem Bewusstsein der verkürzten Darstellung folgendes:
Die ethnologischen Vergleiche stellen eine sehr gute Datenbasis dar. Dadurch wird auch diese ethnologische Diskussion versachlicht und entfernt sich von den wiederholten Mutmaßungen und Wunschvorstellungen beider Geschlechter.
Das Ergebnis ihrer Betrachtung ist, sehr verkürzt:
Inuit-Männer jagen tätsächlich 90-95% der Großtiere. Wenn sie ausreichend vorhanden sind. Die Männer, nicht das Großwild.
Wenn nicht, beteiligen sich vor allem junge Frauen.
Allerdings stellt das Fleisch der Großtiere keineswegs die Hauptnahrungsquelle dar. Der Rest der sonstigen Nahrung wird entweder gleichgewichtig oder vorwiegend von Frauen erworben.
Owen stellt aber vor allem heraus, dass die reine Jagdtätigkeit, d.h. hier konkret das absichtliche Töten von Wild zum Nahrungserwerb keineswegs das Leben sicherte. Sie kann beobachten, dass das Beobachten des Wildes, die Zerlegung und auch der Transport der Beute wieder entweder gleichwertig oder vorwiegend von Frauen erledigt wird.
Ebenso stellt sie heraus, dass die Herstellung der Werkzeuge und vor allem der zum Überleben notwendigen Kleidung Teil der Jagd ist und damit auch hier eine massive Mitwirkung der Frau festzustellen ist.
Im archäologischen Teil stellt sie die Frage, inwieweit bestimmte Artefakte (Werkzeuge) sich überhaupt sicher der ?männlichen? oder der ?weiblichen? Sphäre zuordnen lassen. Sie schlägt z.B. für gespaltene Knochenspitzen (Eine wichtige ?Leitform? im Aurignacien), die bislang unisono als ?Geschossspitzen? gesehen wurden, eine Verwendung als Nähnadel für Lederkleidung vor. Sie unterstreicht diese Möglichkeit mit eigenen Experimenten. Auch andere Werkzeuge können entweder geschlechtsneutral oder ?frauenspezifisch? sein.
Sie geht weiterhin auf die beobachtbaren, körperliche Leistungsfähigkeiten rezenter und subrezenter Frauen ein. Dabei beobachten sie (richtigerweise), dass Frauen zwar nicht unbedingt über die Möglichkeit spontaner, sehr kraftvoller Gewaltanwendung, die beim Töten notwendig wäre, (?spontan burst of energy?) verfügen, jedoch sehr ausdauernd sind.
Der Punkt ist, dass Owen, das Jagen nicht nur auf die reine Tötungshandlung reduziert, sondern die Jagd in ihren sozialen und technischen Kontext stellt. In diesem Kontext kann beobachtet werden, dass Frauen hier sehr viel dazu beitragen und keineswegs auf Tätigkeiten um die Jagdstation herum beschränkt bleiben.
Sie weist auch zu Recht auf die im Fach immer wieder vorkommenden Zirkelschuss
Werkzeugartefakt = männlich = Werkzeugartefakt
hin.
Als Kritik:
A) Es bleibt ein Analogieschluss. Das ist kein Vorwurf, sondern liegt in der Natur der zur Verfügung stehenden Daten.
Da der Analogieschluss aber mit ausreichend Daten untermauert werden kann, ist er durchaus valide.
B) Sie wirft keinen ausreichenden Blick auf Daten des Jungpal,, welche die Rolle der Frau eben nicht als Jägerin, Sammlerin etc. darstellen.
Eine zeichnerische Rekonstruktion (siehe auch Titelbild des Buches, siehe obigen link) zeigt z.b junge Frauen bei der Herstellung der Figurine von Dolni Vestonice, eine der Figurinen des Gravettien/Pavlowien.
Die dargestellten Damen sind zäh, durchtrainiert und jung. Die Dame, die sie jedoch herstellen ist deutlich älter, wohlbeleibt und vielleicht schwanger.
Diesen Widerspruch der modernen Überlegungen und den zur Verfügung stehenden Daten des Jungpal, der sich so schön an diesem Bild festmachen lässt, löst Owen leider auch nicht befriedigend auf.
Trotzdem:
Wer sich mit den Fakten und Daten zur Frauenrolle im Jungpal. näher befassen will, kommt um das Buch nicht herum.
Thomas
Einen Überblick über den Stand der Dinge zur Diskussion der Geschlechterrollen im Paläolithikum verschafft:
Linda R.Owen:
Distorting the Past: Gender and the Division of Labor in the upper Paleolithic.
Kerns Verlag, Tübingen. 2007
http://www.kernsverlag.com/owen.html
In der ersten Hälfte des Buches beschäftigt sich Owen mit ethnologischen Vergleichen anhand einiger Inuit-Kulturen.
In der zweiten Hälfte befasst sie sich mit Fundplätzen und Artefakten des Jungpaläolithikums Europas.
Ich möchte jetzt beileibe nicht eine umfassende und detaillierte Buchkritik verfassen, aber trotzdem und in vollem Bewusstsein der verkürzten Darstellung folgendes:
Die ethnologischen Vergleiche stellen eine sehr gute Datenbasis dar. Dadurch wird auch diese ethnologische Diskussion versachlicht und entfernt sich von den wiederholten Mutmaßungen und Wunschvorstellungen beider Geschlechter.
Das Ergebnis ihrer Betrachtung ist, sehr verkürzt:
Inuit-Männer jagen tätsächlich 90-95% der Großtiere. Wenn sie ausreichend vorhanden sind. Die Männer, nicht das Großwild.
Wenn nicht, beteiligen sich vor allem junge Frauen.
Allerdings stellt das Fleisch der Großtiere keineswegs die Hauptnahrungsquelle dar. Der Rest der sonstigen Nahrung wird entweder gleichgewichtig oder vorwiegend von Frauen erworben.
Owen stellt aber vor allem heraus, dass die reine Jagdtätigkeit, d.h. hier konkret das absichtliche Töten von Wild zum Nahrungserwerb keineswegs das Leben sicherte. Sie kann beobachten, dass das Beobachten des Wildes, die Zerlegung und auch der Transport der Beute wieder entweder gleichwertig oder vorwiegend von Frauen erledigt wird.
Ebenso stellt sie heraus, dass die Herstellung der Werkzeuge und vor allem der zum Überleben notwendigen Kleidung Teil der Jagd ist und damit auch hier eine massive Mitwirkung der Frau festzustellen ist.
Im archäologischen Teil stellt sie die Frage, inwieweit bestimmte Artefakte (Werkzeuge) sich überhaupt sicher der ?männlichen? oder der ?weiblichen? Sphäre zuordnen lassen. Sie schlägt z.B. für gespaltene Knochenspitzen (Eine wichtige ?Leitform? im Aurignacien), die bislang unisono als ?Geschossspitzen? gesehen wurden, eine Verwendung als Nähnadel für Lederkleidung vor. Sie unterstreicht diese Möglichkeit mit eigenen Experimenten. Auch andere Werkzeuge können entweder geschlechtsneutral oder ?frauenspezifisch? sein.
Sie geht weiterhin auf die beobachtbaren, körperliche Leistungsfähigkeiten rezenter und subrezenter Frauen ein. Dabei beobachten sie (richtigerweise), dass Frauen zwar nicht unbedingt über die Möglichkeit spontaner, sehr kraftvoller Gewaltanwendung, die beim Töten notwendig wäre, (?spontan burst of energy?) verfügen, jedoch sehr ausdauernd sind.
Der Punkt ist, dass Owen, das Jagen nicht nur auf die reine Tötungshandlung reduziert, sondern die Jagd in ihren sozialen und technischen Kontext stellt. In diesem Kontext kann beobachtet werden, dass Frauen hier sehr viel dazu beitragen und keineswegs auf Tätigkeiten um die Jagdstation herum beschränkt bleiben.
Sie weist auch zu Recht auf die im Fach immer wieder vorkommenden Zirkelschuss
Werkzeugartefakt = männlich = Werkzeugartefakt
hin.
Als Kritik:
A) Es bleibt ein Analogieschluss. Das ist kein Vorwurf, sondern liegt in der Natur der zur Verfügung stehenden Daten.
Da der Analogieschluss aber mit ausreichend Daten untermauert werden kann, ist er durchaus valide.
B) Sie wirft keinen ausreichenden Blick auf Daten des Jungpal,, welche die Rolle der Frau eben nicht als Jägerin, Sammlerin etc. darstellen.
Eine zeichnerische Rekonstruktion (siehe auch Titelbild des Buches, siehe obigen link) zeigt z.b junge Frauen bei der Herstellung der Figurine von Dolni Vestonice, eine der Figurinen des Gravettien/Pavlowien.
Die dargestellten Damen sind zäh, durchtrainiert und jung. Die Dame, die sie jedoch herstellen ist deutlich älter, wohlbeleibt und vielleicht schwanger.
Diesen Widerspruch der modernen Überlegungen und den zur Verfügung stehenden Daten des Jungpal, der sich so schön an diesem Bild festmachen lässt, löst Owen leider auch nicht befriedigend auf.
Trotzdem:
Wer sich mit den Fakten und Daten zur Frauenrolle im Jungpal. näher befassen will, kommt um das Buch nicht herum.
Thomas
Re: Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Bin grad drüber gestolpert. Danke für die Zusammenfassung und den Link. Passt schön zu dem "Frauen bei der Jagd - vom Paläolithikum bis in die Neuzeit" (Messe-Poster)!
Re: Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Was denn für ein Messe-Poster?
Grüße, L.
Grüße, L.
Re: Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Das, was ich grad "in der Mache" habe. Wird nur etwas kleines...
- Blattspitze
- Beiträge: 2572
- Registriert: 17.11.2007 17:38
- Wohnort: Hamburg
Re: Die Rolle der Frau im Jungpal. Neu auf dem Büchertisch
Hmm, ...interessant. Kriegen wir das hier auch zu sehen?
"Was an der Unverschämtheit des Heute
gegenüber der Vergangenheit tröstet, ist die
vorhersehbare Unverschämtheit der Zukunft
gegenüber dem Heute." Nicolás Gómez Dávila
gegenüber der Vergangenheit tröstet, ist die
vorhersehbare Unverschämtheit der Zukunft
gegenüber dem Heute." Nicolás Gómez Dávila