Hallo Metellus,
zu Deinem ersten Posting
"Was aber wenn dem nicht so ist? Fiele denn dann nicht das mühsam aufgebaute Gebäude der indogermanischen Sprachwissenschaft in sich zusammen, wenn es nur in einer der germanischen Sprachen auch nur ein Wort gäbe, zu dem es in den alten Sprachen keine Entsprechung gibt? "
Nein. Das wird dann eben als Fremdwort, Lehnwort, Wort mit unbekanntem Ursprung gewertet und fertig. Sprache ist nicht statisch, die Grenzen lassen sich nicht exakt genug ziehen (definiere: germanische Sprachwelt.) Beispiel Englisch. Westgermanische Sprache, voller normannischer / französischer Einfluss, davor voller lateinischer Einflüsse, Wortschatz zu bedeutendem Anteil romanisch, Grammatik zu bedeutendem Teil germanisch. "keltische" und andere Einflüsse mal außen vor. Da kommen lauter ungermanische Wörter in einer germanischen Sprache vor. Wäre jetzt Latein nicht auch eine indoeuropäische Verwandte, dann wäre Dein Negativbeweis erfüllt, aber trotzdem wäre Englisch eine westgermanische Sprache, weil sich die sprachliche Germanizität
durch die erhaltenen grammatischen Besonderheiten und die Reste des germanischen Wortschatzes definiert, nicht durch die überlagerten Fremdeinflüsse. Und selbstverständlich haben solche Überlagerungsprozesse auch in vorschriftlicher Zeit stattgefunden, da hat die Sprachwissenschaft gar keine Chance auf so klare Eingrenzung, daß ein Negativbeweis möglich wäre.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: aus ein paar wenigen erstaunlich ähnlichen Wörtern (klassisches Beispiel deutsch "Atem", altindisch "athman" (Seele, Hauch) ) wurde eine Verwandschaft postuliert, die dann immer weiter gesucht und entsprechend gefunden wurde. Methodisch schon mal interessant, weil eine Forschung, die das gewünschte Ergebnis schon vorher festlegt, ähm, naja. Dann ist man sich noch darüber im Klaren, daß man von frühgeschichtlichen und in Fetzen überlieferten alten Sprachen niemals den vollständigen Wortschatz kennt. Ein Linguist würde nicht ins Straucheln kommen ob der Tatsache, daß die hypothetischen Mitglieder der indoeuropäischen Sprachgruppe auf ihren verschiedenen Wanderwegen verschiedene Lehnwörter integriert haben, da kann die Abteilung Nordwest ganz andere Wörter mitgenommen haben als die Abteilung Südost. Das Interesse liegt mehr bei den Gemeinsamkeiten, intelligente Spekulationen kann man dann anstellen, wenn man herausfindet, daß in den meisten Mitgliedsgruppen z.B. das Wort Buche mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Buche meint, in einer anderen Mitgliedsgruppe aber eine andere Baumart bezeichnet. Weil es bei ihnen keine Buchen gibt? War dann das Wort in welcher Bedeutung da, bevor welcher Teil sich in welche andere Klimazone bewegte? Oder das Wort *bu, wir kennen es in engl. beef und französisch boeuf, in Afghanistan ist aber das "bus-katschi" das "Ziegen-Fangen"-Spiel, während ein Engländer beim "beef-catching" an tote Kühe denken würde. Ist dann der gemeinsame Nenner das Wiederkäuen? Oder die Milchviehnutzung? War der Name schon vor der Domestikation des Rindes da? Und wurde dann übertragen, während Ziegenkulturen diese Übertragung nie vollzogen? Auf diese Weise macht die Wissenschaft um "Indoeuropäer" schon Sinn, weil sie ein spekulatives Streiflicht auf eine ansonsten prähistorische Vergangenheit werfen kann. Indogermane ist aber echt veraltet, und die Begriffe indogermanisch, urgermanisch und indoeuropäisch haben außerhalb der Sprachwissenschaft nichts zu suchen. Dort sind sie einigermaßen klar definiert, außerhalb klingt "Indogermane" schon etwas nach "wir waren schon immer wer, haben es vom Indus bis nach Germanien geschafft", genauso wie der Begriff "Arier" anfangs ein neutrales wissenschaftliches Wort war, bis dann aus der manchmal historisch fassbaren Wanderung der "arischen" Invasoren (Indien, Griechenland) in Analogsetzung zu den Indogermanen eine "indogermanische Siegerrasse" kreiert wurde. Also leichtfertig würde ich diese Begriffe nicht verwenden. Begriffe wie "germanisch", "nordgermanisch", "westgermanisch", "keltisch", "slawisch" sind wissenschaftlich völlig korrekt. Sprachwissenschaftlich. In einem archäologielastigen Forum wie diesem kann man "keltisch" aber nicht so ungeniert verwenden. Da wird dann schnell ein "Träger der Latène-Kultur" draus, zu Recht. Weil die Archäologie nicht die selben Definitionen hat wie die Sprachwissenschaft. Was sind Germanen? Gab es die überhaupt? Solche Fragen sind in der Geschichtsforschung mit archäologischem Schwerpunkt legitim. In der Sprachgeschichtsforschung völliger Unfug. Nur in der Gleichsetzung der Wörter "germanisch" und "germanisch" steckt eine gewaltige Unschärfe. Weil der Laie nicht wissen kann, daß die beiden "germanisch" nicht unbedingt dasselbe bedeuten. Äpfel und Birnen? Obst? Germanisch könnte die Sprache der Germanen meinen. Muß aber nicht.
Fröhliches Ziegen-Fangen,
Stefan