Im Jahre 1900 wurde in Saint-Bélec offenbar tatsächlich eine bronzezeitliche Karte gefunden, weshalb dieses sensationelle Fundstück, welches sehr früh, vermutlich in die Zeit zwischen 1900 und 1650 v. Chr. datiert, hier nochmals näher vorgestellt und interpretiert werden soll. Als Quellen werden hier insbesondere der 1901 von ihrem Entdecker verfasste Bericht (1), sowie die 2021 von Clément Nicolas und Yvan Pailler veröffentlichten Untersuchungsergebnisse herangezogen (2). Paul du Châtellier fertigte von der von ihm entdeckten Karte eine Zeichnung, welche sich unten im Anhang findet.
Im Ergebnis lässt sich folgendes über diese Karte und ihre Fundumstände aussagen : Châtellier untersuchte im Jahre 1900 die zwischen Carhaix und Quimper, im Bereich der Montagnes Noires gelegenen Tumuli. Dabei stieß er in der Gemeinde Leuhan an der Odet in der Ortschaft Sanct-Bélec in einem von ihm erforschten Tumulus auf eine Grabkammer, deren westliche Wand aus einer gravierten Steinplatte bestand. Sie maß in der Länge 2,20 Meter und war 1,85 Meter breit. (p. 196 - 198) Aus den eingravierten Zeichen glaubte er die Küstenlinie der Bretagne zu erkennen und kam zu dem Schluss, dass es sich bei dieser gravierten Steinplatte um eine frühe, bronzezeitliche Karte handeln könnte : "En cherchant du côté de la Grande-Bretagne, on trouverait quelque analogie lointaine avec certains des signes gravés sur notre pierre." (p. 199) Diese 1901 durch Paul du Châtellier formulierte Annahme wurde in den von Clément Nicolas und Yvan Pailler veröffentlichten Ergebnissen nun im wesentlichen bestätigt (2).
Folgt man der von Châtellier gemachten Annahme, dann zeigt die in seinem Bericht, Seite 196, Figur 4, Nr. 5 abgebildete Steinplatte von Saint-Bélec die Bretagne und wurde von ihm eingenordet. Die Gravuren könnten eine Reihe von festen Plätzen, sowie markante Flüsse zeigen, welche das Landschaftsbild der Bretagne schon damals prägten. Es könnten auf der Süd- und Westseite dieser Karte von rechts nach links möglicherweise folgende Orte und Flüsse verzeichnet worden sein : Questembert, dann das am Golf von Morbihan gelegene Vannes (Darioritum), wobei die Flussläufe Auray und Marle den Golf von Morbihan mit dem Atlantik verbinden. Sodann Lorient an der Blavet, schließlich Quimper an der Odet und im Inneren des Landes Carhaix (Vorgium) an der Hyère. Die von Norden her in die Aulne mündende Hyère ist gut erkennbar. Die westwärts gehende Aulne selbst fließt nach 48 km bei Landévennec in die Bucht von Brest, welche sich auf der Platte ebenfalls dargestellt findet, wenn auch etwas länglich ins Land greifend und räumlich fehlerhaft direkt darüber platziert. Tatsächlich weist die Aulne eine markante, ca. 18 km lange Trichtermündung auf und ist stark von Gezeiten beeinflusst (3) Bei den auf der Nordseite dieser Karte ganz rechts gezeigten beiden Plätzen könnte es sich möglicherweise um Saint-Malo (Aleth) und Mont Saint Michel handeln.
Aufgrund dessen, dass gegen Ende der Mittleren Bronzezeit nirgendwo sonst in Nordeuropa mehr Waren, insbesondere Zinn und Bronze, umgeschlagen wurden als im heutigen Departement Finistère und dem südöstlich angrenzenden Golf von Morbihan, (4) scheint die hier gemachte Vermutung, dass es sich bei den eingekreist dargestellten Punkten auf der Karte bereits um feste Plätze und Hafenorte handelt, keineswegs abwegig zu sein. Die bei Joseph Dechelette vorgestellten Hortfunde sprechen jedenfalls sehr dafür, dass die von Paul du Châtellier entdeckte Karte selbst für solch weitreichende Interpretationen Raum bietet. Die Zahl der in der Bretagne zutage getretenen bronzezeitlichen Hortfunde und ihr quantitativer Umfang liegt etwa 30-fach Höher als in den meisten anderen Regionen Frankreichs, ausgenommen die La Manche auf der benachbarten Halbinsel Cotentin, welche aber nicht Teil der Karte von Saint-Bélec ist. (5)
Tut mir leid, wenn dieser Beitrag wieder etwas lang geworden ist.
Gruß Pitassa
(1) Du Châtellier, Paul : Exploration des tumulus des Montagnes Noires (Finistère). In : Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques, Paris 1901, S. 185 - 203.
Der von Châtellier verfasste Bericht über den pierre gravée de Sanct-Bélec ist in den Internet Archiven auch online verfügbar unter :
https://www.archive.org/details/bulleti ... ew=theater und bietet Seite 196, Figur 4, Nr. 5 eine schöne Darstellung dieser Karte.
(2) Nicolas, Clément ; Pailler, Yvan et al. : La carte et le territoire : La dalle gravée du Bronze ancien de Saint-Bélec (Leuhan, Finistère). In : Bulletin de la Société prehistorique francaise, Tome 118, Paris-Nanterre 2021, S. 99 - 146.
(3) Wikipedia, Artikel "Aulne" (Fluss)
(4) Dechelette, Joseph : Manuel d'árcheologie, Tome II, Part 1, Âge du Bronze, Paris 1910, S. 91 - 93 u. S. 163 - 169.
Die Ausführungen Dechelettes zur Bedeutung des heutigen Departements Finistère und des benachbarten Golfes von Morbihan im bronzezeitlichen Metallhandel findet sich online unter :
https://www.archive.org/details/dli.gra ... ew=theater und bietet Seite 168 - 169 in Form zweier Tabellen eine Gesamtübersicht der bis dahin in Frankreich aufgetretenen, bronzezeitlichen Hortfunde.
(5) Dechelette, Joseph : Manuel d'archeologie, Tome II, Part 2, Appendices, Paris 1910, Nr. 212 - 312 (Finistère) u. Nr. 562 u. 565 - 566 (Guidel, Insula Vindilis, Emporie Korbilon), Nr. 572 - 573 (Questembert), Nr. 219 (Carhaix, Vorgium), Nr. 301 - 302 (Quimper, Civitas Aquilonia)
Die von Clément Nicolas, sowie Yvan Pailler et alias veröffentlichten Ergebnisse finden sich mit der Möglichkeit eines Downloads auch bei Academia unter :
https://www.academia.edu/45703303/La_ca ... _Finistère und geben den aktuellen Stand wieder.