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Schneidersitz in der keltischen Kunst

Verfasst: 04.03.2009 13:53
von magali
Ich würde gern auch hier einige Überlegungen zur Diskussion freigeben.
Beim Blättern einiger Bildbänder "keltischer Kunst" gestern abend, begann ich über einige Darstellungen nachzudenken, in denen männliche Figuren im Schneidersitz dargestellt sind. Anbei einige Beispiele (5. bis 2. Jh.v.Chr.), an denen man sieht, dass es sich meist um Krieger (Heroen?) und Gottheiten handelt, die mit gekreuzten Beinen, in sitzender Position dargestellt sind. Es ist meines Erachtens keinesfalls mit dem orientalischen "Lotossitz" vergleichbar - wie in einer Anmerkung stand - sondern es handelt sich einfach um sitzende Figuren mit aufrechtem Oberkörper und gekreuzten Beinen, ohne irgendeinen "meditativen" Beigeschmack.
Anbei einige Abb., die bekannte Darstellung des gehörnten Gottes auf dem Gundestrup-Kessel, eine der Statuen von Roquepertuse, eine aus Glanum und aus Entremont und die Statuette auf der Schnabelkanne vom Glauberg

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und hier:
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Dieses Sitzmotiv ist anscheinend männlichen Figuren vorbehalten. Eine weiblich Statue aus Entremont ist in einer sittsamen Sitzhaltung dargestellt.

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Hat diese Darstellungsform, eurer Meinung nach eine besondere Bedeutung? Ist diese Darstellungsform nur männliche Gottheiten und/oder sog. Heroen oder Ahnen vorbehalten, also Figuren aus der religiösen-mythologischen Späre?
Mich würden eure Meinungen dazu interessieren!

Danke im Voraus

Verfasst: 04.03.2009 15:02
von Indy
Mein erster (völlig unfundierter) Ansatz wäre weniger die Frage nach Stellung und "Wesensheit" des dargestellten Personals, als vielmehr der Blick auf die Situation - wenn alle Darstellungen "in der Natur" bzw. "im Feld" lokalisiert sind, dann wäre der Schneidersitz m.E. die natürliche Reaktion auf unmöbliertes Sitzen.
Gibt es denn Darstellungen von sitzenden (männlichen) Personen auf Stühlen, Felsen, Stufen, Baumstämmen, etc.?

Mein zweiter Punkt hat jetzt weniger mit den männlichen, als der weiblichen Sitzhaltung zu tun:

1. Die Stufe, auf der die Dame sitzt macht einen Schneidersitz überflüssig.
2. Das leid der Dame ist scheinbar so eng, daß ein Schneidersitz unmöglich ist.

Verfasst: 04.03.2009 16:56
von Thomas Trauner
Magali - jetzt wo Du es sagst. Tausendmal gesehen, nie darüber nachgedacht.....

Völlig unfundiert:

Was auffällt ist der große Zeitsprung vom 5. bis zum 2.Jh. Was weiterhin auffällt, sind die völlig unterschiedliche Verwendungen von ?Zierrat? (Kanne) über Statuen bis hin zu ?Gott (Cernunnos)?.
Trotzdem beschleicht einen der Verdacht der kanonischen Darstellung....

Bei Cernunnos wird ja schon länger diskutiert, dass er als ?Herr der Tiere?, zumindest in seiner Darstellungsart, irgendwie über die Skythen verbreitet wurde und sich bis ins Industal finden ließe. Da ist zumindest der Anfangsverdacht einer Kanonisierung schon gegeben. Gibt ja auch diese römisch/griechisch beeinflusste gallische Statue mit diesen Hirschfüßen....Ich finde jetzt leider kein Bild davon im Netz...seltsam.

Kanonisch würde ich jetzt die Figur der Kanne und die von Roquepertuse etc., trotz der zeitlichen Lücke zusammenfassen. Sie haben ja die Leinenpanzer gemein. Leider fehlen die Köpfe der Statuen. Die Kannenfigur wird nämlich im Fach gerne aufgrund der Lockendarstellungen am Kopf als ?etruskisch? definiert.
Die Armhaltung würde ich erstmal ignorieren, die könnte vom jeweiligen Material (Bronzeguss/ Stein) beeinflusst sein. Wirken die nach unten gewinkelten Arme der Figur vom Glauberg stabilisierend, wären sie in Stein ein wenig schwierig darzustellen und bruchgefährdet.

So ? die Figuren sind wohl etruskisch/keltisch, Cernunnos möglicherweise ?indoeuropäisch?.
Jetzt liegt der Verdacht nahe, dass aber auch die Darstellungsform Cernunnos in seiner Darstellung letztlich doch keltisch/etruskisch ist.

Hmm ? und noch handwerkliches:
Stehende ?Wächterstatuen? sind immer schwierig, egal ob im Guss oder aus Stein. Die Knöchel brechen. Deshalb ja die starken Beine (Hirschlanden) oder die Stützen (Capestrano). Oder tausend Teile (Glauberg).
Vielleicht ist die Erklärung einfach nur das keltische Genie, das einfach keine Lust mehr hatte, ägyptische Statuen, die dort an der Wand lehnen, als supersteife, aber doch instabile Jünglinge in der Gestalt des griechischen Kuroi weiter zu übernehmen und die Jungs einfach sitzen zu lassen.
Und der Schneidersitz sieht dabei wohl am dynamischsten aus. Nicht brav und sittsam sondern ?wach?.

Damen im Schneidersitz geht einfach nicht. Auch nicht bei langem, weiten Rock.
Es wirkt zu...na ja, weiß ja jede/r was ich meine....
Das, äh, gleiche Problem bei Männern wirkt halt eher...äh, mannhaft, stark (Hirschlanden).

Kurz: Glauberg, Roquepertuse etc. wohl ein Kanon.
Cernunnos unsicher.
Grund: Ursprünglich Handwerklich und Materialbedingt. Danach vielleicht Kanon, der bis Cernunnos reicht.

Nur mal so auf die schnelle...

Thomas

Verfasst: 04.03.2009 20:25
von Fredewulf
Interessanterweise gibt es solche Figuren in Schneidersitzhaltung auch noch im römischen Gallien. Hier lassen sich abgebildeten Personen anders als in der Vorgeschichte durch indentifizieren. Die Erkennungsmerkmale der römischen Götter sind ja durch Schriftquellen bekannt.
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Dieses Relief aus Reims zeigt einer gallo-romanischen Gott im Schneidersitz. Auffällig keltisch sind noch Torques, die Beinkleidung und angeblich kann man hier auch den "Ansatz" eines Geweihs erkennen. Der ausgeschüttete Geldbeutel gilt als römisches Motiv
Links steht ein Apollo rechts ein Merkur. Zu Füßen stehen Stier und Hirsch.

Eine vergoldete Figur wurde in Pouy de Tourges gefunden. Auch bei dieser Figur finden sich Attribute der römischen Merkur: Der Flügelhut

Da die Frage eh vorprogrammiert ist. Der Name Cernunnos, der gern mit dieser Köperhaltung verbunden wird, findet sich nur auf der Stele "Nautae Parisiaci" aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. Der Original-Cernunnos hat zwar eine Art Geweih, aber leider keinen Unterkörper mehr: http://commons.wikimedia.org/wiki/File: ... nunnos.jpg

Dass es sich bei den indentifizierbaren Männern im Schneidersitz um Götter handelt, heißt aber noch lange nicht, dass dies eine göttliche oder kultische Körperhaltung war.
Einige antike Zeitgenossen (Strabon und Athenaios) berichten nämlich, dass die Gallier auf dem mit Stroh bestreuten Boden sitzen und von niedrigen Tischen äßen. Barbarenklischee?

Verfasst: 04.03.2009 20:37
von S. Crumbach
Zu den "Schneidersitzdarstellungen" gibt es Vergleichsfunden. Es handelt sich ausschließlich um männliche Tote. Die Leichen fanden sich in als "Tempelbezirk" gedeuteten Arealen. Die Männer waren durch Vorrichtungen und einen Trockenprozess in Form gebracht und sind einiges Zeit später zusammen mit Tierknochen etc. niedergelegt. (in Gruben). Der Befund ist nicht singulär (Siedlung Acy-Romance ist ein Beispiel).

Sehr interessant dazu (und nicht nur dazu):

Green, Miranda Aldhouse: Menschenopfer, Ritualmord von der Eisenzeit bis zum Ende der Antike Düsseldorf 2003 (Magnus Verlag)

Seite 135 ff.

Verfasst: 04.03.2009 20:39
von S. Crumbach
Magali, kann ich für die weibliche Figur eine Datierung haben (oder habe ich die Überlesen?)

Verfasst: 04.03.2009 21:13
von ulfr
Indy hat geschrieben:Gibt es denn Darstellungen von sitzenden (männlichen) Personen auf Stühlen, Felsen, Stufen, Baumstämmen, etc.?
Ja, gibts auch, auf der Situla von Vace(Slowenien, Hallstatt, um 500 v. Chr.) da sitzen mehrere, u.a. ein Musiker mit Panflöte.

Auch auf der Situla von Kuffern (NÖ, auch 5. Jhd.) sitzt einer (oder eine?) auf einer Art Lehnstuhl und bekommt grade Wein kredenzt.

Zu der Sitzhaltung des Cernunnos nur die Meinung des Rentierjägers: wenn er der "Herr der Tiere" ist, dann hockt er im Wald/draußen im Schneidersitz, unmöbliert, wie Indy so treffend bemerkte ...

ULFR

Verfasst: 04.03.2009 21:15
von Hans T.
Interessante Bekleidung...ich finde aber auf der Präsenz, von der das Bild stammt, den Text nicht dazu. Magali, hast du dazu einen Link? Mich würde zudem der Befund, nicht nur diese Umzeichnung, interessieren. Ich finde dazu nix.

H

Verfasst: 04.03.2009 21:40
von ulfr
Hier noch ein paar cernunni (oder wie das dann heißt)

http://www.kernunnos.com/deities/cernunnos/

ULFR

Verfasst: 04.03.2009 22:21
von Patrick M.
Dazu gibt es einen sehr guten Artikel von Adre Rapin im Glaubergkatalog. Er geht zwar nur auf die Statuen von Glanum, Roquepertuse und Rognac schwerpunktmäßig ein, aber sieht in der Sitzhaltung eine Entwicklung eines eigenen Kunststiles unter Beeinflussung durch Stelen aus dem etruskischen Raum und der Inspiration durch "orientalische" Kunst.
Die Sitzfiguren tragen immer Panzer und scheinen in ihrer MAchart gewissen Vorgaben unterworfen zu sein. Immer rechtes Bein vorn z.B. Unterschiede gibt es jedoch in Armhaltung.
Der Artikel ist sehr komplex und gibt auch keine klare Antwort auf die Herkunft, klärt aber einiges auf.
Zu der Dame sei noch zu sagen, dass zwei Sitzfiguren aus VIX, eine Frau und ein Mann, ebenfalls in sittsamer Haltung dargestellt sind. Die Datierung dieser beiden Sitzfiguren aus VIX ist Ha D. Die Figuren aus Roquepertuse datieren meist etwas jünger.
Die von Sylvia angesprochenen Bestattungen datieren Mittel- bis Spätlaténe.
Ob zwischen diesem Bestattungsritus und den Sitzfiguren ein Zusammenhang besteht bezweifle ich.

Verfasst: 04.03.2009 22:39
von R. Schumann
Verdammt, jetz hat ich was längeres geschrieben und bin rausgeflogen *hmpf* also nochmal in kurz:

die Statuen aus Vix sitzen nicht im Schneidersitz, sondern wie die weibliche Statue aus Entremont. Genauso sitzen die männlichen Personen in der Situlenkunst auf Stühlen und nicht im Schneidersitz, die bezeichnenderweise in szenische Darstellungen eingebunden sind. Das ganze kommt also mit der Frühlatènezeit auf und läuft lang weiter. Die "Schneidersitzer" wiederum sind nicht in szenische Darstellungen eingebunden (was natürlich auch an der Art der Darstellung liegt, eine szenische Darstellung zb in Stein is doch was andres :D). Das könnte einfach mal ins Blaue gesprochen heißen, dass diese für sich bereits einen Bedeutungsinhalt besitzen. Erst später kommen sie dann wieder in szenischen Darstellungen vor.

Aber wie Thomas war ich grad echt sehr verwirrt... oft angeschaut, nie ernsthaft bemerkt ;)

Sehr schönes Thema!

MfG

Verfasst: 05.03.2009 07:28
von S. Crumbach
Datierung vergessen :oops:

Die Autorin stellt einen Zusammenhang her - ich finde die Idee nicht uninteressant.

Scheinbar wurden die mumifizierten Männer eine weite "ausgestellt", in zusammenhang mit den Steinbilder (?).

Jetzt ist aber die Frage, wer das wem "nacheifert" ......

Verfasst: 05.03.2009 08:57
von magali
Hans T. hat geschrieben:Interessante Bekleidung...ich finde aber auf der Präsenz, von der das Bild stammt, den Text nicht dazu. Magali, hast du dazu einen Link? Mich würde zudem der Befund, nicht nur diese Umzeichnung, interessieren. Ich finde dazu nix.

H

Welche Satue meinst Du Hans?? Die weibliche aus Entremont?

Verfasst: 05.03.2009 08:59
von magali
S. Crumbach hat geschrieben:Magali, kann ich für die weibliche Figur eine Datierung haben (oder habe ich die Überlesen?)
Nein, nicht überlesen, ich glaube mich zu erinnern, dass die Statue grob Mittel- bis Spätlatène ist aber lass mich mal gleich nachprüfen, bevor ich was Falsches sage (die Zerstörung des oppidum durch die Römer müsste zumind. einen terminus ante dartsellen, muss mal nachprüfen). Ich hatte mir die Dame auch schon wegen der Bekleidung näher anschauen wollen :)

hier gibt es einen farbigen Rekovorschlag der Kleidung (inkl. Schleier), wobei ich nicht sicher bin, ob das Ganze durch evtl. Textilfunde belegbar ist (mit dem Curser auf die Statue gehen)
http://www.culture.gouv.fr/culture/arcn ... r_fem.htm#

Verfasst: 05.03.2009 09:12
von magali
Vielen Dank für die interessanten Antworten und Denkanstösse!! Wenn ich mal kurz kapitulieren darf:

1.Schneidersitzmotiv vermutlich kanonische Darstellungsart bei männlichen Gottheiten, sog. Heroen oder in Bezug auf den sog. Ahnenkult (vgl. Entremont)
- hier stellen die mumifizierten männlichen Bestattungen, die Sylvia erwähnt, aber eine Ausnahme!?!? Ich würde diese hier mal kurz ausklammern, da ja nicht so ganz klar ist, was hinter diesen aussergewöhnlichen - für den latènezeitlichen und auch geographisch umrissenen Raum - Bestattungen eigentlich steckt. Opfer?? Kurzfristige geographisch limitierte "Bestattungsmode" und wenn ja, warum dann nur auf männliche Tote beschränkt? Sylvia, die wurden kurzfristig ausgestellt?? Hat die Autorin evtl. eine These für die Handlungsweise?
Sehr schöner Gedankenansatz! Muss ich mal parallel verfolgen, ob da nicht doch eine Verbindung besteht zur darstellenden Kunst....

2. Streng auf männliche Figuren beschränkt

Also, ich kann mich mit meinem bequemen weiten Winterpeplos ohne weiteres im Schneidersitz niederlassen, ohne Aufsehen zu erregen bzw. Waden/Schenkel oder un-authentische Unterhosen preiszugeben :) aber ich denke, dass der Schneidersitz - wie Hans bemerkte - nicht die ideale Sitzhaltung für Damen ist, daher auch das völlige Fehlen von weiblichen Darstellungen im Schneidersitz in der (und nicht nur - glaube ich) keltischen Kunst