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Nofretete von Zahi Hawass zurückgefordert

Verfasst: 25.01.2011 15:05
von Blattspitze
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Ein Interview mit dem Ägyptologen C. Loeben:

1. Hamburger Abendblatt: Haben Sie unabhängig von der Rechtslage Verständnis dafür, dass Ägypten die Rückgabe der berühmten Büste der Nofretete fordert, die sich seit 1913 in Deutschland befindet?

Christian Loeben: Nein, denn eine bessere Botschafterin Ägyptens in der deutschen Hauptstadt und somit in der Mitte Europas könnte sich Ägypten nicht wünschen. Hunderte Museumsbesucher werden von ihr angeregt, in ihre Heimat zu reisen, und der Tourismus ist bekanntermaßen Ägyptens Nationaleinkommen Nummer eins!

2. Warum hat diese Kalksteinbüste für Berlin und Deutschland so große Bedeutung?

Loeben: Sie hat für die Geschichte der Weltkunst enorme Bedeutung und gehört aus diesem Grund der gesamten Menschheit. Wichtig ist, dass sie irgendwo unter den für sie optimalen Bedingungen für jedermann annähernd uneingeschränkt zu besichtigen und bewundern ist. Diese Bedingungen bietet die Museumsinsel in Berlin wie viele andere, jedoch nicht unbedingt alle Orte der Welt auch.

3. Ist Nofretete nicht auch ein Symbol, dass sich die europäischen Mächte bis ins 20. Jahrhundert die kulturellen Schätze der ehemaligen Kolonien angeeignet haben?

Loeben: Nein, denn sie ist als Fund aus einer wissenschaftlichen Grabung hervorgekommen, die unter der Oberaufsicht des ägyptischen Staates, der Spezialisten dafür einlädt, durchgeführt wurde. Diese Grabungen und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse über die Vergangenheit des Landes sind wesentlicher Bestandteil der eigenen Kultur. Da sie mit enormen Kosten verbunden sind, wurden und werden ausländische Mitwirkungen an der Geschichtsgewinnung vom ägyptischen Staat mit Funden aus den Grabungen "kompensiert". So kam Nofretete nach Berlin, das hat nichts mit Kolonialismus zu tun.

4. Was spricht dagegen, die Nofretete in Berlin durch eine perfekte Kopie zu ersetzen?

Loeben: Alles, Kopien könnten überall stehen. Eine "Begegnung" mit Nofretete und dadurch eine emotionale Erfahrung mit ihrer außergewöhnlichen Epoche kann nur mit dem Original erfolgen.

5. Wäre eine Rückgabe der Büste ein Präzedenzfall, der eine Fülle weiterer Rückgabeforderungen nach sich ziehen würde?

Loeben: Nein, denn unstrittig ist, dass Nofretete Teil einer legalen Fundteilung war. Strittig ist offensichtlich nur, ob dabei irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Sollte es dafür Indizien geben, wäre das ein Fall für Juristen, nicht für Kulturpolitiker. Nofretete ist also ein ganz besonderer Fall, der auf kein anderes Museumsobjekt der Welt übertragbar ist.
Quelle:http://www.abendblatt.de/hamburg/articl ... erlin.html

Edit:
Der Nachrichtenticker der Rhein-Zeitung meldet heute morgen, dass ein Schreiben des ägypt. Ministeriums für Kultur mit der offiziellen Forderung nach Rückgabe der Nofretete an den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschickt worden. Der Ministerpräsident Ahmed Nazif habe die Forderung unterzeichnet.
Die etwa 3300 Jahre alte farbige Büste hatte der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt 1912 ausgegraben. Die ägyptischen Antikenverwaltung begründet die Rückforderung mit der Auffassung, Borchardt damals habe die Verantwortlichen in Kairo hinters Licht geführt.
Quelle:
http://www.aegyptologie.com/forum/cgi-b ... 0124101524

Stellungnahme Museen preußischer Kulturbesitz:
http://www.hv.spk-berlin.de/deutsch/pre ... retete.pdf

Verfasst: 25.01.2011 23:17
von FlintSource
Die Ägypter haben natürlich völlig recht. Alle Gemälde von Rembrandt sollten im Rijksmuseum in Amsterdam hängen und Werke von Beethoven und Wagner dürfen nur in Deutschland aufgeführt werden.

Verfasst: 26.01.2011 08:33
von Blattspitze
Hihi Rengert ...


Ist es so, dass Z. Hawass ("Wie ein Pharao regiert er über das Erbe seines Landes" Spiegel online), einer der einflussreichsten Männer Ägyptens, wirklich an die "Rückgabe" der N glaubt?

Ähnliche Forderungen hinsichtlich berühmter Einzelstücke

(Rosetta Stone im British Museum oder hier


Bild

Prinz Ankhaf, mutmaßlicher Pyramidenbaumeister)

und "Beutekunst", sind auch anderen Ländern gegenüber gemacht worden.
Tatsächlich steht wohl ein anderer Wunsch, andere Interessen dahinter?

Ägyptologen sind ja hinsichtlich Grabungserlaubnis vielfach in äußerst prekären Situationen ...

Verfasst: 26.01.2011 09:28
von Bullenwächter
Zahi Hawass versteht es die Medien für sich und seine Arbeit zu nutzen. Mit solchen Forderungen versucht er sich im In- und Ausland Gehör zu verschaffen und Mittel für seine Behörde zu beschaffen - da es um die politische und ökonomische Situation in Ägypten momentan nicht zum Besten bestellt ist und damit auch direkt die Kulturschätze betroffen sein werden. Die aktuellen Ereignisse sorgen zudem dafür, dass einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Ägyptens, der Tourismus, zusätzlich leidet und damit weniger Geld im Land bleibt.

Ägypten kann sich glücklich schätzen diesen Mann an dieser Stelle zu haben.

Verfasst: 27.01.2011 09:39
von Thomas Trauner
Da zu einer schlussletztendlichen Aussage zu kommen ist da schon schwierig.
Der Verdacht, dass beide Seiten mit der Popularität der Schönen, die kommen oder bleiben soll und damit mit dem Geld rechnen, ist schon offensichtlich.
Einerseits sind die Teilungsverträge von 1912 formal sicher rechtens.
Andererseits.....Ägypten war formal eigenständig, aber unter britischem Mandat. Die ägyptische Archäologie wurde durch die Briten weiter den Franzosen überlassen, die sich seit Napoleon damit beschäftigen.
Stellt sich schon, rein formal, die Frage, ob es sich hier nicht um einen Vertrag zum Nachteil Dritter handelt, der ungültig wäre.
Ferro und ich können keinen gültigen Vertrag machen, dass Ulfr uns seine schönste Speerschleuder überlässt.
Dass man gerne mit „damaligen Recht“ argumentiert ist sicher ein Grundsatz der Rechtsprechung, hat aber den Sinn, Rechtsfrieden zu schaffen. Dass das nicht immer ok ist, sehen wir ja an verschiedenen Rechtsfällen aus Unrechtsstaaten. Und Imperialismus und Kolonialismus sind unrecht.

Zum Umgang mit arch. Fundgut....nun, wir diskutieren hier ja auch immer wieder, wie nahe Artefakte an ihrem Fundort verbleiben sollen. Sollten die Glaubergfunde nach Darmstadt ? Funde aus Bayreuth nach München ? Mögen wir auch nicht.

Insoweit verstehe ich das Anliegen der Ägypter schon, mag man von Hawass nun denken, was man will.

Praktisch....ob Ägypten oder andere Schwellenländer tatsächlich in der Lage sind, die dann doch recht zahllosen Rückführungen ordentlich zu verwalten, zu erhalten und zugänglich zu lassen, darf man bezweifeln. Das ist aber auch immer, auch innerhalb der deutschen Arch. das Totschlagargument zwischen den interessierten Parteien. Auch bei uns „verschwinden“ Artefakte in Indiana-Jones-mäßigen Stapelhallen der Landesmuseen, obwohl sie am Fundort wirklich gut täten. Andererseits verkümmern wertvolle Sammlungen in Heimatmuseen. Zur Zeit wird z.b. das Städtische Richard-Wagner-Museum in Bayreuth ob seiner provinzialen Öffnungszeiten, seiner schlechten Zugänglichkeit und Unsortiertheit von der weltweiten Wissenschaft arg angegangen. Zu Recht.

Übergeordnet....klar ist auch die Schöne, die kommt oder bleibt, Weltkulturerbe. Das arabische Ägypten hat kulturell mit dem bronzezeitlichen Ägypten sowenig zu tun wie wir mit „unserer“ Urnenfelderzeit.
Trotzdem denke ich, dass der Fund erstmal dort aufbewahrt und gepflegt werden sollte, wo er herstammt. Ausnahmen gerne. Wenn es dem Artefakt gut tut und beide Seiten damit einverstanden sind.

Nix für ungut.

Thomas

Verfasst: 27.01.2011 11:15
von Blattspitze
Man muss unbedingt mit damaligem Recht operieren, alles andere wäre fatal und würde konsequent zu Ende gedacht alle Arten von Verträgen hinfällig machen und z.B. zur Kriegsrechtfertigung dienen können. Das ist daher tatsächlich „alternativlos“.
Auch auf die Gefahr hin, das später jemand unsere heutige Rechtsprechung als „Unrecht“ beurteilt. Wir können ja angesichts uns allen bekannter und von uns mitgetragener aktueller Umweltzerstörung, Ressourcenverschwendung und Sklavereiauslagerung in andere Länder sowieso sicher sein, das in der Zukunft unser Recht als Unrecht und unser Staat als Unrechtsstaat und wir alle als Mitläufer bezeichnet werden, alles andere wäre naiv.

Abgesehen davon kann man angesichts "brand"-aktueller Meldungen aus Ägypten froh sein, dass entsprechendes Kulturgut weltweit verteilt ist.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was eine "Kulturrevolution" durch "Gotteskrieger" anrichten könnte ...

Verfasst: 27.01.2011 11:28
von LS
Die Nofretete ist doch tatsächlich die "beste Botschafterin Ägyptens" in Mitteleuropa, oder nicht?
In anderen Fällen fragt man sich schon, ob der "Schatz des Priamos" nicht in Troja besser aufgehoben wäre als sowohl in Moskau als auch Berlin. Der Goldschatz von Eberswalde wäre nun dagegen besser wieder in Berlin aufgehoben, würd ich mal so nach Bauchgefühl sagen. Leider geht es aber wohl eher nicht um Bauchgefühle bei solchen Fragen, denn sonst wäre Regionalität der Fundpräsentation sicher das, was den meisten Leuten sympathisch wäre. Und da hört es dann schon in deutschen Bundesländern mit ihren Landesmuseen auf...

Gruß L

Verfasst: 27.01.2011 11:34
von Nils B.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was eine "Kulturrevolution" durch "Gotteskrieger" anrichten könnte ...
Die steht in Ägypten aktuell wohl nicht zu befürchten, da die bewegten Massen dort meines Wissens größtenteils aus jungen Itellektuellen, vorwiegend Studenten, bestehen, welche eine Demokratie fordern, keinen Gottesstaat.

Jedoch wird es natürlich immer Elemente geben, die 'destabilisierte Verhältnisse' dazu nutzen, sich selbst zu berreichern (siehe Museumsplünderungen in Baghdad) oder im Namen einer Wahnidee blind zu zerstören.

Um ehrlich zu sein warte ich auch aus den USA auf die ersten Farbbeutel-Attacken (oder schlimmeres) durch Kreationismus-Fanatiker auf Museumsartefakte wie Saurier- und Neandertalerknochen oder andere unbequeme Evolutionsindizien.

Verfasst: 27.01.2011 12:32
von Thomas Trauner
Mit der Eignung eines Schwellenlandes und evtl. unsachgemäßer Unterbringung zu argumentieren, wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen in den Schwellenländern, die ihre miserable Situation gerne mit der Arroganz der sogenannten ersten Welt erklären. Gerade in der arabischen Welt ein liebgewordenes Argument.

Blattspitze – zur Rechtslage.
Damit soll und muss argumentiert werden. Eben wg. des Rechtsfriedens. Weil eben sonst...Pandämonie und Chaos.
Die Frage ist der Charakter des damaligen Vertragswerkes. Dabei geht es gar nicht um etwaige Falschangaben über den „Wert“, wie er andernorts (Spiegel etc.) diskutiert wird, sondern um die Frage inwieweit im konkreten Fall der Schönen die kommt, oder eben bleibt, die Vertragspartner überhaupt berechtigt waren, darüber einen Vertrag zu machen.
Bayern und Preussen könne eben nicht untereinander einen Vertrag machen, dass Paris den Eiffelturm rausrückt, damit wir ihn nach Berlin bringen.

Je nach Artefakt wäre das eine juristische Einzelprüfung des jeweiligen Artefaktes. Kriegsbeute, Diebstahl, Unterschlagung, Hehlerei geht gar nicht. Kauf ist immer ok, bei Fundteilung eben der Vertrag.

Es ist schon klar, was los wäre, wenn hier ein Exempel statuiert wird.
Mona Lisa nach Italien, Nofretete nach Kairo, Priamos....äh, wohin eigentlich ?....Albrecht Dürer wieder zurück nach Nürnberg. Wagner nur in Bayreuth (was ich persönlich für keine schlechte Lösung hielte..)

Deshalb meine Meinung: juristische Einzelfallentscheidung.

Thomas
Hmmm....Böll nach Köln... :shock: :oops:

Verfasst: 27.01.2011 12:41
von Blattspitze
Was haben Marlene Dietrich, Käthe Kollwitz und Nofretete gemeinsam? Sie alle sind berühmte Berlinerinnen. Ausgerechnet die ägyptische Königin soll aber die berühmteste sein.

Für die Hauptstadt spielt sie heute eine ambivalente Rolle: Gefeiert als Publikumsmagnet lässt sie auf der Museumsinsel die Kassen klingeln.
Quelle:http://www.nofretete-geht-auf-reisen.de/berlin.htm
die bewegten Massen dort meines Wissens größtenteils aus jungen Itellektuellen, vorwiegend Studenten, bestehen, welche eine Demokratie fordern, keinen Gottesstaat
Ich hoffe ja auch so Nils, aber die allwissende Scholl-Latour-Mumie murmelte jüngst in die Orakel-Kloschüssel, das intellektuelle Studenten, besonders in ländlichen Gebieten Ägyptens, leider noch nicht die Bevölkerungsmehrheit stellen. Somit besteht die realistische Gefahr, dass Studenten demokratische Freiheiten erkämpfen, die dann in Wahlen zu aus unserer Sicht bestürzenden Ergebnissen führen können.

Edit: Thomas, für "Einzelfallentscheidungen" benötigen wir zahllose zusätzliche Kohorten von Juristen, oder?

Verfasst: 27.01.2011 12:42
von ulfr
Ferro und ich können keinen gültigen Vertrag machen, dass Ulfr uns seine schönste Speerschleuder überlässt.
:baer:

Ich sehs wie Thomas: Einzelfallentscheidung, weil die Faktenlage zu jedem Artefakt verschieden ist und nichts generalisiert werden kann. Und: Entscheidung möglichst zum Wohl des Fundes.

Verfasst: 27.01.2011 12:53
von Blattspitze
Ähh, meint Ihr jetzt, dass der Einzelfall Nofretete neu verhandelt werden muss?

Verfasst: 27.01.2011 14:13
von ulfr
Nein, aus oben genannten Gründen wird das nicht möglich sein bzw. würde es eine ungeheure Latte an Prozessen bis hin zu Auseinandersetzungen jeglicher Art provozieren, besonders wenn es um internationale Beziehungen geht. Dieses Thema ist so komplex, das sollten wir der Politik überlassen, dafür ist sie da.
Aber innerdeutsch (Fundregion/Heimatmuseum vs. Landesmuseum) würde ich dafür plädieren, den Einzelfall zu prüfen und im Zweifelsfall zum Wohle des Fundes zu entscheiden.

Verfasst: 28.01.2011 09:00
von Blattspitze
das sollten wir der Politik überlassen
Genau, die dürfen ja auch "Verträge" zu Lasten "Dritter" machen, hihi ...

Verfasst: 28.01.2011 19:40
von Fridolin
Nils B. hat geschrieben:Die steht in Ägypten aktuell wohl nicht zu befürchten, da die bewegten Massen dort meines Wissens größtenteils aus jungen Itellektuellen, vorwiegend Studenten, bestehen, welche eine Demokratie fordern, keinen Gottesstaat.

Jedoch wird es natürlich immer Elemente geben, die 'destabilisierte Verhältnisse' dazu nutzen, sich selbst zu berreichern (siehe Museumsplünderungen in Baghdad) oder im Namen einer Wahnidee blind zu zerstören.
Hierzu passen folgende Meldungen der BBC (mit Uhrzeit)
1810: An Egyptian film producer calls on the army to deploy troops around the world-famous Cairo Museum, close to where one of the main protests has been taking place. He tells al-Arabiya TV that not "one single soldier" is currently protecting the institution.

1949: Marsia Bealby from Lichfield writes: "I am deeply concerned about the Egyptian Museum in Cairo, and its immense archaeological treasure, since apparently there is a fire nearby." We are trying to stand up reports some protesters have formed a human chain outside the museum to protect its artefacts.


http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-12307698

Mittlerweile (ca. 21Uhr) wird das Ägyptische Museum vom Militär bewacht (Quelle: Nile TV International auf Hotbird)

23Uhr: Sorge um das Ägyptische Museum im kairo: der Brand im Nachbargebäude könnte auf das Museum überschlagen... (Al Jazeera)