Einen angenehmen Nachmittag!
Zitat Rengert:"...aber es gibt bei diesen Dingen dank der guten Erhaltung endlich mal keine Diskussion wie herum die Klingen geschäftet sind."
Bislang, Rengert, aber ich gedenke, dies hiermit zu ändern und versuche, mich knapp zu halten.
Zitat Rengert: "...die ersten definitiven Hinweise auf archäologische stumpfwinklige Dechseln."
Schon jetzt melde ich hier höchste Zweifel an! Im Folgenden meine Argumente.
Das Leben im dynastischen Ägypten war stark reglementiert und bestens organisiert, da werdet ihr mir wahrscheinlich zustimmen. Wichtige Dinge überliess man nicht dem Zufall. Eine "staatstragenden Säule" war die Handwerkerschaft. Deren Tätigkeiten folgten klaren Regeln und Vorgaben, wie dies ja bei allen Handwerken der Fall zu sein scheint, und die Werkzeuge waren über lange Zeit kontinuierlich verbesserte Zweckformen, deren Handhabung schliesslich kaum noch verbessert werden konnte. Einen Überblick zu den ägyptischen Handwerken liefert:
Drenkhahn,Rosemarie, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten im Alten Ägypten. W. Helck (Hrsg.) Ägyptologische Abhandlungen 31 (Wiesbaden 1976).
Kap. VIII, ebd. 97-131 befasst sich mit dem Holzhandwerk. Die wichtigsten Werkzeuge der Holzhandwerker waren Beitel, Säge, Axt und Dechsel (Letztere wurde aber auch von den Statuenhersteller, d.h. Steinbearbeitern, benutzt). Allem Anschein nach war die Bedeutung/das Ansehen der Handwerker und ihrer Tätigkeiten sehr gross. Denn es finden sich zahlreiche Abbildungen arbeitender Handwerker. Selbstverständlich hat Frau Drenkhahn auch Quellennachweise zu den Handwerkerszenen in ihrer Arbeit aufgeführt, ebd. 163-164.
Um einen Eindruck von der ägyptischen Standarddechsel zu erhalten, brauchen wir aber nun nicht all jene Quellen zu durchforsten. Vielmehr haben sich die Ägyptologen selbst einen guten Dienst erwiesen und - was ja nur zu verständlich ist - ein enzyklopädisches Werk auf die Beine gestellt: W. Helck & E. Otto (Hrsg.) Lexikon der Ägyptologie (Wiesbaden).
Schauen wir nun unter dem Stichwort "Dechsel" in Band I (Wiesbaden 1979), dann finden wir keinen Eintrag, obwohl dort der Buchstabe D abgehandelt ist. Schauen wir indes unter "Dächsel", dann werden wir fündig in Spalten 979-980. "...Der D. besteht aus einer Klinge und einem gewinkelten Holzschaft, dessen einer längerer Teil leicht geschwungen ist und als Griff dient, während der andere kurz und gerade ist (Anm. 2). An diesem ist die Klinge aus *Kupfer quer zum Schaft mit einer Lederschnur befestigt (Anm. 3).
Anm. 2 Abb. in pReisner II, 55, Fig. 190ff. - Anm. 3 Ebd., 27 u. Tf. 1A, Z. 37ff. R.D." (= Rosemarie Drenkhahn)
Schnell wird klar, dass uns diese Definition in unserer Sache nicht aufs Fahrrad hilft (bemerkenswert ist m.E. u.a. auch "Lederschnur").
Versuchen wir also unser Glück weiter mit den Abbildungsverweisen, denn es sollte ja klar sein, dass in einer (grundlegenden) Enzyklopädie die Geräteform "De/ächsel" auch grundlegend abgehandelt wird. Zumindest sollten die Abbildungen, auf die verwiesen wird, das gesamte Spektrum der ägyptischen Dechseln präsentieren. Ich belasse es bei der in Anmerkung 2 genannten Quelle, dem Papyrus Reisner; hier das volle Zitat: W.K. Simpson (Hrsg.) Papyrus Reisner, Transcription and Commentary. Band II (Boston 1965) 55.
- Ägyptische Dechsel Papyrus Reisne II, 55..jpg (18.77 KiB) 40810 mal betrachtet
Die hier dargestellten Dechseln, konkret die Art der Schäftung der Klingen und der daraus resultierende Innenwinkel sprechen für sich, so dass sich ein weiterer Kommentar erübrigt.
Im Übrigen erachtete ich es als töricht, wollte jemand mit dem Hinweis auf die Zeitstellung der hier abgebildeten Stücke (Mittleres Reich) daraus reklamieren wollen, es könnte möglicherweise im Alten sowie im Neuen Reich Dechseln mit stumpfwinkelig geschäfteten Klingen geben. Nur zu gerne warte ich/warten wir auf entsprechende Belege, die hier präsentiert werden sollten.
Und hier nun schliesst sich der Kreis zu den von Rengert als "definitive Hinweise" auf eine vermeintliche Stumpfschäftung bemühten beiden Stücken aus dem Metropolitan-Museum.
Nach dem Anschauen sprang mich ein Begriff an, mit dem jede(r) Adept(in) unseres Faches im Laufe des Studiums konfrontiert wird: Quellenkritik.
Nun, niemand von uns war dabei, aber die Stücke haben ja schon einiges hinter sich, denkt man ans handling beim ausgraben, verpacken, Transport, auspacken, lagern, ausstellen, wieder einpacken etc. Und wenn dann die Fixierung der Klinge mittels Leder- oder Rohhautriemen brüchig ist oder wie auch immer beschädigt und die Klinge nun aus den sehr wahrscheinlich stark ausgetrockneten Bindungen rausrutscht und dann später - von wem auch immer - sagen wir eigenwillig/falsch wieder in die Wicklung geschoben wurde, ja dann...
Schaut Euch doch bitte einmal die Breiten der Klingen jeweils am Nackenende sowie die Breiten der Schäftungswicklung am Wicklungsende auf der richtigen Schäftungsseite an!
Aber vor diesem Hintergrund "definitiv" zu verwenden, Rengert, halte ich schon für ausgesprochen mutig, um es vorsichtig auszudrücken.
Was dürfte letztlich - if push comes to shove - eine höhere Wahrscheinlichkeit haben?
- Jenes oben von mir gemutmaßte Szenario?
- Oder die Existenz zweier ägyptischer "Dechseln" mit völlig abwegiger Klingenschäftung und damit einer Form, die in keinem Standardwerk beschrieben wird? Ehrlich gesagt müssten beide Exemplare als bislang unbekannte Gräteform in der Ägyptologie Furore machen!
Zitat Rengert:"Kennt jemand weitere Vorbilder von ähnlich geschäfteten Teilen?"
Lieber Rengert, nach meinen vorstehenden Ausführungen erlaube ich mir die Voraussage, dass sich mit grösster Wahrscheinlichkeit bei Dir niemand mit einer positiven Antwort melden werden kann!
Herzliche Grüsse
Jürgen