ch möchte doch noch einmal H. Mückler als Vertreter der Ethnologie zitieren.
Unter dem Zwischentitel „Kannibalismus und Wissenschaft“:
„Die Diskussion um die Existenz, Häufigkeit oder schlichtweg
Nichtexistenz des Phänomens der Menschenfresserei wird bis heute
auf einer teilweise hoch emotionalisierten Ebene ausgetragen. Als fragwürdig
klassifizierte Quellen werden immer wieder herangezogen, um
einer einseitigen, ideologisch befrachteten Sichtweise zum Durchbruch
zu verhelfen. Gerade deshalb kann man am Beispiel des Umgangs mit
dem Thema Kannibalismus die entgegengesetzten Standpunkte der
Diskussion gut beobachten, zwischen denen die Fachwissenschafter
stehen: Abscheu und Abstempelung der „Wilden“ zu Kannibalen auf
der einen Seite, falsch verstandenes Gutmenschentum und blinde
Negierung von als unbequem erachteten Tatsachen auf der anderen
Seite. Die Wissenschaft auf der Suche nach Wahrheit gerät bei den
Vertretern beider Gruppen in Bedrängnis. Die zyklisch immer wieder
auftauchenden Bestrebungen gutmeinender Sympathisanten, die
außereuropäische Menschen gegenüber der Unterstellung kannibalistischer
Praktiken „schützen“ zu wollen, waren gerade in der
Ethnologie immer wieder weit verbreitet. Während jedoch in dieser
Fachdisziplin der Trend der Umarmung und Verbrüderung mit den
„guten Wilden“ heute einer differenzierteren Sicht Platz gemacht hat
und man die fragwürdigen Seiten menschlichen Daseins als faktum
operandi anerkennt und damit eine unvoreingenommenere Sicht der
Dinge anstrebt, scheint dies in manch anderen Fachdisziplinen noch
nicht der Fall.“ … „Die Menschen der betroffenen Regionen können sich heute, nicht
zuletzt durch die Verwendung neuer Medien, selbst gegen berechtigte
und unberechtigte Vorwürfe verteidigen. Häufig streben sie jedoch
genau dies nicht an, denn dort wo es Kannibalismus gab, stellte er
einen kulturell relevanten integralen Bestandteil der eigenen
Geschichte dar, der nicht verleugnet werden will. Die Archäologie hat
heute eindeutige Beweise für die Existenz von Kannibalismus in den
verschiedensten Weltregionen. Die Untersuchung von Exkrementen
mit Spuren menschlichen Fleischverzehrs, Bissspuren an Knochen und
andere nur durch Methodenpluralismus zu erreichende Ergebnisse
sowie ein Vergleich der jeweiligen Fundsituation mit den in Oral- und
Schrifttradition festgehaltenen Informationen bestätigen oft, was man
bereits vermuten konnte.“ ...
„Dieses paternalistische Verhalten fand beispielsweise in dem Buch von Heidi Peter-Röcher
(1998), einer Ur- und Frühgeschichtlerin aus Berlin, Eingang. Auch dort wird ausschließlich
auf alte Stiche aus der Frühzeit der Entdeckungsgeschichte als untermauerndes
„Beweismittel“ zurückgegriffen und jüngere wesentlich differenziertere Forschungsergebnisse zum Thema Kannibalismus außer Acht gelassen, um dessen Nichtexistenz zu beweisen. …
Der Autor dieses Beitrags konnte selbst 1996 mit dem australischen Archäologen und
Linguisten Aubrey Parke an archäologischen Ausgrabungen in West-Viti Levu, Fidschi, teilnehmen.
Die Übereinstimmung von mündlichen Überlieferungen mit der Fundsituation bei
der Freilegung des Grabes eines Häuptlings, der im Kampf erschlagen worden war, ließ
deutlich den Schluss zu, den mündlich über Generationen weitergegebenen Geschichten
mehr Bedeutung zuzumessen, als dies in Fidschi allgemein getan wird. Dies trifft auch und
insbesondere für den Umgang mit Überlieferungen über kannibalistische Ereignisse zu.
(Quelle:
http://homepage.univie.ac.at/hermann.mu ... eckler.pdf)
Hier interessante links zum diskutierten Sachverhalt mit Bezug auf die Maori:
http://wais.stanford.edu/NewZealand/new ... ican1.html
Ein in Neuseeland stark dikutiertes Buch:
http://www.nzherald.co.nz/maori/news/ar ... 390&pnum=1
http://www.nzherald.co.nz/maori/news/ar ... 179&pnum=1
Hier Auszüge der Seiten. 356-360 der in Details zweifellos mit Vorbehalten zu betrachtenden ethnohistorischen Quelle:
Tregear, E. (1904): „THE MAORI RACE.“ (
http://www.nzetc.org/tm/scholarly/tei-T ... 16-d1.html)
„After the battle, began that terrible and revolting episode the cannibal feast. …The prisoners taken in the fight were slain in cold blood, except those reserved for slavery, a mark of still greater contempt than being killed for food. “
…
“The flesh of warriors killed in battle, “the fishes of Tu,” that is victims of the war-god, was “food extremely prohibited” (kai tapu whakaharahara) to all women with the exception of the priestess in the ruahine ceremony.”
…
“When the bodies could not all be eaten some of the flesh was stripped from the bones and dried in the sun, being hung on stages for that purpose. The flesh was then gathered into baskets and oil was poured over it, the oil page 359 being rendered down from the bodies; this was done to prevent it spoiling from damp. Sometimes the flesh was potted into calabashes as birds were potted. The bones were broken up and burnt in the fire. The body of a chief might be flayed and the skin dried for covering hoops or boxes. The heads of the inferior chiefs were smashed about and burnt, but those of the great men were preserved by smoking. Sometimes the bones were broken and knocked like nails into the posts of the storehouses—a great indignity. Bones were also taken away to be made into fish-hooks or as barbs for bird spears or eel spears. Or “the hands were dried with the fingers bent in towards the palm, and the wrists were tied to a pole which was stuck into the ground and baskets containing the remains of a meal were hung upon these fingers.” Some of the Ngapuhi tribe were treated in this way by the Waikatos early in this century. “…. The hands had been roasted until the outer skin had come off. The palms were quite white inside.” If the deceased had been a great chief care was taken to degrade every part of the skeleton. The thing bones were made into flutes or cut into sections that would be worked into rings (poria) for the legs of captive parrots. From other bones would be made pins (aurei) for holding the dress-mats together, or needles for sewing dog-skin mats. The skull might even be used as a water vessel for carrying water in for wetting the ovens.”
Elsdon Best, der orale Traditionen ;-) der Maori verschiedenster Gruppen gesammelt hat, berichtet im Teil 1 auf Seite 56 seines Hauptwerkes “The Maori” (1924) auch über Exhumierungen mit anschließender Anthropophagie. Seine Arbeiten zeichnen sich im Übrigen durch größte Sympathien für diese Ethnien aus.
Faktoit? Beweislastumkehr erforderlich?
Wo ist denn eigentlich Entfleischen mit gleichzeitigem Zerschlagen der Markknochen als Bestattungsritus eindeutig nachgewiesen?
Für mich sind Kannibalismus oder Entfleischen als Teil eines Bestattungsrituals bezogen auf die Herxheimer Funde prinzipiell gleichwertige Interpretationen, und wenn sich die Bißspuren an den Knochen erhärten lassen, mit starker Gewichtung zum erstgenannten.
Und Thomas, ich glaube nicht, das wir die Bandkeramiker unter Zugrundelegung heutiger Normen gegen etwas verteidigen müssen, das sie möglicherweise selbst gar nicht als Vorwurf empfunden hätten. Wissenschaft sollte ideologiefrei oder zumindest -vermeidend vorgehen.
Marquardt