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Klingen vs. Abschläge

Verfasst: 13.01.2011 23:29
von Blattspitze
Aus der Reihe "der aktuelle Stand des Irrtums" (Ulfr):

Hier ein sehr interessanter Artikel bzgl des Vergleiches der vermeintlichen "Produktivität" von jungpal. Klingenkernen vs. mittelpal. diskoiden Abschlagkernen. Entgegen früherer Untersuchungen liegt der Klingenkern demnach nicht mehr so eindeutig in Führung.

http://smu.edu/newsinfo/stories/neander ... 20Eren.pdf
(link dankenswerterweise von R. Patten)

Verfasst: 14.01.2011 10:37
von ulfr
Ich muss gestehen (hab ich auch anderweitig schon), dass das schöne Zitat mit dem Irrtum von Urs Leuzinger stammt ...

Gab es nicht schon mal solch eine Untersuchung, irgendwo rührt sich da was im Hinterkopf?

Verfasst: 15.01.2011 13:54
von Blattspitze
Gab es nicht schon mal solch eine Untersuchung, irgendwo rührt sich da was im Hinterkopf?
Science 11 February 1972:
Vol. 175 no. 4022 pp. 632-634
DOI: 10.1126/science.175.4022.632
Pressure Blades and Total Cutting Edge: An Experiment in Lithic Technology
Payson D. Sheets and Guy R. Muto
Abstract

Pressure techniques were used to remove 83 blades from a preformed obsidian core weighing 820 grams, yielding 17.32 meters of acute cutting edge. The blades represented 91 percent of the original weight (2.1 centimeters of acute cutting edge per gram of original material), thus demonstrating the efficiency of the pressure-blade techniques for the production of acute cutting edges.

Dieses alte Exp., das aber bloß die Effektivität von in Drucktechnik produzierten Obsidianklingen demonstriert hat, hat wohl in (zu) weit gefassten, oberflächlichen Vergleichen mit mittelpal. Grundformproduktion einige dazu bewogen dem vermeintlich "doofen" HN eine natürlich "schlechtere", unproduktivere Methode zu unterstellen.

Interessant in dem neuen Artikel u.a. der Hinweis auf die erf. Rohmaterialqualität, auf "Skill and experience of the knapper", der nach unausgesprochener Ansicht der Verf. wohl bei Klingenproduktion als höher eingeschätzt wird.
Für "Mikroklingen" steht eine höhere Produktivität ausser Frage.

Ob auch das Gewicht der Ausgangsknollen so einfach in Bezug zu der späteren netto Schneidenkantenlänge gesetzt werden kann, wie einer Argumentationskette der Autoren vorgeschlagen, wäre u.a. noch zu ergründen ...
Insgesamt jedenfalls ein sehr spannender Artikel für SiO2-Abhängige wie mich.

Verfasst: 15.01.2011 15:12
von ulfr
Wenn ich den Artikel richtig verstehe, dann haben die Autoren nicht die Klingenkern- und die Levalloistechnik gegenübergestellt, sondern auf der einen Seite Klingen von einem Kern abgeschlagen und auf der anderen Seite Abschläge von einem "Schildkrötenkern".
Kann es sein, dass ältere Publikationen eher Kernklingen mit Levallois-Zielabschlägen verglichen haben? Und deshalb zu dem erwähnten Verhältnis kommen, das hier angezweifelt wird?

Bin aus dem Artikel nicht richtig schlau geworden ... muss ich wohl nochmal in Ruhe lesen.

Verfasst: 15.01.2011 16:21
von Blattspitze
Naja, ältere Publikationen haben das gar nicht richtig verglichen, es wurde eher "impressionistisch" beurteilt, einen solchen Versuch wie hier beschrieben gab es, vielleicht mit einer Ausnahme, in dieser Art nicht. Vielleicht weiss aber jemand anders hier mehr?
Man guckte auf Abschläge: kürzer aber breiter im Verhältnis zu langschmalen Klingen, wobei letztere auch einen vermeintlich kleineren Querschnitt zeigen.
Naheliegende Schlußfolgerung: Es "stecken" potentiell mehr schöne langschmale Klingen als kurzbreite mopsige Abschläge in der gleichen Knolle. Aber Achtung, wie wir sehen. Und, flachbreite Abschläge lassen sich viel öfter durch Kantenretusche nachschärfen als Klingenkanten an schmalhohen Klingenquerschnitten, sind aber auch nicht gleichscharf ... .

Wenn die nutzbaren Schneidekanten der zur Klingenkernvorbereitung und -Instandhaltung abgetrennten Abschläge auch bei den Klingenkanten mitgezählt worden wären, wer weiss...?

Soweit mir bekannt (Berichtigungen willkommen), ist im Mittelpaläolithikum die serienmäßige Abschlagproduktion von diskoiden oder sphärisch-runden bifazialen Kernen häufiger als die für uns so suggestive Überbetonung der einzelnen "Levallois"-Abschläge. Auch ist Levallois nicht gleich Levallois. Da gibts die vermutlich von Dir gemeinte "Debitage Levallois a Eclats preferentiel", bei der einzelne "schöne und große" Zielabschläge anfallen, es gibt aber z.B. auch "Debitage Levallois Recurrent centripete" bei der umlaufend mehrere ähnliche Zielabschläge von einer Seite des Kerns abgeschlagen werden und es gibt z.B. "Debitage Discoide", wo beidseitig "gemeinte" Abschläge abgetrennt werden und dies ist regional/zeitlich unterschiedlich eine sehr häufige Verfahrensweise gewesen.

Verfasst: 15.01.2011 17:27
von ulfr
:idea:

Dann bin ich mit!