Hallo Wagrier,
Entschuldigung, dass ich erst jetzt reagiere, aber die Sache zwingt mich etwas ausführlicher zu schreiben und mir fehlt momentan an allen Ecken die Zeit. Schöne Arbeit und Du legst den Finger mal wieder in eine offene Wunde. Bei der Beschäftigung mit der Schäftung von Dechselklingen stellt sich immer wieder die Frage, ob es dann immer eine Knieschäftung sein muss.
Die Idee mit einer Beitelschäftung taucht hin und wieder mal auf, wie z.B. hier: Gechter-Jones, J., and D. Tomalak: Cleverer als man dachte: Die Dechselklinge, ein „Universalgerät“. Archäologie im Rheinland 2001 (2002): 176–178, teilweise wieder basiert auf einer älteren Publikation, Dohrn, Margarete: Überlegungen zur Verwendung bandkeramischer Dechsel aufgrund der Gebrauchsspuren, Fundberichten aus Hessen 19/20 (1980): 69–78. (bei Bedarf PM oder Mail, dann schicke ich Dir Scans).
Problem: Mir sind keine als Beitel geschäftete Steinklingen aus der europäischen Vorgeschichte bekannt. Ulfr nannte das Beispiel des „Föns“ bereits, wobei ein Miniaturschuhleistenkeil in einer verhältnismäßig schweren Schäftung gefasst wurde und sich beim Einsatz als höchsteffektiv herausstellte. Die Klinge, 1:1-Kopie nach einem Fund aus dem Brunnen von Altscherbitz, hat eine Länge von 55 mm, Breite 19 mm, Höhe 17 mm ragt nur 21 mm aus der Bindung heraus. Die Fehlende Masse der Klinge hat Ulfr kompensiert durch den Hammerartigen Kopf der Schäftung.
Foto von Trebron während Ergersheim 2012, mittlerweile ist die Lederbindung ausgetauscht für eine Rohhautbindung.
Ich muss jedoch zugeben, dass die teilweise schwierig leserlichen Schäftungsspuren an dem Originalfund durchaus auch von einer geraden Schäftung stammen könnte wie bei Gechter-Jones/Tomalak experimentell verwendet, das Prinzip ist zu 100% gleich wie beim „Fön“. Auch sind solche massive Schäftungen im archäologischen Fundgut eher unüblich
Ich habe neben dem fehlenden Nachweis von Beitel-Schäftungen noch ein, zugegebenermaßen schwaches, Argument: Wie bereits auch eindeutig auf einem Foto auf Deiner Website („re. ist die Maserung vom Kastanienholz sehr deutlich zu erkennen“) zu sehen ist, hinterlässt die Verwendung von Beiteln eigentlich immer leichte 'Stopp-Rillen'. Solche Spuren sind auf den bandkeramischen Hölzern die mit „Miniaturdechseln“ bearbeitet wurden nicht erkennbar. Ob sie nie vorhanden waren oder einfach nach 7000 Jahren aberodiert sind, bleibt dabei offen.
Was Seeberger angeht, der schrieb tatsächlich „Wie Funde aus Seeufersiedlungen zeigen, waren kleine Klingen in Griffen aus Geweih geschäftet“ (Seeberger, Friedrich. Steinzeit Selbst Erleben! 2nd ed. Stuttgart: Theiss, 2002., S. 13 „Stechbeitel“), aber leider ohne Literaturnachweis. Ich fürchte jedoch, dass es sich bei den von ihm postulierten Geräten um längliche Zwischenfutter aus Geweih handelt mit kleinen Klingen die sehr wohl als Beile verwendet wurden. Vgl. dazu Abb. 65-68 in Müller-Beck, Hansjürgen. Seeberg Burgäschisee-Süd 5: Holzgeräte Und Holzbearbeitung. Acta Bernensia 2. Bern: Stämpfli, 1965, wo genau solche Stücke wie Seeberger sie abbildet in Beilholmen stecken.
Zwischenbilanz: Als Beitel geschäftete Miniatur-Steinklingen sind vorstellbar und bewiesenermaßen auch einsatzfähig, aber vorgeschichtlich nicht nachgewiesen. Zudem gibt es Verwechslungsmöglichkeiten mit in Zwischenfuttern gefassten kleinen Beil- oder Dechselklingen. Das sollte zu Vorsicht mahnen. Ich denke, wir dürfen solche Geräte herstellen und verwenden (Ulfr, Ergersheim 2013?), sollten aber immer darauf hinweisen, dass der Nachweis, in Gegensatz zu Knochenbeiteln, nicht erbracht ist.
Wie üblich bei Deinen Arbeiten: Sauberes Handwerk und Danke für die intensive Anregung!
Rengert