Kleidung

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Anne
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Kleidung

Beitrag von Anne »

Kleidung im Neolithikum

Die einzige nahezu vollständig erhaltene jungsteinzeitliche Kleidung stammt von dem 1991 in den Ötztaler Alpen gefundenen "Mann aus dem Eis". Die Nähtechnik an seiner Kleidung aus Fell und Leder ist auf höchstem handwerklichen Niveau - siehe z.B. die Überwendlingstich-Nähte am taillierten (!) Lendenschurz! Die hell- und dunkelbraunen Streifen am Obergewand sind mit großer Sorgfalt zusammengenäht - was von den Ziegenfellen übrigblieb, wurde patchworkartig zu Beinlingen zusammengesetzt. Derlei Kleidung setzt eine vorhergehende Bearbeitung der Tierhäute voraus, auch wenn wir darüber noch nichts Genaues wissen.
Seine Mütze ist aus Bärenfellstücken zusammengenäht. Aus Bärenfell sind auch die Sohlen der dreilagig aufgebauten Schuhe, während für die Oberteile Hirschfell verwendet wurde. Die Isolierschicht aus Gras wird von einem der Fußform angepassten Innengeflecht aus Lindenbast rundum im Schuh zusammengehalten - High Tech der Steinzeit! (Exper. Arch. Bilanz 1999; ZAK 58, 1/2001; AEAS Anzeiger 2005)

Ein indirekter Nachweis für Schuhe aus Fell oder Leder kam 2000 mit dem Fund der sog. "Rheumasohle" von Zug/CH (3150 v.Chr.) zutage (Jb. SGUF 85, 2002). 2003-2005 tauchten aus dem abschmelzenden Gletscher am Schnidejoch/CH u.a. ein weiterer neolithischer Lederschuh und ein Hosenbein/Legging auf (www.be.ch/aktuell, 11.11.2005). Die am Rieserferner/I gefundenen "Strümpfe" und Leggings aus Wolle und Fragmente eines Schuhs stammen aus der Eisenzeit (8.-6. Jh. v. Chr.). Aus den Niederlanden sind gewebte Wollstrümpfe (beenwarmers) bekannt, weitere Kleidungsstücke aus Moorfunden.

Fell und Leder sind je nach Klima und Jahreszeit sicher schon im Paläolithikum zu Kleidung verarbeitet worden - die fein geschliffenen Nadeln und Ahlen wurden zum Nähen benutzt. Und im Neolithikum wurden die Häute der gezüchteten und gejagten Tiere auch nicht weggeworfen, sondern nach wie vor zu Kleidungsstücken für die kältere Jahreszeit verarbeitet (und in den Bergen kann es auch mitten im Sommer noch ziemlich kalt werden). Dass davon nichts übrigblieb, liegt an den Erhaltungsbedingungen im Boden.

Gewebte Stoffreste aus dem seit dem Neolithikum angebauten Flachs gibt es in den Seeufersiedlungen zuhauf. Spinnwirtel und Webgewichte zeugen von der neuen Technik. Viel älter ist die ebenfalls stoffbildende Zwirnbindetechnik, die ohne jedes Hilfsmittel ausgeführt werden kann. Auch hierfür liefern die Seeufersiedlungen Fragmente in den verschiedensten Mustern. Sie könnten zu Umhängen (AEAS Anzeiger 2000), Röcken, Matten u.a. gehört haben. Relativ vollständig erhalten sind einige spitzkegelförmige Hüte (Hemmenhofener Skripte 5) und verschiedene Sandalen, meist aus Lindenbast (Exp. Arch. in Europa, Bilanz 2006). Die wissenschaftliche Bearbeitung eines Hutes aus Pestenacker ist noch nicht abgeschlossen.
S. Crumbach

Beitrag von S. Crumbach »

Hallo Anne,
die Frage ist für mich inwieweit Gewebe iwrklich "Kleidung", also Hemd oder Timka etc. waren.
Persönlich denke ich, daß gewebte Stücke die eigentliche Kleidung eher ergänzt haben, vielleicht eine gewebte Tunika und ein pelziger Umhang >(?)
Thomas Trauner

Beitrag von Thomas Trauner »

Tja, wie fang ich?s an....

Eine Anmerkung zu Ötzis?Leder: M.Egg schreibt, dass das Leder ziemlich sicher fettgegerbt und anschließend geräuchert wurde.
Damit ist ein recht guter Wetterschutz zu erreichen.

Sylvias?Einwurf ist schwierig zu beantworten.
Es gibt tatsächlich einen Artikel (den Autor müsste ich heraussuchen) in einem der Symposiumsbände zum Fund vom Hauslabjoch, der sehr klar und vehement abstreitet, dass die Neolithischen Stofffunde irgend etwas mit Kleidung zu tun gehabt hätten. Er schlägt alles mögliche vor, incl. Windeln (sic.)
Es ist tatsächlich so, dass keines der vorhandenen Fragmente einen zwingenden Beweis liefert, Bestandteil eines Kleidungsstückes gewesen zu sein. Die Größe der Stücke lassen einfach keine bestimmte Form des ursprünglichen, gesamten Stoffstückes erkennen.

Allerdings hat der Autor schon große Mühe, die seit der LBK vorhandenen Figurinen oder Abbildungen auf Stelen zu erklären. Die Stelen aus Petit chausseur, CH zeigen z.B. Menschen mit in geometrischen Mustern verzierter Kleidung.
Die Interpretation als "gepunztes Leder" klingt schon sehr gewollt.
Außerdem werden noch folgender Fakten negiert:
Es gibt praktisch keine neolithische Siedlung aus der Hinweise auf Weberei fehlen. Es fehlt jedoch jeder Hinweis auf Lederverarbeitung im großen Maßstab.
Weder finden sich eindeutig nachgewiesen Gerbgruben, noch spricht die Anzahl der tierischen Knochenfunde für eine regelhafte Verwendung von Häuten als Kleidung. Jagdausstattungen sind deutlich unterrespräsentiert, Wildknochenfunde sind äußerst selten.
Ausserdem sprechen Pollenanalysen und Samenfunde für großangelegte Leinkulturen.
Die Schafhaltung steht ausser Frage, allerdings ist nicht klar, wieviel Wolle ein Schaf geben konnte.

Addiert man also die Argumente die für gewebte Kleidung sprechen (Stofffunde, Webgewichte, Spindeln, Anbau von zum Weben geeigneter Pflanzen, Verhältnis der Knochenfunde sowie die Figurinen- und Stelenabbildungen) und vergleicht sie mit dem einzigen Argument, dass gegen Stoffkleidung spricht, nämlich der nur fragmentarischen Erhaltung von Stoffen, scheint mir das Übergewicht deutlich auf Pro für die Stoffkleidung zu liegen.

Ausserdem liegt m.E. zumindest der Verdacht auf einen methodischen Fehler in der Contra-Stoffkleidung-Argumentation vor.
Müsste ich für die gestattete Annahme von Stoffkleidung immer nur von eindeutig als Kleidungsstück erkennbaren Stofffragmenten ausgehen, hätte ich über weite Strecken das Problem des Nachweises.
Ausser den oben erwähnten Beinlingen vom Riesenferner liegen keine solche Nachweise für die frühe Eisenzeit vor.
Für die Urnenfelderzeit hätte man gar kein Argument.
Selbst bei den Römern hätte man so seine Schwierigkeiten.
In allen diesen Fällen erschließt sich die Verwendung von Stoffen als Kleidung nur indirekt, über Fibeln, Webgewichte, Abbildungen etc.

Es gibt nach meinem Dafürhalten kein Argument, welches gegen die Verwendung desselben indirekten Schlusses für das Neolithikum spricht.
Dass Bestandteile der Kleidung aus Leder oder Fell gewesen sein können, ist natürlich klar. Es spricht nur wenig für eine regelhafte Verwendung.

Thomas

PS: Ich möchte schon wollen, mich nicht in die Nessel zu setzen und dem Weben nicht genug Gewicht beizumessen. Ich würde zu schnell den Faden verlieren, ALeine mit Leder zu argumentieren.... :shock: :D :shock:
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Hallo Thomas,

Du schreibst, dass sich keine eindeutig nachgewiesen Gerbgruben finden lassen.

Frage: Was zeichnet Gerbgruben überhaupt aus?

Die bekannten Schlitzgruben gibt es seit der Bandkeramik und nicht wenige Archäologen bringen sie mit der Gerberei in Verbindung (d.h. sie vermuten es wohl nur..). Über naturwissenschaftliche Untersuchungen von Schlitzgruben ist mir nichts bekannt. Weißt Du mehr?

Viele Grüße

Fridolin
Thomas Trauner

Beitrag von Thomas Trauner »

In der Literatur werden die Schlitzgruben der LBK der Entnahme von Material für den Wandbewurf und der anschließenden Verwendung als Vorratsgruben zugeordnet.

Der Punkt auf den ich hinaus will, ist der, dass es bislang keine Nachweise von Gerbgruben gibt, z.B. durch naturwissenschaftlichen Nachweis von Gerberloheresten. Dieser ist möglich (es gibt sogar paläolithische Nachweise).

Aber als Gerbgruben wurde einfach noch keine angesprochen. Vielleicht ist eine Fundlücke, kann sein.
Konkrete naturwissenschaftliche Untersuchungen an LBK-Gruben müsste ich auch erst suchen, ich weiss auch nur die üblichen Vorschläge.
Ich würde die Gerbgrube aber auch nicht genau neben dem Haus vermuten. :shock:

Spätestens durch den Fund am Hauslabjoch ist natürlich klar, dass im N. gegerbt wurde.

Nur - für die Annahme einer regelhaften und häufigen Verwendung von Lederkleidung müsste der Nachweis in praktisch allen Siedlungen des gesamten N. vorliegen. Man darf eine Theorie (hier Lederkleidung) nicht mit Fundlücken begründen.
Sonst wären die Leinenreste Bespannung für eine Holzsegelflugzeug....

Es ging mir mehr um die Methodik der Argumentation als um den kompletten Nachweis des NICHTvorhandenseins von Gerbgruben.

Eine der am umfangreichsten publizierten LBK Siedlungen ist übrigens Langweiler in NRW. 5 Bände.
Zur Bibliotheksbenutzung der NHG bist Du jederzeit willkommen. PN/Anruf genügt.

Thomas
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Thomas,

danke, ich dachte ich hätte etwas verpasst: es fehlt einfach der konkrete Nachweis für Gerbgruben.

Aber bei den Schlitzgruben hast Du Dich wohl verschrieben, oder? (In der Literatur werden die Schlitzgruben der LBK der Entnahme von Material für den Wandbewurf und der anschließenden Verwendung als Vorratsgruben zugeordnet.).
Die ungewöhnlichen Maße von Schlitzgruben (im obersten Planum ca. 2-3 m Länge und nur ca. 40 cm Breite, ca. 1,50 m tief, nach unten zu immer schmaler werdend) macht gerade die Deutung als Materialgewinnungsgrube unwahrscheinlich: zu aufwendig und zu kompliziert.
Ich kenne nur zwei Deutungen: (a) Annäherungshindernisse und (b) Gerbgruben.

Schönes Wochenende

Fridolin
Thomas Trauner

Beitrag von Thomas Trauner »

Da habe ich was überlesen. So ist das mit den besetzten Begriffen. Natürlich habe ich sie mit den normalen, beiseitig der Häuserflucht liegenden Gruben verwechselt. Sorry.
Du bringst mich jetzt aber auch zum Nachdenken....Schlitzgruben. Da les ich mal noch nach.

Gib mir mal nen Tipp: Wer vermutet den diese Hinternisse und die Gerbgruben ?

Th.
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

da musste ich selbst mal wieder googeln. Die beste Beschreibung von Schlitzgruben findet sich mal wieder in der Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Schlitzgrube

Außerdem bin ich auf eine evtl. noch laufende Diplomarbeit gestoßen:

Jasmin Becker, Phosphatuntersuchungen an Bodenproben aus Schlitzgruben, TU Bergakademie, Freiberg (Link von 2003).

Endlich tut eine(r) mal was, wollte das Problem schon selbst angehen.

Viele Grüße

Fridolin
Anne
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Nochmal Kleidung

Beitrag von Anne »

Ötzi hatte nur Kleidung aus Leder und Fell am Körper - wenn man von den Innengeflechten aus Lindenbast in den Schuhen absieht. Das Grasgeflecht, das unter ihm noch am Stein festgefroren war, war eine gerade Matte - kein Umhang, wie vom RGZM gezeichnet.

Neolithische Leinengewebe: Es gibt tatsächlich kein vollständiges Kleidungsstück und nur ganz wenige Reste von Nähten, aus denen sich aber keine Form rekonstruieren lässt.
Ein gerades Stück Stoff kann als Lendenschurz zwischen den Beinen durchgezogen (vielleicht wird das als "Windel" bezeichnet) oder um die Hüften geschlungen als eine Art Jupe, kürzer oder länger, getragen werden - ethnologische Vergleiche gibt es weltweit. Tunika und Stola kennen wir von den Römern. Umschlagtücher gibt's auch heute noch. (Analog zur Ötzi-Kleidung könnte man sich aber auch kompliziertere Formen vorstellen.)
Dass die Menschen in Europa Kleidung brauchten, je nach den klimatischen Verhältnissen mehr oder weniger - aus Fell, Leder, Geflechten oder ab dem Neolithikum aus gewebtem Stoff (weshalb hätte man sich denn sonst die Mühe machen sollen?) - dürfte unbestritten sein. Auf Felsbildern und Stelen sind eindeutig Kleidungsstücke zu erkennen, oft sogar mit aufwendigen Mustern verziert - auch wenn daraus das Material nicht unbedingt zu erschließen ist.

Dass Reste von Leder-, Fell- oder Wollkleidung nicht gefunden werden - außer allenfalls im Eis oder im Moor - liegt an den Bodenbedingungen, wo sich derlei nicht erhält.
Im übrigen dürfen wir nicht vergessen, wie wenig überhaupt sich über Jahrtausende erhalten konnte - und welch geringer Bruchteil davon meist zufällig ausgegraben wurde!

Anne
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Fridolin
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Beitrag von Fridolin »

Tatsache: Aus neolithischen Pfahlbausiedlungen kennt man nur geringe Reste von sehr groben Stoffen.
Ein am Bodensee tätiger Archäologe meint dazu: Vieleicht sind es nur die Fetzen von Säcken. Aber für Kleidung aus gewebten Stoffen gibt es bisher keinen Nachweis.
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Hans T.
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Beitrag von Hans T. »

Säcke mit Brochiertechnik? :P

Hier die Rekonstruktion eines Funden aus Irgenhausen CH, spätneolithisch.

Grüße
Hans

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"Des is wia bei jeda Wissenschaft, am Schluß stellt sich dann heraus, daß alles ganz anders war."
Anne
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Beitrag von Anne »

Wer ist der "am Bodensee tätige Archäologe", der nur Reste von "groben Säcken" gesehen hat? Vielleicht sollte er mal probieren, selbst so fein zu spinnen und zu weben wie die Neolithiker!
S. Crumbach

Beitrag von S. Crumbach »

Thomas, was hält Du von der Idee das Irgenhausen Fragment nach Wininger in die Frühe Bronzezeit zu datieren?

Anne, warum nicht? Pflazenfasern sind erheblich kniffeliger zu verarbeiten als Wolle :)
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Hans T.
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Beitrag von Hans T. »

Sylvia, die Wininger-Datierung ist mir bekannt. Es gibt auch andere Auffassungen.


Selbst wenn - ich kann nicht nachvollziehen, dass es ausgerechnet nun mit Einzug der Bronzezeit schlagartig auch der Bekleidungsstil wechselte.

Ich verstehe den Thread nicht so ganz, wenn ich ehrlich bin. Nimmt man den Maßstab, dass nur der direkte Artefakten-Beweis gilt, haben wir ausser den Baumsargfunden nicht ein Finzelchen Stoff, das eindeutig der Bekleidung zuzuweisen ist. Nicht mal aus dem Hochdorfer Fund gibt es Bekleidungsreste, die als solche eindeutig sind. Wir haben keinen Beleg für die UK, nichts für HA und LT, ja nicht mal römische Funde gibt es, von der Spätantike abgesehen. Wir stützen uns auf Gewebereste, auf Nachweis des Handwerks, auf bildliche Darstellungen ( ab Rom auch auf Texte). All das haben wir auch für das Neolithikum.

Hans
"Des is wia bei jeda Wissenschaft, am Schluß stellt sich dann heraus, daß alles ganz anders war."
Thomas Trauner

Sache Neolithiker, vertr.d.Wininger u.a. Fall 5500BC

Beitrag von Thomas Trauner »

Sehr geehrter Vorsitzender, sehr geehrte Beisitzer, sehr geehrte Damen und Herren der Verteidigung, sehr geehrte Forums-Geschworene,

uns liegt einer der wichtigsten Fälle der vormetallzeitlichen Verfahren der letzten Zeit vor.

Die Frage, meine sehr verehrten Anwesenden, ist.....

Haben sich die Neolithiker, in deren Abwesenheit hier verhandelt wird, schuldig gemacht ?

Sind sie schuldig der vorsätzlichen und planvollen Herstellung, Verbreitung und Verwendung von aus vegetatiblen oder tierischen Fasern gewebten Kleidungsstücken ?

Sind sie es ? Meine Damen und Herren...sie sind es. Sie sind schuldig. Schuldig wie man nur sein kann.
Sie hatten die Mittel, sie hatten die Gelegenheit, sie hatten das Motiv.
Schuldig, schuldig, schuldig.

Beweise, werden sie fragen. Nun, Beweise........ich gebe zu, das Corpus delicti liegt dem Gericht nicht vor. Aber sollte es ? Kann man das nach der langen Zeitspanne der Tat, besser der TATEN noch erwarten ? Wir wissen alle, nicht zuletzt aufgrund der unter wissenschaftlichen Beobachtung stattgefundenen Experimente zur Dekomposition von menschlichen, tierischen und vegetatiblen Geweben des FBI in Virginia, USA, den sogenannten ?Potters-field-experiments? sowie der Beobachtungen aus den zahllosen Grabungstätigkeiten aus dem Fachbereich der Archäologie, die immer wieder gezeigt haben, dass sich solche Gewebe nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen über einen längeren Zeitraum erhalten. Vollständige Erhaltungen liegen nur in extrem wenigen Fällen vor, konkret bekannt sind lediglich einige wenige Fälle aus Dänemark und dem Alpengebiet. Aber diese Fälle liegen alle um 1000 bis 2000 Jahre nach der hier angeklagten Serientäterschaft der Neolithiker. Die Umstände, die zu deren Erhaltung führten, sind zum Teil noch nicht vollständig geklärt, sie sind in jedem Fall außergewöhnlich. So außergewöhnlich, dass sie unseren Fall nicht beeinflussen können und sollen.
Es ist absurd, hier den ermittelten Behörden eine Aufgabe zu stellen, nämlich die Sicherstellung eines komplett erhaltenen Kleidungsstückes, die in einem solchen Zusammenhang in ähnlichen Ermittlungsverfahren gegen die Bronzezeitlern, deren Cousins, den UK-lern und deren in mafiaähnlicher Struktur verwandten Eisenzeitlern noch nie gestellt wurden.
Es ist, wie in den vorgenannten Verfahren, ein Indizienprozess.
Indizien. Indizien, meine Damen und Herren, sind Hinweise. Sie sind, da gebe ich den Damen und Herren der Verteidigung völlig recht, nie Beweise. Aber solche Hinweise, solche Indizien können erdrückend sein. Sehr erdrückend sogar.
Wie in diesem, unserem Fall.

Hatten sie die Mittel ? Ja, eindeutig. Es liegen Tatwerkzeuge vor. Werkzeuge, die in allen anderen bekannten Fällen immer nur ein Ziel hatten. Die serienmäßige Herstellung von Geweben. Hatten sie außer den Werkzeugen Rohstoffe ? Ja. Nicht einmal selten. Es wird auch von der Verteidigung nicht bestritten, dass sie diese Rohstoffe sogar geplant und vorsätzlich herstellten.

Hatten sie die Gelegenheit. ? Ja, eindeutig. Arbeitsteilige Gesellschaft, gute Informationswege, vernünftige Zeiteinteilung dieser Gesellschaft stehen nicht in Abrede. Das sie webten, wird auch nicht in Abrede gestellt.

Hatten Sie ein Motiv ? Ja, eindeutig.
Es wird auch von Seiten der Verteidigung nicht in Abrede gestellt, dass ?Kleidung? ein Bedarf dieser Gesellschaft, oder sollte man nicht sogar sagen, dieser Gruppe, ja sogar dieser Bande war.
Nun- die Gegenseite wirft ein, dieses Motiv führte nicht automatisch zur Verwendung von gewebten Stoffen als Grundlage für Kleidung.
Sie bestreitet weder die Mittel noch die Gelegenheit. Sie bestreitet ein Motiv.
Aber, meine Damen und Herren, meine sehr verehrten Anwesenden....
Auf Dummheit und Unzurechnungsfähigkeit der Beklagten zu plädieren ist eine Sache, es ist das gute Recht der Verteidigung. Aber es auf die Spitze zu treiben, ist eine andere.

Wieso um Himmelswillen, sollte die durchschnittliche Neolithikerin, der durchschnittliche Neolithiker NICHT auf die Idee kommen, Stoffe, die sie hatten, nicht auch als Kleidung zu nutzen ?
Warum, frage ich sie ? Ist es ernsthaft anzunehmen, dass die Beklagten Herstellungsverfahren entwickelten, Rohstoffe beschafften, um dann im allerletzten Moment die Tat nicht zu vollziehen ?
Welche Theorie soll das denn stützen ? Dürfen wir überhaupt eine Solche Theorie, wenn sie denn ausgesprochen würde, verwenden ?
Nun, wir stehen alle auf den Schultern des großen Theorie-Theoretikers Meister Ockham.
Er sagte zurecht, die einfache Lösung ist zu bevorzugen. Er sagte, man sollte keine zweite Theorie konstruieren, um die erste zu stützen.

Ja ? meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer. Genau das tut die Verteidigung.
Sie fordert eine zusätzliche Theorie über die Nichterkenntnis der Verwendungsfähigkeit von Stoffen zur Kleiderherstellung um ihre Theorie der Verwendung von Tierhäuten als Kleidung zu stützen.
Tierhäuten, einfach so, ohne Beleg für die regelhafte Bewirtschaftung und Herstellung. Tierhäute, na ja, warum nicht. Warum keine Blätter ? Wie wär es mit Papier, das sie aus alten Lumpen (die hatten sie ja !) herstellten ? Gras ? Ja ?Gras ! Eine Decke, ein paar Hüte und ein paar Sandalen hätten wir ja...

Nein, meine Damen und Herren. Es geht hier nicht um die Auflistung eventueller, denkbarer zusätzlicher Stoffe.
Es geht um die Theorie, welche belegen soll, dass die Neolithiker hier nicht auf das Naheliegende gekommen sein sollen. Diese Theorie fehlt. Und selbst wenn sie formuliert würde, ist sie nötig, ist sie sinnvoll ? Vielleicht ethische oder moralische oder gar religiöse Gründe ? Vielleicht hatte das Gehirn des Neolithikers einen Webfehler ?

Ist der Fußabdruck im Schnee des Himalaya ein Yeti oder doch nur eine Ziege ? Es ist eine Ziege. Muss ich eine besonderes Tier fordern um diesen Abdruck zu erklären ? Muss ich nicht. Auch die Verteidigung nicht.
Muss ich umständlich sämtliche bildlichen Darstellungen von den Figurinen der LBK, über die Mittel/jungneolithischen Darstellungen aus Serbien bis zu den Stelen des Endneolithikums der Schweiz auf Leder umdeuten ? Gut ? könnte ich. Die Kunst und die Wissenschaft ist frei. Aber was fordere ich dabei ? Eine zusätzliche Theorie. Die der Nichterkenntnis.

Also noch mal ? Was um Himmelswillen soll die Neolithiker davon abgehalten haben, zu entdecken, dass Stoffe wärmen, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, dass sie zu färben waren, dass sie nicht teuer mit für Menschen viel besser geeigneten Nahrungsmitteln erkauft werden müssen ? Das jedes Jahr mehr als genug Rohstoffe zur Herstellung des neuesten chiques zur Verfügung standen ?

Wir sollten das Verfahren mit Ockhams Rasiermesser abkürzen.
Wenn etwas aussieht wie eine Ente, fliegt, schwimmt und schnattert wie ein Ente, ist es eine Ente. Und manchmal, so sagte Freud, ist eine Zigarre einfach eine Zigarre.

Fordern wir den Ermittlungsbehörden in diesem Fall nicht mehr ab, wie in anderen Fällen. Indirekte Hinweise haben schon in ganz anderen Fällen zu einem dichten Netz an Indizien geführt, in dem sich die Angeklagten verstrickten.

Sprechen wir sie schuldig. Belasten wir das hohe Gericht und die Aufmerksamkeit der Geschworenen nicht weiter. Lassen wir Ötzi in Frieden ruhen und die Webgewichte auch.

Beenden Sie, sehr verehrte Geschworene, diesen Prozess mit einem Schuldspruch.
Schuldig der gewerbsmäßigen Herstellung, Verbreitung und Verwendung von gewebter Kleidung. Schuldig.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Thomas Trauner
Anwaltskammer Arbon-Bleiche IV
hier auch in der Sache zuständig für Irgenhausen, Federsee u.a.









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