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Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 24.06.2016 13:43
von Blattspitze
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/074/1807456.pdf
"Ausfuhr von national wertvollem Kulturgut unterbinden"

Ziel ist es einerseits, die Einfuhr von illegal gehandelten Kulturgütern zu unterbinden und deren Rückgabe an die Herkunftsländer zu vereinfachen. Anderseits soll aber auch die Ausfuhr von "national wertvollem Kulturgut" unterbunden werden.

Die Einfuhr von Kulturgütern aus Ländern außerhalb der Europäischen Union soll zukünftig an die Vorlage einer Ausfuhrerlaubnis des Herkunftslandes gekoppelt sein. Grundsätzlich verboten sein soll die Einfuhr von Gütern, wenn diese von den Herkunftsländern als nationales Kulturgut eingestuft wurden.
...
Für archäologische Güter oder Bestandteile von Bau- und Kulturdenkmälern soll eine Altersgrenze von hundert Jahren unabhängig vom Wert gelten. Untersagt werden soll die Ausfuhr, wenn ein Kunstwerk in das Verzeichnis der "national wertvollen Kulturgüter" eingetragen wurde. Über die Eintragung sollen Expertenkommissionen in den Bundesländern entscheiden.

In gewissen Sammlerkreisen herrscht nach Ansicht von Zeit - Redakteuren Panik und Objekte sollen bereits ins Ausland verbracht worden sein. Dabei handelt es sich aber wohl überwiegend um "Kunst" im eigentlichen Sinne, seltener um archäologische Funde.

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 05.09.2019 15:07
von ulfr

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 05.09.2019 17:18
von Blattspitze
Das schlechte Gewissen quält ...
Relevant dazu auch die "Heidelberger Stellungnahme" verschiedener Museumsleitungen:
https://www.museumsbund.de/wp-content/u ... gnahme.pdf
"Es versteht sich von selbst, dass aufgrund von Unrecht im Moment des Herstellens oder Sammelns in die Museen gelangte Objekte – wenn dies von Vertreter/innen der Urhebergesellschaften gewünscht wird – zurückgegeben werden sollten."

Während es beim Kulturschutzgesetz in erster Linie um illegal eingeführte ("geschmuggelte") Kulturgüter ging, erweitert sich jetzt dieser Begriff des illegalen um "unrechtmäßig" beschaffte Gegenstände, die ganz überwiegend in der Kolonialzeit eingeführt wurden. Die damals handelnden Personen dürften sämtlich verstorben sein, die Dokumentationen zur Beschaffung der Dinge, wenn überhaupt vorhanden, lückenhaft und vor allem einseitig, da sie von den Kolonialherren selbst erstellt wurden. Die Europäer, die sich Kolonien beschafften, waren ja aus heutiger Sicht als uneingeladen sich Land Aneignende von vornherein im Unrecht und illegal vor Ort (obwohl, "kein Mensch ist illegal").
Wie auf längere Sicht die Definition von "Unrecht" gehandhabt werden wird, wenn sich hier ein Trend offenbart, und wenn von den Herkunftsländern vermehrt Rückgabeforderungen erhoben werden, was aus meiner Sicht ziemlich sicher ist, dürfte spannend werden.

Aus archäologischer Sicht dürfte eins klar sein: Diejenigen, die in der Ur- und Frühgeschichte mit ganz anderer Intention bestattet wurden, haben das Ausgraben ihrer Gräber und hätten das Austellen ihrer Grabinventare und Überreste, wie überhaupt die Störung der Totenruhe als Unrecht angesehen. Da wären wir wieder bei der (unvollkommenen) Ethik der Archäologie ...

Lassen sich vielleicht irgendwann mit einem Rechtsanwaltbüro Archäologische Landesämter und Museen verklagen?:
StGB § 168:
Störung der Totenruhe
(1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.
(3) Der Versuch ist strafbar.

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 05.09.2019 20:39
von ulfr
Aus dem Spektrum-Artikel:

"Insbesondere jedoch machten sich die Projektmitarbeiter daran, den Weg nachzuvollziehen, den die Sammlungen oder einzelne Objekte nahmen. Dabei zeigte sich, dass Angehörige der kolonialen »Schutztruppen«, jener militärischen Verbände, die die Ordnung in den Kolonialgebieten aufrechterhalten sollten, mehr als ein Drittel der Kulturgüter beisteuerten. Knapp 21 Prozent brachten Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen in den Kolonien tätig waren. Und weitere 18 Prozent kamen von Mitarbeitern der örtlichen Verwaltung."

Darin enthalten ist offenbar/sicherlich (?) nicht die große Zahl an Kulturgegenständen, die von Missionaren als Mitbringsel nach Europa geschafft wurden und überwiegend in Privatsammlungen ein kärglich Dasein fristen. Auch mein Dechsel aus Papua kam auf diesem Weg hierher, zu mir allerdings auf diversen Umwegen, die ich gar nicht mehr nachvollziehen kann - nicht mal das Datum der "Verbringung".
Blattspitze hat geschrieben: Störung der Totenruhe als Unrecht
Advocatus-diaboli-modus ON:

Wieso: Wenn es den Jungs und Mädels (offenbar) damals um Unsterblichkeit und Wiederauferstehung ging, ist doch mit der Ausgrabung und Zurschaustellung das Ziel erreicht ... :twisted: :evil: :oops: ???

Advocatus-diaboli-modus OFF

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 06.09.2019 11:39
von Blattspitze
ulfr hat geschrieben:Wenn es den Jungs und Mädels (offenbar) damals um Unsterblichkeit und Wiederauferstehung ging
Schön sind diesbezüglich ja ägyptische Gräber, bei denen wir aufgrund der Inschriften sicher sein können, dass wir Unrecht nach damaligem Verständnis begehen. Die Verstorbenen wurden dort gern als "Götter" bezeichnet:

„Pass auf, dass du nicht mal einen Kiesel von innen nach außen nimmst. Wenn du diesen Stein findest, sollst du nicht dagegen stoßen. “

"In der Tat, seit die Götter (der Zeit von) Pre in [der Mitte] der Berge ruhen, gewinnen sie jeden Tag an Kraft (obwohl) ihre Steine weggeschleppt werden."

„Such dir einen Ort, der dir selbst würdig ist, und ruhe dich darin aus und schränke die Götter in ihren eigenen Häusern nicht ein, denn jeder Mensch ist glücklich an seiner Stelle und jeder Mensch ist froh in seinem Haus.“

„Wer gesund sein will, hüte sich davor, diesen Stein gewaltsam von seinem Platz zu entfernen.

Was den betrifft, der (das Grab öffnet) abdeckt, ihm werden die großen Herren des Westens sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel vorwerfen. “

https://blog.nms.ac.uk/2017/06/23/ancie ... nd-ghosts/

... und mit den "großen Herren des Westens" sind nicht etwa wir, sondern ganz andere gemeint :shock:

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 06.09.2019 15:52
von ulfr
Schön, dass es schriftliche Quellen dazu gibt.
Streifen verrutscht, Pfote geklemmt. Sense, aus ...
Also bei archäologischen Forschungen Gräber komplett ausklammern?

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 09.09.2019 10:43
von Blattspitze
Mir ist bei den ethnographischen Stücken unklar, wie man für so lange vergangenes Unrecht einen adäquaten Ausgleich schaffen will, der mehr als Symbolpolitik und nicht alle 20 Jahre neu zu verhandeln ist. "Let`s correct for history" funktioniert m.E. nicht und führt in eine Endlosschleife, die aufgrund Ihrer immanenten Unklarheiten sogar zu Konflikten führen kann.
Es gibt Ethnologen, die als radikale Variante alles zurückgeben wollen, was seit der Zeit des Kolonialismus in den Museen liegt. Ebenso, wie es unter den sehr ethisch bewußten Archäologen (Studenten) solche gibt, die von Gräbern komplett Abstand nehmen wollen.
ulfr hat geschrieben:Also bei archäologischen Forschungen Gräber komplett ausklammern?
Meiner Ansicht nach grade nicht, ich denke, dass wenn die handelnden Personen alle verstorben sind, hat wissenschaftliches Interesse Vorrang.
Hier als Netzfund ein Artikel von Andreas Lippert zur Störung der Totenruhe durch Archäologen, worin die Präsentation des Similaunmannes in Bozen als "gelungenes Beispiel" bezeichnet wird:
http://www.erika-mitterer.org/dokumente ... 2014-2.pdf
Die Präsentation von archäologischen Toten in Museen ist etwas, wo ich ethische Vorbehalte habe ...

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 17.11.2019 20:03
von Medivh
Ob Unrecht oder nicht, so wird die Totenruhe ja meist nur indirekt durch die Archäologen gestört. Wenn beispielsweise in Regensburg ein Bauvorhaben geplant ist und dieses einen einstigen Bestattungsplatz (Römerzeitlich bis ins FMA) zerstören würde, so rettet und dokumentiert der Archäologe ja nur das, was ansosnten zerstört werden würde (war wirklich der Fall und ich war bei der Grabung vor Ort).

Ohne solch ein geplantes Bauvorhaben, welches Gräber stört, werden heut zu Tage im Großteil der Fälle, Denkmale die nicht bedroht sind in Ruhe gelassen.


Und ja wenn wir uns frühere Jenseitsvorstellungen vor Augen rufen, so ist es natürlich unschön jemanden seine Grabbeigaben wegzunehmen...:

Gesetzt dem Fall es ist wirklich so, dass man alles was man mit ins Grab bekam auch im jenseitigen Leben zur Verfügungt hat, so hat man dort z. B. ein schönes Leben mit genügend Trink- und Essgeschirr für Gelage sowie Waffen um sich verteidigen zu können und z. B. einen Wagen etc... und dann kommt der Archäologe und nimmt einen alles weg und aufeinmal steht man ohne Waffen und ohne Hausrat da... glückseelig ist dann derjenige, der ins archäologische Depot kommt^^ ;)=


Ich finde das Kulturgut schon in dem Land, aus dem es stammt sein oder an dieses zurückgegeben werden sollte... man kann solche Dinge ja als Museum immer mal ausleihen oder man lässt Repliken anfertigen... allerdings sollte so etwas dann weltweit gelten...

Re: Das neue Kulturschutzgesetz

Verfasst: 17.11.2019 20:23
von Monolith
Medivh hat geschrieben: Gesetzt dem Fall es ist wirklich so, dass man alles was man mit ins Grab bekam auch im jenseitigen Leben zur Verfügungt hat, so hat man dort z. B. ein schönes Leben mit genügend Trink- und Essgeschirr für Gelage sowie Waffen um sich verteidigen zu können und z. B. einen Wagen etc... und dann kommt der Archäologe und nimmt einen alles weg und aufeinmal steht man ohne Waffen und ohne Hausrat da... glückseelig ist dann derjenige, der ins archäologische Depot kommt^^ ;)=
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