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Verfasst: 03.06.2009 17:04
von Beate
Rekonstruktion contra Sicherheit?
Hmmm... dass man "damals" noch nicht die Sicherheitsbestimmungen hatte wie heute, ist klar. Aber muss man deswegen alles nach modernen Sicherheitsbestimmungen ausrichten?
Die Wahrscheinlichkeit in einen der ungesicherten Gräben zu fallen oder sich beim Eintreten ins eines der Häuser sich den Kopf anzuschlagen, im Dunkeln über das mitten im Weg stehende Dreibein zu stürzen, sind bei weitem größer (und schon passiert) als von einem bei Sturm umstürzenden Balken erschlagen zu werden.
Ach ja... und die Feuerlöscher finden sich weitab beim Kassenhaus.
Wo liegt die Grenze? Was soll man machen, was muss man machen?
Wie sicher kann ein Freilichtmuseum sein ohne unglaubwürdig zu werden?
Verfasst: 03.06.2009 17:41
von Claudia
Ich möchte auch immer gern möglichst originalgetreue bzw. plausible Rekos haben - aber ich bin mir auch bewußt, daß das so für die meisten Museen nicht leistbar ist. Bei nicht wenigen gibt es da ohnehin enorme Probleme mit den Bauvorschriften und eventuellen genehmigungspflichtigen Ausnahmen davon. Das ist schon kein so einfaches Thema.
Daß es in manchen Museen auch am Willen hapert, ist eine andere Frage. Aber selbst bei viel gutem Willen und reingesteckter Energie ist sowas kein einfaches Unterfangen.
Und jedes Haus, in dem zur Besuchersicherheit ein paar (unerwünschte) Nägel verbaut wurden, gleich mit einem Beton-Disneyland gleichzusetzen, finde ich schon etwas arg überspitzt.
Jöran, Du fragst einerseits, wieso Du als Besucher nicht automatisch versichert bist, wenn Dir im Museum was passiert, andererseits soll alles ganz originalgetreu/historisch korrekt gebaut sein. Da paßt was nicht.
Die Häuser sind Objekte, die eine (möglichst aktuelle) Vorstellung im Maßstab 1:1 von den Häusern der Zeit mitsamt Einrichtung etc., also in gewissen Grenzen vom Leben der Zeit vermitteln sollen. Also schon eine gewisse Kulisse. Ja, Kulisse - selbst wenn sie historisch korrekt gebaut wären, wären sie für die meisten Zwecke, für die ein Museum sie braucht, Kulisse.
Wenn ich darin zeige, wie zu der betreffenden Zeit gekocht wurde, was für Möbelstücke verwendet wurden, wie wir uns die Raumaufteilung vorstellen, sind die halbzölligen Nägel in den Dachsparren wurscht. Solange man die betreffenden Bauelemente nicht sieht, sie die Funktion des Gebäudes nicht beeinflussen oder den Eindruck für den Besucher nicht verfälschen, finde ich sie völlig akzeptabel. Unter anderem deshalb, weil die Alternative wäre, so gut wie gar keine Rekos in archäologischen Freilichtmuseen mehr bauen zu können, weil der finanzielle Aufwand dann so hoch wird, daß die Museen das gar nicht leisten können.
Ich finde, man sollte die Kritik da ansetzen, wo die modernen Bauteile die Funktion verändern (simplifiziertes Beispiel: Durch Plastikschicht im Dach kann Rauch nicht durchs Dach abziehen wie in den Häusern der Zeit), oder optisch einen verfälschenden Eindruck liefern bzw. stören. Und bei Punkten, die eben nicht mit einem riesigen finanziellen Aufwand verbunden sind und die man leicht historisch korrekt lösen könnte. DA müssen wir ansetzen.
Und da kann man auch was erreichen.
Gebäude, an denen man Tests durchführen will, ob die Reko so ok und plausibel ist, oder ob wir uns da verkonstruiert haben, stehen noch mal auf einem anderen Blatt. Wenn man Informationen aus der Reko ziehen will, muß sie historisch korrekt gebaut sein und darf keine modernen Bauteile enthalten, weil sondt die Resultate der Untersuchung verfälscht würden - keine Frage. Ist halt ein Experimentaufbau.
Aber die meisten Häuser in Freilichtmuseen sind eben kein Experimentaufbau, sondern dienen als Rahmen für die andere Museumsarbeit. Das sind zwei verschiedene Funktionen. Wenn man beide Funktionen in historisch korrekt gebauten Häusern haben kann, fein. Aber daß das nur sehr selten möglich ist, sollte uns eigentlich bewußt sein.
Verfasst: 03.06.2009 18:10
von Jøran
Claudia, hänge dich jetzt nicht an diese Nägel auf.
Wegen ein paar Nägel würde ich mir auch keine Gedanken machen,
es sei denn ich würde sie sehen.
Claudia hat geschrieben:Jöran, Du fragst einerseits, wieso Du als Besucher nicht automatisch versichert bist, wenn Dir im Museum was passiert, andererseits soll alles ganz originalgetreu/historisch korrekt gebaut sein. Da paßt was nicht.
Irgendwie klingt das bei dir, als ob ich in einem "ganz originalgetreu/historisch korrekt gebaut" Gebäude ständig im Lebensgefahr wäre.
Und warum sollte das nicht passen? Wäre ich denn in einem Gebäude, dass mit Stahl und Beton "zusätzlich gesichert" wurde, eher versichert als in einem Gebäude ohne dessen? Aber ich wollte diese Frage nicht in diesem Zusammenhang bringen, sondern es ging dabei um die generelle Versicherungsfrage zwischen Museum und Besucher, unabhängig vom Gebäudetyp.
Hilsen
Jøran, der nun in die Zukunft reisen wird --> Stargate-Time
Verfasst: 03.06.2009 18:37
von Claudia
Jøran hat geschrieben:Claudia, hänge dich jetzt nicht an diese Nägel auf.
Wegen ein paar Nägel würde ich mir auch keine Gedanken machen,
es sei denn ich würde sie sehen.
So klangen Deine Postings aber bisher nicht.
Jøran hat geschrieben:
Irgendwie klingt das bei dir, als ob ich in einem "ganz originalgetreu/historisch korrekt gebaut" Gebäude ständig im Lebensgefahr wäre.
Nein, natürlich nicht. Aber wir müssen ja auch immer in Betracht ziehen, daß wir bei unseren "originalgetreuen" Rekos irgendwo einen Fehler gemacht haben. Nicht unbedingt etwas, das ein immanentes Risiko der historischen Epoche ist, sondern ein moderner Interpretationsfehler.
Und den kriegt man womöglich erst raus, wenns doch nicht funktioniert hat.
Jøran hat geschrieben:Und warum sollte das nicht passen? Wäre ich denn in einem Gebäude, dass mit Stahl und Beton "zusätzlich gesichert" wurde, eher versichert als in einem Gebäude ohne dessen?
Nein, aber es wird halt versucht, mit den gegebenen Mitteln das Haus möglichst lange standfest zu machen und so das Risiko zu minimieren bei einer längeren Nutzungszeit als historisch üblich. Es ist eben nicht das Geld da, um alle 15 Jahre ein neues Haus zu bauen.
Es bringt doch nix, wenn wir Maximalforderungen aufstellen, von denen wir wissen, daß sie nicht erfüllbar sind. Ich fände es wichtiger und nützlicher, sich auf die Dinge zu stürzen, die tatsächlich vermeidbar sind, die das Bild verfälschen etc. (und die nichtsdestoweniger in Museen vorkommen). Ich fürchte, da gibts erst mal genug zu tun...
Daß sich jetzt jedes dritte Dorf ein eigenes Freilichtmuseum bauen will, ist der Situation sicher nicht förderlich und womöglich wären die Mittel besser verwendet, wenn man sich auf etwas weniger Museumsdörfer konzentrieren würde, aber das ist nochmal ne ganz andere can of worms.
Verfasst: 04.06.2009 11:35
von ulfr
Ich glaube, wir drehen uns mit der Diskussion hier langsam im Kreis.
Der Ausweg aus dem Dilemma "(Re)Konstruktion oder Kulisse" wäre das, was die Briten mit der Butser ancient farm realisiert haben: ein Museumsteil authentisch, mit positiver Vergammelung für den archäologischen Anspruch, und eines für die Besucher, sicher und unbedenklich.
Man kann hier in Deutschland übrigens froh sein, dass es überhaupt Freilichtmuseen gibt, denn der Vorschriftenkatalog ist uferlos, und die Realisierung hängt oft vom guten Willen der zuständigen Behörden ab. Beim Bau des Federseemuseums wurden wir nach wenigen Tagen aus der Bevölkerung angezeigt, weil wir es versäumt hatten, die Baugenehmigung mit dem roten Punkt (Schwaben wissen, was ich meine) im Container auszuhängen, ein paar Tage später kam eine Anfrage der Baubehörde, ob die Fenster einfach oder doppelt verglast werden
So könnte ich jetzt endlos fortfahren, tu ich aber nich.
Fakt ist: Absoluten Vorrang - sowohl für den Betreiber als auch für die Erbauer - hat die Sicherheit der Besucher, da kann es imho keine zwei Meinungen geben. Werden zu diesem Zweck versteckte moderne Sicherungen eingebaut - what the heck? Und selbst offen sichtbare Feuerlöscher oder Lampen können dazu dienen, ein allzu schnell verklärtes oder unreflektiert rezipiertes Bild vom prähistorischen Wohnen zu brechen und zum Hinterfragen anzuregen. Für stimmige Fotos/Inszenierungen sind solche modernen Accessoires schnell abgebaut, ein verfestigtes Bild zu demontieren ist schwieriger, und es sollte ja unser Anliegen sein, die Besucher darüber zu informieren, dass wir im Prinzip nur den aktuellen Stand des Irrtums präsentieren, wie Urs Leuzinger immer so schön sagt.
Im übrigen ist mir nicht bekannt, dass irgendwo in D minderjährige Besucher in Freilichtmuseen wild und scharf rumballern (dürfen), zumindest nicht in den Museen, die ich kenne.
ULFR
*Glotzt nicht so romantisch (B. Brecht)*
Verfasst: 07.06.2009 18:14
von pinguin
Schlage vor, daß wir Jöran mit der Qualitäts- und Sicherheitskontrolle unserer archäologischen Freilichtmuseen beauftragen. Er wird feststellen, dass auch die 100 prozentigen Wikingerhäuser im Freilichtmuseum nicht dem entsprechen was der Befund vorgibt. Er wird falsche Holzdurchmesser und -arten, Bindungen und Bretter, Sägeschnitte finden und wahrscheinlich wird er, obwohl er keinen Beton gefunden hat, nach dem dritten Dorf verzweifeln und seinen Helm in die Schlei oder den Frederikssund schmeissen. Er sollte dann selber ein Museum bauen, nachdem er sein Ministerium überzeugt hat und dann soll er die nächsten 30 Jahre ein Museum leiten müssen.
Er wird dann feststellen, dass Disney inzwischen besser rekonstruiert als er das mit seinen aus einem Europaprojekt stammenden Bauleuten kann und er wird dann aus eigener Erfahrung vielleicht seine Meinung ändern.
Ich stimme Ulf zu, wenn er für archäologische Freilichtmuseen zwei Rekozonen fordert - eine für die Menschen mit etwas mehr Sicherheit in der Hinterhand und eine zum Experimentieren, ohne Zugang für die Öffentlichkeit. Das ist auch das was Roeland zum Ausdruck bringen wollte. So haben wir das auch in Uhldingen seit 1996 gehandhabt. Leider waren im Orkan letzte Woche beide Zonen betroffen, wenn auch die experimentelle etwas mehr.
Die öffentliche Zone müßen wir jetzt schnell wieder herrichten, damit die ganze Bandbreite der Vermittlungseinheiten wieder gezeigt werden kann. Bei der experimentellen überlegen wir noch, was wohl Steinzeitmenschen jetzt mit so einer Bauruine gemacht hätten? Wer hat eine Idee?
Verfasst: 07.06.2009 18:21
von Dago
Nun, ich denke das solche Bauruinen zu erst nach noch brauchbaren Bauteilen durchsucht worden sind um sie zu verwerten.
Verfasst: 07.06.2009 18:34
von Trebron
Oder man hat irgedwo bösen Geistern die Schuld gegeben und alles ihnen überlassen
oder......
oder......
oder......
bin gespannt, wieviele Meinungen oder
nun kommen.
Verfasst: 07.06.2009 18:50
von Steve Lenz
Bei der experimentellen überlegen wir noch, was wohl Steinzeitmenschen jetzt mit so einer Bauruine gemacht hätten? Wer hat eine Idee?
Wir graben aktuell eine Siedung, welche trotz großflächiger Brandkatastrophe nicht aufgegeben, sondern weiter verwendet wurde - wir finden in (aufgebenen?) Brunnen (?) Hüttenlehm in sehr großer Menge, des weiteren dicke Scherbenpflaster. Was wir bislang nicht finden konnten waren Werkzeuge oder Gebrauchgegenstände.
Ich persönlich gehe davon aus, dass der Schutt akribisch nach noch Brauchbarem durchforstet wurde, der Rest dann aus dem Weg geräumt, da ich mir gut vorstellen kann, dass man die Pfostenlöcher - welche nicht unaufwändig in damaliger Zeit zu graben waren - nach Möglichkeit wieder verwenden wollte.
Verfasst: 07.06.2009 20:31
von Trebron
Steve Lenz hat geschrieben:.........., da ich mir gut vorstellen kann, dass man die Pfostenlöcher - welche nicht unaufwändig in damaliger Zeit zu graben waren - nach Möglichkeit wieder verwenden wollte.
Ich habe das zwar noch nicht probiert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein seit Jahren eingegrabener, abgebrannter Stumpen einfacher auszugraben ist, als ein neues Loch zu buddel, in dem nichts stört.
Ich bin da etwas skeptisch.
Trebron
Verfasst: 08.06.2009 07:58
von Steve Lenz
siehe: "...nach Möglichkeit..."
Verfasst: 09.06.2009 06:39
von pinguin
Bei uns stellt sich die Überlegung: Alles liegen lassen und warten bis die Wellen ihr Werk getan haben - oder aber: alles bautechnisch wertvolle herausklauben um bald mit weniger Aufwand ein neues Haus bauen zu können.
Das erste hätten die Menschen getan, wenn sie nach der Katastrophe entschieden hätten, lohnt sich nicht mehr, schlechter Standort, böse Geister....
an derselben Stelle weiter zu wohnen hätte bedeutet: nutzen was zu nutzen ist.
Was ist nun methodisch nach den Überlegungen einer nach Ergebnissen suchenden effektiven experimentellen Archäologie sinnvoller?
Verfasst: 09.06.2009 08:17
von Bullenwächter
Wenn man das Maushaus als alleinstehendes Haus betrachtet würde eine Aufgabe des Platzes möglich sein, stehen weitere Häuser im rahmen eines Dorfes war vermutlich die Bereitschaft diesen Siedlungsplatz aufzugeben geringer. Da weitere Häuser in der näheren Umgebung stehen wäre mein Vorschlag: Siedlungsplatz nicht aufgeben und den Bauschutt nach brauchbarem durchsuchen. Wenn sich Pfosten nicht einfach ausgraben lassen, kann man sie immer noch auf Bodenniveau fällen.
Wenn Ihr die Trümmer liegen lasst, werden sie sicherlich von Wind, Wellengang und wechselnden Wasserständen über das ganze Pfahlbaudorf verteilt und stellt für angeleinte Einbäume oder ausgebrachte Netze oder Reusen oder im Wasser gelagerte Objekte eine Gefahr dar.
Verfasst: 09.06.2009 09:38
von Thomas Trauner
Pinguin,
Das Problem bei einer effektiven exp. Arch. bleibt m.E. das Szenario, dass man annimmt.
Wenn die Szene ?Verlassen einer neolithischen Uferrandsiedlung? heißen soll, dann den Verfall dokumentieren und vielleicht später sogar ausgraben.
Wenn die Szene ?Ersatz eines beschädigten Hauses?, vielleicht mit der Hintergrundfrage der ?Doppelpfosten? oder anderen vermutlichen Reparaturspuren, sein soll, dann Abbergen der wertvollen Teile und Neuerrichtung.
Die Frage macht?s, denke ich.
Just my two postholes.
Thomas
Verfasst: 11.06.2009 20:17
von pinguin
Richtig Thomas, stimme Dir zu. Die Fragestellung sollte jedes Experiment und jede wissenschaftliche Methode einläuten und wir haben uns inzwischen eine Kombination überlegt, die das Maximum an Ergebnis bringen kann. Das Szenarium lautet nach 13 Jahren: Liegen lassen der Bauruine, fortfolgende Dokumentation und Aufbau eines neuen Hauses nebendran nach den inzwischen nach Publikation Hornstaad neu gefestigten Befundgrundlagen. Dadurch wird das Hausexperiment zum Dauertest und wir bekommen dennoch ein neues Haus.
Unsere Probleme sind, daß die Versicherung auf einen Neuaufbau für den Erhalt der Versicherungsleistung drängt und die Genehmigung für ein Pfahlhaus gebaut nach Wasserrecht 1996 nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn es steht.
Mit Verwertung der Baureste werden wir nur dann einsetzen, wenn weitere Stürme und Hochstände die Ruine aufs Land werfen oder aus dem Siedlngsbereich schwimmen lassen. Das tut finanziel zwar weh, weil allein das neue Dach 4 Wochen Handaerbeit vom Gras schneiden bis zum Latten knoten für die Handwerksabteilung sind. Aber was tut man nicht alles für ein ordentliches Langzeitprojekt