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Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 08.02.2012 16:39
von Hans T.
Ja, mach das doch. Liegt ca 15 min von der Autobahn München-Nürnberg weg, Ausfahrt Greding. Was ich noch vergessen habe zu erklären:
Ein Freilichtmuseum im Bay.Wald hat das Keltenhaus (eigentlich ein HaB-Grundriss) (ohne Kontaktaufnahme) vermessen und als unfertiges Musterhaus nachgebaut. In der üblichen Annahme, solche Rekos würden auf dem Befund gebaut, wurde es dann mit keltische Siedlung Landersdorf beschildert.

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 08.02.2012 23:05
von FlintSource
Bei allen Häusern, Limesturmen und Heuneburgen fehlt mir die wohl meist in situ Rekonstruktion überhaupt in Deutschland: Das 'Sonnenobservatorium' von Goseck. Die Anlage wurde ohne Notwendigkeit mit ABMlern in Schnellverfahren ergraben, ist nicht vollständig und nachvollziehbar publiziert und in 2005 (angeblich, ist ja ohne Doku nicht überprüfbar) 1:1 rekonstruiert. Wie bereits aus den vorhergehenden Sätzen klar wird, hält sich meine Begeisterung in extrem engen Grenzen.

Für eine in situ Reko spricht natürlich die (wiederum angebliche) Funktion: So ein 'Observatorium' kann natürlich aufgrund der Sichtlinien nur sinnvoll an der Originalstelle errichtet werden. Alles andere finde ich jedoch äußerst fragwürdig. Bei einer Exkursion im vergangenen Jahr hatte ich das Vergnügen die Anlage mit einem der Ausgräbern zu besuchen, was leider jedoch wieder in einen 'Bericht von der Scheibenwelt' mündete, wie das in den Gefilden zwar öffentlichkeitswirksam jedoch wissenschaftsfrei üblich ist. Antworten über die Rekonstruktionsbasis habe ich damals nicht bekommen. Das Holz ist von eher unterdurchschnittlicher Qualität und in Ermanglung von publizierten Grabungsbefunden kann ich die Übereinstimmung mit dem Originalbefund nicht nachvollziehen. Mir kam den Begriff 'Rundholzfetischismus' im Sinne als ich das Ganze gesehen habe. Kann alles gut stimmen, aber bevor man irgendwelche Modellen erbaut sollte zu mindest die Grundlage anständig ausgewertet, veröffentlicht und durchdiskutiert sein. In diesem Hinsicht habe ich also deutlich weniger Probleme mit der Nachempfindung auf der Heuneburg. Auch wenn die gesägten Brettern mich wahnsinnig ärgern, vermittelt die 'wiederaufgebaute' Ecke in der Anlage keine übertriebene Primitivität und sind die Grabungsbefunde halbwegs nachvollziehbar publiziert. Aber auch hier würde ein großer Tafel oder eine Publikation mit den Überlegungen zum 'making of' durchaus angebracht sein.

Und damit kommen wir, glaube ich, zum Kern der Sache: Rekonstruktionen, in oder ex situ, sollten nachvollziehbar sein und die Originalbefunde, Überlegungen und Interpretationen klar dargestellt werden. Eine Grabung um eine Rekonstruktion zu ermöglichen lehne ich jedoch vehement ab.

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 09.02.2012 11:23
von Roeland Paardekooper
Ich bringe gerne einen Beitrag vom LinkedIn in dieser Diskussion ein. Lluis Bermudo schreibt: “such mal (Google): "Roman theater of Sagunto (Valencia, Spain)". Das ist das schrecklichste Beispiel was man NIE MACHEN SOLLTE wenn man archäologische Reste rekonstruiert.“ Er referiert an diesem Artikel: http://szenografie.hfg-karlsruhe.de/upl ... a/0316.pdf
The result in the case of Sagunto may or may not be to one’s liking (that is none of my business), but it cannot easily be claimed that it constitutes a perversion of the ruins, a misunderstanding of their meaning and material, or an improper use of them, or that something they formerly possessed has been taken away from them and lost.

Giorgio Grassi, Reconstructions in architecture.

Hier Bilder: http://www.spainisculture.com/en/monume ... gunto.html

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 09.02.2012 12:24
von LS
Moin Flintsource,
@ Goseck: Was genau meinst Du da mit Sichtachsen, die notwendig machen würden, die Anlage genau an derselben Stelle zu errichten? Die Region ist platt wie ne Flunder (wer nicht weiß wo es ist, man sieht die Anlage sogar bei Google Maps). Goseck ist ein schönes Beispiel für die Kraft der Suggestion in der Archäologie. Ich wüsste gar nicht, wie man sowas ohne Ironie ertragen kann...

Gruß L.

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 13.02.2012 18:34
von Claudia
Roeland, ich verstehe Dein Zitat nicht ganz:
The result in the case of Sagunto may or may not be to one’s liking (that is none of my business), but it cannot easily be claimed that it constitutes a perversion of the ruins, a misunderstanding of their meaning and material, or an improper use of them, or that something they formerly possessed has been taken away from them and lost.


Heißt es wirklich 'cannot' ? Wenn ja, seh ich die Ironie nicht ganz, denn dann wäre ja die Formulierung durchaus positiv (?)

Der Artikel in dem pdf macht mir auch Bauchschmerzen, schon wegen der Formulierung, daß das Ziel der Rekonstruktion war, das Theater 'to its true form' wiederherzustellen. Das klingt mir allzusehr nach 19. Jh., wo man meinte, man wüßte genau, wie alles in Wahrheit war...

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 13.02.2012 22:35
von FlintSource
@LS: Wenn es sich tatsächlich um ein Sonnenobservatorium handelt, wie behauptet wird, dann sind die Punkte wo die Sonne an bestimmten Tagen wie Sonnenwende aufkommt und untergeht das Wichtigste. Und dann kann man tatsächlich nur an der Originalstelle rekonstruieren. Und platt wie ein Flunder kann vielleicht für meine Heimat zutreffen, in Mitteldeutschland sind doch immer, für Flächländer sogar erhebliche, Erhebungen anzutreffen, auch wenn sie für Binnenländer vielleicht eher unauffällig sind.

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 14.02.2012 10:01
von LS
@Flintsource: Genau das ist der Punkt. Es gibt dort eben keine markanten Geländepunkte, auf die die Durchlässe zu den Sonnenwendpunkten zeigen. Den Autoren zufolge ging es ja um die Ermittlung der Tage der Sonnwendfeiern beim Zusammenfallen von Auf- und Untergang mit den schicken Ritzen im Gebälk. Die Hangneigung (die Anlage steht ja auf einer leichten Anhöhe) ist so minimal, um nicht zu sagen völlig unspezifisch, dass sie als Merkmal wohl zu vernachlässigen ist.

Noch watt: Der Tordurchlass zum Sonnenuntergang während der Wintersonnenwende fluchtet nicht mit den Palisaden, nur der zum Sonnenaufgang. Bei den anderen Durchlässen durch die Palisade (weitere wichtige Termine, die die stichbandkeramischen Dödel sich ja sonst nicht merken konnten) war suboptimalerweise jeweils der mindestens 1,5m hohe Außenwall im Weg. Es wäre übrigens nicht fair zu sagen, die Anlage sei bislang nicht ausreichend publiziert. Nur würde ich ziemlich andere Schlüsse aus den Plänen ziehen als die Autoren...

Grüße L.

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 14.02.2012 17:02
von Hans T.
Am 28.02 findet u.a. zu diesem Thema ein Kolloquium beim Bezirk in Augsburg statt. Thomas geht hin. Sonst noch jemand? Kontakt über mich, falls gewünscht. Schwerpunkt allerdings, da Augsburg, ein bisschen römisch.

H

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 17.02.2012 12:07
von Turms Kreutzfeldt
Sachsen-Anhalt setzt da gewissermaßen Maßstäbe in der Materie. Kathrin wird sich da sicher auch noch an Rekonstruktionen erinnern, die noch dazu als "Ruinen" rekonstruiert worden sind. Ich sage nichts mehr dazu, denn seit ich dazu was gesagt habe, habe ich dort "Hausverbot".

Bei Rekonstruktionen, die nicht in situ sind, kommt dagegen eigentlich noch mehr Disneyland-Gefühl auf. Allerdings kann man dann mit Erklärung eine Menge bewirken. "Beispielanlage". Wir könnten dann natürlich auch keine Modelle oder Kleidungsrekonstruktionen machen, alles Tokio-Disney-Land.

auch unentschlossen, der Castratische Turms, voll unter Druck

Re: Rekonstruktion in situ - pro oder contra?

Verfasst: 10.04.2012 10:10
von Roeland Paardekooper
EXARC hat 10 Beitraege zur Diskussion auf Englisch publiziert, Teil ist hier im Forum bekannt. Herzlichen Dank!

http://journal.exarc.net/issue-2012-2/m ... ction-situ