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Rentierjägerstiefel

Verfasst: 12.01.2009 16:36
von ulfr
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Heute bin ich endlich dazu gekommen: ich habe meine selbstgenähten Rentierstiefel getestet. Diese sollen eiszeitlich sein, sind aber natürlich 100% ausgedacht in Anlehnung an ganz einfache Kamiks (Inuitstiefel).
Bedingungen:

Temp: -8,9° C - -6,4° C
Rel. Hygro: 35%
Trockener sonniger, fast windstiller Wintertag, Laufen auf festgefahrenem Schnee und auf Eis, aber meistens durch 10-20 cm hohen lockeren Pulverschnee auf Gras.
Dauer: 2 Std. mit Pausen, Strecke ca. 7 km

Stiefel kniehoch, einfacher Schnitt, aus Rentierkalbfell, konv. gegerbt, Fell nach innen, Sohle aus ca. 5 mm dickem sämisch gegerbtem Elchnacken, Nähte zwischen Sohle und Schaft außenliegend überwendlich mit Kunstsehne, am Schaft außenliegend überwendlich mit Kunsts., Einlegesohlen aus Rentierfell, Fellseite nach oben, alles Äußere gut mit Lederfett gefettet und zusätzlich mit Fischtran geölt.
Zusätzlich nur Vliessocken (normale grüne Försterqualität aus Kunststoff) getragen.

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Gestartet mit trockenen warmen Füßen und ebenso gelandet. Die Reservewanderschuhe (für den Fall der Fälle) hätte ich zuhause lassen können. Beim Ausziehen stellte ich fest, dass die Sohlen feucht, aber noch lauwarm waren. Wahrscheinlich waren sie durchfeuchtet, hielten aber (ähnlich wie Neopren?) die Wärme. Die Einlegesohlen waren unten ebenfalls leicht feucht, oben trocken. Die Schäfte waren außen etwas feucht, innen trocken und warm, erst nach ein paar Minuten im Warmen schmolz der anhaftende Schnee, und das Leder wurde feuchter.
Die Sohlen sind die Schwachstelle, die nächsten Stiefel werde ich aus Rentiernackenfell machen, mal sehe, ob das länger trocken bleibt.
Beim Wandern gab es gar keine Probleme, hätte ich noch stundenlang fortsetzen können. Beim Stehenbleiben kam nach ca. 10 min die Kälte von unten durchgekrochen, aber noch nicht unangenehm, nach etwa 20 min wurde es kalt. Bei erneuter Bewegung war sofort wieder alles warm. Jagdsituation ? Anpirschen, Lauern, Speerwerfen und nachsetzen wäre wohl kein Problem.

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Auf Eis wurde es beim regungslosen Stehen ziemlich schnell kalt von unten und nach 15 min unangenehm feuchtkalt. Robbenjagen am Eisloch ? also stundenlanges Stillstehen ? hätte sicher mit Erfrierungen geendet. An dieser Stelle Fellmütze ab vor allen Inuit...
Die Bodenhaftung ist sehr gut, an Stellen, wo ich mich neulich mit Wanderschuhen und Plastiksohle fast langgelegt hatte, konnte ich problemlos laufen. Auch bergauf/bergab im Schnee ohne Mühe und Rutschen. Der Antritt ? Jagdspurt ? sehr gut. Nur auf blankem Eis wurde es sehr rutschig.

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Die Stiefel scheinen also zu funktionieren. Einen Einfluss haben sicherlich die Socken gehabt: wenn sie auch vielleicht den gleichen Isolierwert wie Innensocken/Slipper aus Schneehasenfell etc. haben, transportieren sie doch evtl. die Feuchtigkeit anders. Aber nächstes Jahr ist ja wieder Winter, dann sind die geplanten Fellstrümpfe vielleicht fertig und der Rest Kleidung auch....

ULFR

Verfasst: 12.01.2009 16:45
von Blaubär
Meine ersten Wendeschuhe waren komplett aus Elchleder. Selbst wenn die komplett nass waren, hatte ich warme Füße. Sowohl bei Bewegung als auch bei kurzfristigem Stillstand. Hat da Elchleder evtl. besondere Eigenschaften? Hatte mich früher drüber gewundert, aber wenn ich das hier lese, scheint ja was am Elchleder dran zu sein.

Grüße
Blaubär

Verfasst: 12.01.2009 17:00
von Claudia
Sind die Kamikker der Inuit nicht ähnlich wie die Schuhe der Samen mit einem Gras ausgelegt?
Die Samen stopfen ihre Schuhe sehr fest mit einem bestimmten Gras aus. Erst das Gras (wenn richtig gestopft) gibt den Schuhen die richtige Form und damit den Füßen Halt und Isolierung.

Verfasst: 12.01.2009 19:08
von Blattspitze
Sehr schön!
Aus welchem Material sind die Sohlen der Original-Kamiks? Die Grasfüllung der Samen-Stiefel habe ich mal in der Schleswiger Ausstellung gesehen, ich erinnere diese als nicht allzu voluminös?
Marquardt

Verfasst: 12.01.2009 19:42
von PGeiger
Wirklich sehr schöne Stiefel!
Ich habe mir für meine Auftritte als "Paddo" im Federseemuseum ähnliche aus Ziegenfell gemacht. Aber auch ich wäre damit im Winter wohl erfroren...

Verfasst: 12.01.2009 19:57
von Mark77
Echt schöne Treterchen!!
Tolle Arbeit, Ulfr :mammut3:
Wie lange hast du für die Herstellung der Stiefel gebraucht? Und hast du das Zickzack-Muster genäht oder gefärbt?

Verfasst: 12.01.2009 20:55
von Mela
Oh, ich leide gerade unter akutem HABEN-WOLLEN!

Schön!


Liebe Grüsse

Mela

Verfasst: 12.01.2009 22:47
von ulfr
Mela, wenn Du Dich von Deinen heißgemachten Glitzersteinli lösen kannst und mit dröhnenden Luren ins Mammutlager wechselst oder mir was Hübsches aus diesem gelben Flüssigstein anbietest, mach ich Dir welche :wink:

Marquardt, die Sohlen der Kamiks sind aus Robbenfell, das ist wasserdicht. Oder aus Karibu, je nach Gegend.
Von Grasfüllungen ist in dem Buch "Die Kunst der Inuit-Frauen" nicht die Rede, oder ich finde es gerade nicht. Dort wird nur von Slippern oder Fellstrümpfen gesprochen. Ich schau nochmal in Ruhe nach. Bei den Sami ist es allerdings üblich, die Schuhe mit Gras auszustopfen, ich hab sogar was davon hier. Könnte ich mal ausprobieren, solange es noch so kalt ist...

Die Rallyestreifen sind mit Rötel vor dem ersten Fetten aufgemalt. Ich hab zwei Tage gbraucht, allerdings genäht mit Stahlborsten und wie gesagt mit Kunstsehne.

ULFR

Edith: Beim Spazierengehen konnte ich in der Ferne den Taunus mit der Saalburg erahnen, und da kam mir der Gedanke: Als unsere italischen Kolonialherren hier nachts am Limes auf Streife gingen, war es doch bestimmt den einen oder anderen Winter genauso kalt wie jetzt. Wie haben die das Problem gelöst? Diese (obwohl wunderschönen, Verzeihung, Martin) durchbrochenen Soldatenstiefel waren dann doch sicher Fehlbesetzung, oder? Mit dicken Wollsocken vielleicht??? Sind die am Ende wegen kalter Füße wieder retour? Und wie sah es auf der anderen Seite des Zauns aus? Was trug der Germane an den Füßen, wenn eisig war? Gibts da Funde?

Verfasst: 12.01.2009 23:00
von Steve Lenz
Endlich mal wieder richtige Schuhe hier - immer dieses römische Gedöns...(just kiddin?, Martin :wink: )

Richtig schick! Muss mir auch neue machen, ich will mich aus dem Fenster lehnen und oberschenkelhohe Schaftstiefel machen. Wenn ich andauernd durch die Tundra hetz?und auch mal eben durch einen Bach waten muss ohne die Zeit, die Stiefel auszuziehen, zu haben, würde ich als paläolithischer Großwildjäger sowas schon mögen. (Und es ist halt auch ein Abgucken von den Inuit.)

Top Work, Meister!

Verfasst: 13.01.2009 07:32
von Trebron
Mela hat geschrieben:Oh, ich leide gerade unter akutem HABEN-WOLLEN!

Schön!


Liebe Grüsse

Mela

Komisch Mela, ist das über so große Entfernungen ansteckend ??
Ich leide unter der gleichen Krankheit :oops:

Gute Frage, das mit dem `ömern :D

Trebron

Verfasst: 13.01.2009 12:18
von Martin
Feine Arbeit und interessanter Bericht, Ulfr!

Verfasst: 13.01.2009 12:32
von ulfr
Danke allerseits. Weißt Du irgendwas, wie die Römer mit Fußkälte umgegangen sind, Martin?

ULFR

Verfasst: 13.01.2009 15:00
von Trebron
ulfr hat geschrieben:Danke allerseits. Weißt Du irgendwas, wie die Römer mit Fußkälte umgegangen sind, Martin?

ULFR
Hetzermodus ein: FRIEREND


:D Trebron


konnte einfach nicht anders

Verfasst: 13.01.2009 23:05
von Martin
ulfr hat geschrieben:Weißt Du irgendwas, wie die Römer mit Fußkälte umgegangen sind, Martin?
Leider nein, da bin ich auch schon seit längerem am Suchen, da vieles der Funde nicht besonders wintertauglich wirkt. Ein Thema, das in den Publikationen immer elegant ausgespart wird ...

Verfasst: 14.01.2009 07:58
von ulfr
Jepp, genauso wie röm. Limes-Wachtürme grundsätzlich ohne Kamin dargestellt oder nachgebaut werden, in meinen Augen nicht nachvollziehbar, es muss doch möglich gewesen sein, die Wachstube zu heizen, oder ...

ULFR