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Verfasst: 05.02.2007 10:32
von Thomas Trauner
@ Steve: Wenn ich den Text in "Menschenwechsel" richtig im Kopf habe, sind die Schildkröten "Vollständig", im Bild halt nur der Rückenpanzer zu sehen.

@ Sylvia:

S.v.N?posting und Hans?Replik haben mir das "Problem" auch erst mal wieder vor Augen geführt.
Aber:
Jetzt mal ein wenig provokant und nur meine Meinung:

Wir können grundsätzlich das Verhalten der VG-Menschen nicht rekonstruieren. Nicht beim töpfern, kochen, weben, sprangen oder beim Waffengebrauch.
Es bleiben immer nur Vermutungen, unterschiedlich stark durch Indizien gestützt. Indizien.
Wir zeigen ja immer nur die Dinge, in die wir glauben, uns noch hineindenken zu können. Selbst bei der Rekonstruktion von Handwerkstechnik, die ja teilweise nachvollziehbar erhalten blieb, haben wir im Detail bei einer Vorführung unsere Schwierigkeiten, beim weben wissen wir nicht wirklich über die Webstühle Bescheid, wir wissen nicht, ob die Tätigkeit geschlechtsspezifisch war etc.
Waffenvorführungen sind per se nur die Interpretationen unseres Denkens, weil wir ja z.B. nicht mal genau wissen wann die Beigabe nun wirklich eine Waffe war, ob sie "kampftauglich", ein "sozialer Indikator" oder nur eine Grabbeigabe war, die im Leben für die bestattete Person eigentlich gar keine Rolle spielte.

Ganz hört jeder Versuch auf, uns in offensichtlich geistige Voraussetzungen einzudenken. Wenn wir mehr über die Jenseitsvorstellungen wüßten, könnten wir ja die "Verwendung" der Grabbeigaben besser interpretieren, siehe Waffen.

So - genauso wenig wie Hans oder ich "Waffenvorführungen" bieten, brauchst Du auch keine "Schamanin" vorführen. Das wäre nicht nur für Dich persönlich sondern auch wissenschaftlich unsinnig.

Die mesolithische Dame fordert ja nun geradezu zu einer Reko heraus.
Es ist ein geschlossener Fund, die Beigaben sind spektakulär.
Eine Reko würde Betrachter einfach nur ein sehr beeindruckendes Bild eines vor rund 10.000 Jahre existierenden Menschen vermitteln.
Die Ausstattung und den medizinischen Befund zu interpretieren, bleibt bei einer graphischen Reko Aufgabe des Textes, bei einer Live-Reko Aufgabe der mündlichen Erklärung.
Dass es auch andere Erklärungen geben kann, liegt ja auf der Hand. Wir wissen ja z.B. aus anderen ethnologischen Vergleichen, dass Menschen mit geistig/körperlichen Besonderheiten (Gerade bei Anfallsleiden) auch oft besonders behandelt werden, ohne dass deshalb gleich eine religiöse Bedeutung damit verbunden ist.
Da die Frau nach offenbar "auffälliger" Lebensweise auch noch doch recht jung verstarb, ist genauso denkbar, dass sie einfach eine hohe Achtung erfuhr ohne deshalb Schamanin im Sinne des Schamanentums Ostsibiriens im 18./19.Jh. gewesen sein zu müssen.
Im Prinzip ist diese Darstellung nichts anderes eine eine HA.-Darstellung mit Dolch. Die Beigaben sind dabei, was sie bedeuten, ist Interpretation.

Thomas

Verfasst: 05.02.2007 20:31
von Steve Lenz
Das ist das Bild aus "Menschenwechsel":

Bild(Quelle: archlsa.de)

Es sind definitiv zwei Rückenpanzer. Macht im Sinne der Ansprache als Rassel auch Sinn. Ok, dann brauchen wir dank Silvia?s Vorarbeit noch einen...

Verfasst: 05.02.2007 22:27
von S. Crumbach
Bild

Hier ist der Panzer.
Gesamtlänge ca. 16 cm

Verfasst: 07.02.2007 15:47
von Stefan Deuble
Ich hab vor ca. 27 Jahren meine Schildkröte beerdigt ... Die Stelle würde ich noch finden, glaube ich. Meint ihr, daß der Panzer noch verwertbar sein könnte? Lohnt sich der Aufwand, da hin zu fahren und nachzugraben? Nachher finde ich noch ein Schwert (die S.Kröte liegt in Gomadingen am Sterneberg. Am selben Berg wurde ein berühmtes hallstattzeitliches Schwert gefunden ...) und werde als Raubgräber verhaftet. Trotz des immensen Risikos würde ich das Wagnis eingehen, um Sylvia zum zweiten Bikini-Teil, äh, Rassel, zu verhelfen, wenn es Chancen gibt, daß der Panzer noch funktioniert.

Apropos Bikini: wenn die vermutete Realität recht nackich war, dann bin ich natürlich hellwach und interessiert, aber für den Publikumsverkehr finde ich dann Modelle oder Zeichnungen besser. Man darf das Schamgefühl der Gäste (mit Kindern) auch heutzutage nicht ignorieren. Und eine mutmaßlich Nackte aus Rücksicht aufs Publikum leicht verhüllt zu reenacten, wäre ja echte Irreführung.
Das könnte aber ein weiterer Grund für mich sein, Privatveranstaltungen zu bevorzugen. :oops: :)

Interessierte Grüße,

Stefan

Verfasst: 07.02.2007 16:42
von S. Crumbach
Hallo Stefan,
also öhm, ich persönlich bin schon von KLEIDUNG für diese Zeit überzeugt.
Die Idee "spärliche" Bekleidung hat mit einer Lebensbildzeichung zu tun, die die Fachwelt erregt --- ähm will sagen, in heftige Diskussionen versetzt hat.
Leider scheint das Bild nicht mehr on-line zu sein, was schade ist.
Gezeigt ist auf jeden Fall eine kräftige junge Frau mit Beinlingen, Lendenschurz udn sonst nicht viel.
Wir hatten (kann noch Porta-Forum) gewesen sein, die Diskussion, ob Frauen so aussehen können, oder ob es sich um die Verstellung eines einzelnen (männlichen Zeichners handelt).

Verfasst: 07.02.2007 16:58
von Thomas Trauner
Nein, nein. Was für ein Mißverständnis.
Der gleiche Zeichner hat für das Museum in Halle zum Thema "Menschenwechsel" eine Neanderthalerin, die aus dem Bild geht und eine Homa sapia sapia, die auf die Betrachter zukommt, gezeichnet.
Sie findet sich auch als Einbandsbild auf Band 2 der Hallensischen Museumsführer Pal. und Meso.
Die "moderne" Frau hat tatsächlich einen nackten Oberkörper....Aber sie ist paläolithisch und auch keineswegs in ihrer Aufmachung "zwingend". Sie hat mit der Dürrenbergerin nix zu tun.

Die Bad Dürrenbergerin hat natürlich (äh, sehr vermutlich...) "Vollständige" Kleidung (eigentlich aber auch nicht zwingend.... :oops: ) nun, äh.. also in einer Live-Reko wird sie aber sicher vollständig bekleidet sein, wogegen auch "wissenschaftlich" auch nichts spricht.
Also, meine Herren, keine Sorge. :D

Thomas

"vollständige Kleidung"

Verfasst: 08.02.2007 12:42
von Armin
Ist ehrlich sehr interessant wie sich hier über das Thema "vollständige Kleidung" die Geister scheiden. Sind denn die Menschen in Afrika heute, also 2007 "unvollständig" gekleidet? Oder spiegeln die Diskussion und die damit verbunden Selbstbezichtigungen bezüglich obszönem Gedankengut lediglich die doch sehr modernen Moralvorstellungen wieder? Die, ganz nebenbei bemerkt, im Sommer an Badestränden sehr schnell über Bord geworfen werden können?

Ich jedenfalls fände eine "authentische" Darstellung diesbezüglch zwar sexy aber auch als sehr gefährlich bezüglich evtl. Rufschädigung was die Darstellung in der Öffentlichkeit angehen würde. Eigentlich schade :) :oops:

Gruss

Armin

Verfasst: 08.02.2007 13:03
von S. Crumbach
Gute Frage eigentlich Armin.
Das hat die Lebensbilder in Halle so spannend gemacht: Attraktive Fauenbilder.
Es gab einen Riesenstreit um blanke Busen an den Lebensgroßen Frauenfiguren im Neantertalmuseum. Ich persönlich habe das Probelm nicht gesehen. Vielleicht liegt es daran, daß ich im Punkt "Frauenbewegung" den Vorteil genieße, daß mein Mutter und meine Oma ohne Rücksicht auf "Männliche" Dummheiten ihren eigenen Weg gegangen sind, oder ich als "Baufachfrau" im Beruf mit wenig sexsitischen Blödsinn konfrontiert bin.

Ich bin sehr sicher, daß die Frau von Bad Dürrenberg Kleidung hatte (über die Form mache ich mir zur Zeit Berge von Gedanken). Aber irgendwie drängt sich das Bild auf, daß dies bei der Anwendung der "Schildkröten-Rasseln" nicht der Fall war. Vielleicht ist meine Vorstellung von den (seeehr viel späteren) "kultischen" Frauenbildern aus Kreta mit den offenen Jacken beeinflusst. Eine großartige Zeichung war vor kurzem Titelbild der Zeitschrift "Antike Welt".

Zum Thema Bekleidung: Vollständig oder nicht? sind Vergleiche wichtig, oder Afrika meiner Meinung nach eher nicht. Hier ist es meißt kalt. Also macht man sich nur nackig wenn es sehr warm ist (Badesee etc.). Dabei hat man/frau meißt schnell einen Sonenbrand. Also "Vollständige Bekleidung" bei warm und kalt :roll:

Verfasst: 08.02.2007 13:39
von Stefan Deuble
Meine Bedenken gehen ganz eindeutig in Richtung heutige Moralvorstellungen und haben wenig mit den zwanglos bis zwingenden Gedanken über steinzeitliche Kleidung zu tun. Im Sommer spricht auch in unseren Breiten wenig dagegen, sich zu entblößen. Vor der Hautkrebs-Paranoia habe ich monatelang mit freiem Oberkörber auf dem Dach gearbeitet. Sobald man sich bewegt, ist Kleidung ab gewissen Temperaturen auch lästig, und die Tatsache, daß wir auf Sonnenlicht mit Hautbräunung reagieren, beweist - evolutionsgeschichtlich - eher, daß wir als haarlose Affen uns nicht durch Kleidung den Überlebensvorteil geschaffen habe, sondern durch körperliche Anpassung. Der frühsommerliche Sonnenbrand hatte auf unsere Fortpflanzungsrate wohl keinen allzu dämpfenden Einfluss. Von daher halte ich halbnackte Mänenr und Frauen für zu jeder Zeit wahrscheinlich, eingeschränkt durch soziale Zwänge und kaltes Wetter.

Für mich sind die kultigen Kreterinnen erotisch durchaus wirksam, ich würde einer entsprechenden Veranstaltung auch nicht ausweichen, sondern eher versuchen, mich auf die Figur eines der braungebrannten Fischermännlein aus dem selben Kreis zurückzuspecken, aber das wäre nichts für das Publikum, sondern für den eigenen romantischen Genuss: Szenen sehen / leben zu dürfen, die uns bruchstückhaft als Wandmalerei überliefert wurden. Wer übt mit mir das Stierspringen? Das hat aber nichts mit Darstellung nach außen zu tun und liegt an der Grenze zwischen gutem und schlechtem Kitsch.

Ich halte Erotik nicht für obszön; aber für ein Familien-Publikum würde es reichen, die entsprechend anziehenden Vermutungen nicht mit lebenden Darstellern vorzuführen. Und ein Publikum, das zu einer frei ab 18 Historienveranstaltung kommen würde, das würde ich wohl nicht bedienen wollen, weil durch die Zugangsbeschränkung und die Käuflichkeit des Erlebnisses aus einer spielerisch vorgeführten Spannung zwischen damaliger und heutiger Kultur, damit verbunden auch erotische Momente, plötzlich doch etwas Obszönes wird. Das gilt auch für Kampfdarstellungen mit Gummihänden, Theaterblut und ähnlichen Schockern. Nichts für Kinder, aber wirklich von einer johlenden Meute angefeuert zu werden, die Blut sehen will, das spare ich mir gern.

Aber ohne Publikum würde ich jederzeit mit nach Kreta kommen, oder die Schamanin mit dem schiefen Kopf besuchen ... wobei wir diesen Thread bald in einen geschützten Bereich verlegen sollten, oder wieder die Kurve zur Vitrine kriegen.

was ist nun, soll ich meine Schildkröte suchen gehen?

Herzlich,

Stefan


p.s.: @ Sylvia: ich finde es toll, daß Du wegen Deiner Tätigkeit auf dem Bau wenig mit sexistischem Blödsinn konfrontiert bist! Da läuft die Realität also genau entgegen dem Vorurteil. Klasse!

Verfasst: 08.02.2007 18:12
von Hans T.
Ich beginne den Überblick zu verlieren. Wann und wo wurde jetzt die Weiche gestellt dass die Rekonstruktion einer mesolithischen Ausstattung barbusig zu sein hat...? :oops:

H.

Verfasst: 08.02.2007 20:23
von Stefan Deuble
Das fing im Modellbau / mesol. Sommerlager -Thread an. Ich hatte bemerkt, daß ich schon Lust auf ein Sommerlager hätte, in echt, dann schrieb Turms, er würde als Schamanin von Dürrenberg kommen, was Sylvia dazu brachte, zu behaupten, daß sie vor zehn Jahren in dem Fummel wirklich Eindruck gemacht hätte. Aus Sylvias und Thomas' letzten Einträgen geht dann auch das grundlegende Mißverständnis in Bezug auf die "Schamanin" hervor. Da kam das Ganze her.

Grüße,

Stefan

Verfasst: 09.02.2007 09:28
von Thomas Trauner
Stefan - so ist das nicht richtig. Woher die Diskussion über die "Vollständigkeit" der Kleidung kommt, ist mir auch unklar. Erwähnt wird das in diesem Threat erst in Deinem "Bikini" posting.
Die Darstellung der Paläolithikerin in Halle hat damit nichts zu tun.
Diese Zeichnung zu diskutieren, wäre ein eigenes Thema.

Bei der Schamanin spielt das jetzt keine Rolle. Den Schildkrötenpanzern fehlt jeder Hinweis auf Befestigung, sodass keine Anhaltspunkte für "Kleidungsbestandteil" vorliegen. Nahrungreste sind es vermutlich auch nicht, da die Restknochen fehlen. Deshalb ja auch die Idee der Rasseln.

Dass bestimmte Darstellungen aus der ganzen VG (von Pal. bis zu den Römern) nicht in einer Live-Darstellung so ohne weiteres umgesetzt werden können/sollen/sonstwas ist klar.
Von der mutigen Entscheidung der/des Darstellers/in abgesehen, aber vor allem aus einem Grund nicht:
Wir, und damit die Betrachter, verfügen einfach eben gerade nicht über die Sicht der Dinge wie die Menschen des jeweils angesprochenen Zeitabschnittes.
Das ist nicht nur bei "Moral" so.
(Olympiaden entsprechen heute ja auch nicht, trotz deutlichem Bezug, in jedem Detail denen der klassischen Periode Griechenlands. Erstens wegen Kleidung, zweitens wg. Teilnahme von Frauen, drittens wg. blutig.. :D )
Ernsthaft. Wir sollten und müssen auch vermutlich einfach die heutige Sicht der Dinge akzeptieren. Wir wecken ansonsten nur heutige Interessen an Nackheit, Kampf oder sonstwas und bedienen u.U. nur Vorurteile.
Jetzt bitte mal keine Diskussion darüber, warum heute gerade diese Themen so "interessant" sind. Sonst sind wir bei der Kirche, dem Bürgertum und sonstwas....bitte nicht.

Th.

Verfasst: 09.02.2007 10:37
von S. Crumbach
Meine Güte was ein Mißverständnis :razz: :razz:

Also, in meinem Arbeitszimmer lauert ein Päckchen, daß morgen früh auf den Weg nach Nürnberg geht. Dann habe ich Ruhe für neue Ideen.

Zur zeitlichen Einordung habe ich schon mal grob versucht einen Kontext zu finden. Die Funde von "Fischerei"-Geräten aus Friesack dürften, wenn ich nicht völlig daneben liege, in den gleichen Kontext gehören. Das ganze spielt sich also "relativ" kurz vor vor dem ersten Ackerbau oder sogar parallel dazu ab. Als wenn in Süddeutschland schon Ackergebaut wird, ist dies im Norden nicht der Fall.

Bin ich da richtig?

Verfasst: 09.02.2007 11:04
von Steve Lenz
Und dass es gerade Stefan war, der hier den Stein in die falsche Richtung ins Rollen brachte... :lol:

Zum Thema:

Habe gerade gesehen, dass meine Geweihe nicht stimmen - es fehlt das Schädelfragment. Also, nochmal suchen gehen....

Meine Connection hat signalisiert, dass sie keine Panzer abzugeben haben (außer die von im Zooteich von Besuchern ausgesetzen Rotwangen, allerdings mit Inhalt - aber die passen eh?nicht). Also bei ebay die Augen nach Präparaten Ausschauh halten.

Silvia, im Mesolithikum mehren sich die Funde von Fischereigerät - es gibt zwar schon sog. "Harpunen" im späten Jungpaläolithikum, aber die müssen nicht zwingend auf Fischfang hindeuten (es gibt einen Fund aus dem Périgord, ein Steckschuß im Schulterblatt eines Rehs).

Verfasst: 09.02.2007 11:23
von S. Crumbach
Steve, es sind Netze etc. :oops:

Eine Schildkröte kommt wahrscheinlich nur mit viel Glück zu uns. Ich bleibe auf jeden Fall dran.
Was das Reh betrifft, habe ich meinen Chef gefragt, der Jäger ist. Vielleicht ist das einfacher als an Keilerwaffen zu kommen, die die Jäger gern verwahren. (und mein Chef hat noch nichtmal ein Schwein geschossen ....).

Die Muschel wären auch noch so eine Sache, ebenso wie ein Kranichknochen.

Diese Sachen werden mit der Zeit kommen, denke ich.

Sollen wir eine Kooperation machen? Ich würde das toll finden.