Seite 1 von 1

Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 29.08.2014 09:00
von Blattspitze
Mal wieder ein neues Experiment, das auf handgeworfene paläolithische Speere bezogen ist. Demnach dringen Steinspitzen nicht tiefer als einfache Holzspitzen (in Gelatine) ein, erzeugen aber eine größere Wundoberfläche und richten mehr Schaden an:

Wilkins J, Schoville BJ, Brown KS (2014) An Experimental Investigation of the Functional Hypothesis and Evolutionary Advantage of Stone-Tipped Spears. PLoS ONE 9(8): e104514. doi:10.1371/journal.pone.0104514
The controlled experiment reported here was designed to test the functional hypothesis for stone-tipped weapons using spears and ballistics gelatin. It differs from previous investigations of this type because it includes a quantitative analysis of wound track profiles and focuses specifically on hand-delivered spear technology. Our results do not support the hypothesis that tipped spears penetrate deeper than untipped spears. However, tipped spears create a significantly larger inner wound cavity that widens distally. This inner wound cavity is analogous to the permanent wound cavity in ballistics research, which is considered the key variable affecting the relative ‘stopping power’ or ‘killing power’ of a penetrating weapon.
Bild
Bild
http://www.plosone.org/article/info%3Ad ... ne.0104514

Seltsam, bei unserem eigenen, 20 jahre alten Pfeil- und Bogen- Schussexperiment drangen mit Steinspitzen bewehrte Pfeile jedoch deutlich tiefer in ein mit Fleischbrocken präpariertes Ziel ein, als einfache spitzkonische Projektile. Sollte ein Unterschied zwischen Gelatinezielobjekten, die ja ursprünglich für Schusswaffen, für die aufgrund der Geschoßgschwindigkeit ganz andere Bedingungen herrschen, und Körpergewebe herrschen?

Re: Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 29.08.2014 09:58
von ulfr
Finde nur ich die Steinspitzen etwas krude?

Teile Deine Meinung, Blattspitze, Gelatine ist etwas anderes als ein Rentierbrustkorb.

Re: Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 29.08.2014 12:23
von Blattspitze
Die Quarzit-Spitzen sehen zwar, wie Du sagst, "krude" aus, dürften aber halbwegs Levallois-Spitzen aus solchem grobkörnigen Material entsprechen?

Die Gelatine ermöglicht sehr gute Beobachtungen / Dokumentation zum Schusskanal, die Krux ist, dass Haut als primäres Eindringhindernis nicht vorkommt und überhaupt die faserige Grundstruktur von Körpergewebe (die allen Nicht-Vegetariern gut bekannt ist) nicht abgebildet werden kann. Somit entfällt bei Gelatine als faserlosem Medium die Variable der Schneidwirkung fast vollständig. Gemessen wurde hier lediglich Verdrängung.

Re: Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 31.08.2014 15:01
von FlintMetz
Das glaube ich auch - das mit der Gelatine ist sicher nicht immer so aussagekräftig, wie man meinen sollte. Ich habe auch schon solche Beschuss-Experimente im Auftrag durchgeführt, und wenn ich den Block tatsächlich mal nicht verfehlt habe, dann hatte ich bei neolithischen Silexspitzen (Breite max. 2,5 cm) immer einen aufgeplatzten Wundkanal von 9!!! cm. Das hat man bei echtem Gewebe sicherlich nicht, besonders wenn es mit Haut oder Fell zusammen gehalten wird. Ansonsten gab es allerdings keine großen Auffälligkeiten (Geschwindigkeit, Masse, Eindringtiefe usw. passen sehr schön).

Schöne Grüße…

Robert

Re: Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 01.09.2014 18:02
von LS
Hallo,
mir fallen folgende Punkte dazu ein:

1. ist nirgends für das Mittelpal. bewiesen, dass fliegende Speere bewehrt wurden, es können auch Stoßlanzen gewesen sein. Die Kosten für daneben fliegende Speere und kaputte Steinspitzen sind jedenfalls um einiges höher als für einen eiszeitlichen "Sauspieß", der kontrolliert gestoßen wird.

2. Warum das mit Gelatine statt mit einem Kadaver getestet wird, ist mir auch ein Rätsel. Wahrscheinlich weil sich diverse Müslis sonst beim Lesen übergeben und anschließend beim Verlag beschweren würden... ;) Ohne Zweifel ist es besser, mit einem Kadaver zu experimentieren als mit Gelatine-Blöcken. Ich hab selbst mal einem solchen Gelatine-Experiment beigewohnt (Eindringtiefen von Repliken der Schöninger Speere) und hab schwer die aufkommende Reminiszenz ans Muppet-Versuchslabor unterdrücken müssen. Uli Stodiek hat jedenfalls für seine Diss noch mit einem Wisent-Kadaver aus dem Kölner Zoo gearbeitet, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.

3. Klar geht es eher um die innere Verwundung als um die Eindringtiefe. Stodiek hatte sich seinerzeit jedoch über die relativ schwache Eindringtiefe in den Kadaver gewundert, bei Würfen mit der Speerschleuder von jagdlichen (kurzen) Entfernungen. Es gab mal ein Video hier im Forum (verlinkt von Youtube), wo die Erlegung diverser Großsäuger mit Speeren gezeigt wurde. Es war sehr martialisch und das Fazit ist: Die Masse der Speere und Einschüchterung des Tiers machts offenbar und nicht die Strategie, das Tier möglichst schnell und effektiv waidwund zu werfen.

Gruß Leif

Re: Steinspitzen / Holzspitzen vs Gelatine

Verfasst: 02.09.2014 09:07
von TZH
Sehr schön Formuliert, LS! :)
Herr Stodiek ist neben Johann Tinnes einer meinen frühesten Steinzeithelden, ich habe eine ZDF Fernsehengarten-Sendung mit denen in mitte der '90-er gesehen :D

youtube video: Africa Addio hunting elephants and hippos.