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Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 14.06.2023 22:23
von Pitassa
Zwischen ca. 6.340 - 6.180 v.Chr. begann das gigantische Lake Agassiz-Ojibway System zunehmend nordwärts zu entwässern, was zur Desintegration des angrenzenden Laurentidischen Eisschildes führte. Wesentliche Teile des Laurentidischen Eisschildes wurden damals aus der Hudson Bay gepresst und stießen an der Baffin Insel vorbeigehend in den nördlichen Nordatlantik vor. Durch diesen großflächigen Abbruch des nordamerikanischen kontinentalen Eisschildes gelangten damals gewaltige Mengen an Süßwasser und Geröll in den Nordatlantik. Schätzungen zufolge brachte der Ausbruch des Laurentidischen Eisschildes aus der Hudson Bay einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu 2,8 Meter, oder sogar deutlich mehr, mit sich.

Ich habe dazu zwei Fragen :

a.) Welche Auswirkungen hatte dies auf Europa ?
b.) Darf man diesbezüglich für die Zeit um 8200 BP von einem "Heinrich Ereignis" sprechen ?

Mir sind dazu einige interessante Fachbeiträge aufgefallen :

Teller, James ; Leverington, David : Glacial Lake Agassiz : A 5000 yr history of change and its relationship to the ð18 O record of Greenland. In : Geological Society of America Bulletin, Vol. 116, No. 5/6, Boulder 2004, p. 729 - 742.
Link : https://www.researchgate.net/publicatio ... _Greenland

Lepper, Kennett ; Buell, Alex ; Fisher, Timothy ; Lowell, Thomas : A chronology for glacial Lake Agassiz along Upham's namesake transect. In : Quaternary Research, Vol. 80, Issue 1, Cambridge u. Amsterdam 2013, p. 88 - 98.
Link : https://www.cambridge.org/core/journals ... 64E02218E6

Michalek, Michael : Examining the progression and termination of Lake Agassiz, East Lansing 2013, p. 13 - 17, Fig. 11 - 13.
Link : http://www.web.archive.org/web/20140505 ... assiz2.pdf

Keigwin, Lloyd ; Sachs, Julian ; Rosenthal, Yair ; Boyle, Edward : The 8200 year B.P. event in the slope water system, western subpolar North Atlantic. In : Paleoceanography, Vol. 20, Issue 2, Washington 2005, p. 1 - 14.
Link : https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com ... 04PA001074

Derzeit recherchiere ich Material zu diesem Thema und wäre für jeden Hinweis dazu dankbar :20

Gruß in die Runde :wal:

Pitassa :hallo:

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 16.06.2023 19:43
von Sculpteur
Hallo Pitassa,

ich hätte nicht gedacht, dass es in diesem Zeitraum einen solch signifikanten Anstieg des Meeresspiegels gegeben haben könnte. Aber irgendwie ist es ja logisch, wenn Warmzeiten Eiszeiten ablösen, dass das ganze zuvor in Eis gebundene Wasser irgendwo hin muss.
Mir fällt da eigentlich nur die interessante Parallele zur biblischen Sintflut ein, aber...

Wenn man den Studien Glauben schenken darf, hätten wir heute normalerweise wiederum eine kleine Eiszeit. Der Mensch hat es mit seinen Treibhausgasemissionen laut Theorie jedoch geschafft, diese auszusetzen (Quelle müsste ich recherchieren).

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 16.06.2023 22:03
von Pitassa
Grüß dich Sculpteur,

mir geht's genauso. In Europa waren die Veränderungen wohl in den Schelfgebieten von Nord- und Ostsee, sowie im Gebiet des Schwarzen Meeres am gravierendsten. Im Gebiet des Schwarzen Meeres (Pontus Euxinus) sollen die Wasserstände binnen einer Generation um ganze 100 Meter gestiegen sein, wie Walter Pitman und William Ryan (1997) annahmen. Zunächst lagen die Datierungen für den Durchbruch und das Einströmen des Meereswassers in das pontische Becken zwischen ca. 6.700 - 5.500 v. Chr. Inzwischen gelang es Chris Turney und Heidi Brown (2007) dieses Ereignis der Flutung des pontischen Beckens in die Zeit um 6.300 v. Chr. zu datieren :

link : https://www.sciencedirect.com/science/a ... 9107001941

Volltext : https://www.researchgate.net/publicatio ... _in_Europe

Quelle :

Turney, Chris ; Brown, Heidi : Catastrophic early Holocene sea level rise, human migration and Neolithic transition in Europe. In : Quaternary Science Reviews, Vol. 26, Issues 17 - 18, Amsterdam 2007, p. 2036 - 2041.

so auch :

Ryan, William ; Major, Candace ; Lericolais, Gilles ; Goldstein, Steven : Catastrophic flooding of the Black Sea. In : Annual Review of Earth and Planetary Sciences, Vol. 31, Palo Alto 2003, p. 525 - 554.

Link : https://www.annualreviews.org/doi/abs/1 ... 901.141249

Bedauerlich finde ich, dass Antje Wegwerth diesem Ereignis in ihrer Dissertation zur Eiszeitlichen Geschichte des Schwarzen Meeres praktisch keinerlei Bedeutung zukommen ließ und der eigentlich beabsichtigte Vergleich zwischen Eem und Holozän Warmzeit dadurch ohne Ausführung blieb :
Wegwerth, Antje : The glacial and interglacial history of the Black Sea during the last 134 ka : About meltwater events, abrupt temperature changes, and sapropels, Greifswald 2015, S. 53, Fig. 5 (Vergleich Holocene u. Eemian), sowie S. 185 (Fazit).

Link : https://epub.ub.uni-greifswald.de/front ... _Antje.pdf

Turney und Brown gehen diesbezüglich davon aus, dass ein Anstieg des Meeresspiegels um zunächst einmal lediglich 1,4 Meter ausgereicht hat, um diese ca. 6300 v. Chr. +- 50 Jahre erfolgte Flutung des pontischen Beckens zu bewirken. Als Ursache sehen sie den Kollaps des Laurentidischen Eisschildes und die Drift seines Zentrums in den Nordatlantik. Die nordwestwärts gehende, bereits im südlichen Balkan angekommene, mesolithische Wanderung soll dadurch nochmals beschleunigt worden sein. Hast du zum Pontos Ereignis, ca. 8.350 - 8.230 cal yr BP, evtl. weiteres Material ?

Bis dann
Pitassa :hirsch:

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 17.06.2023 09:53
von Sculpteur
Nein, weiterführende Quellen zu diesem speziellen Thema kenne ich leider nicht.
Mir ist aufgrund meiner über 2 Jahrzehnte währenden kritischen Auseinandersetzung mit den sog. "Grenzwissenschaften" bzw. "Alternativwissenschaften" auch im Zusammenhang mit den weitgefächerten "New-Age-Bewegungen" unserer Zeit und dem damit verbundenen stellenweisen großen Eskapismus jedoch aufgefallen, dass bestimmte grenzwissenschaftliche Theorien gerne vorgebliche Spuren einer Überflutung des Giseh-Plateaus als Grund dafür annehmen, das Alter der Cheops-Pyramide weit nach Hinten zu datieren und gleichzeitig als Nachweis für die Sintflut nehmen. (Alternativwissenschaften irren sich natürlich nicht automatisch in allen Punkten - was im Detail noch zu beweisen wäre - allerdings präsentieren manche Alternativwissenschaftler durchaus interessante und potenziell möglicherweise korrekte Zusammenhänge in insgesamt häufig absurd anmutenden Zusammenhängen in Verbindung mit der Verbreitung von wirklich abenteuerlichen Thesen und Behauptungen und blankem Unsinn).

Ich erspare mir an dieser Stelle jedoch ausnahmsweise, konkrete Quellen zu meinen oben getroffenen Aussagen herauszusuchen (können aber nachgereicht werden, irgendwann). Das Thema ist weitgefächert, detaillierte Nachweise benötigen eine Bibliothek um die Publikations-Zusammenhänge korrekt darzustellen und manche der Theorien der sog. Grenzwissenschaften sind (leider) bereits salonfähig geworden und werden von Unterstützern solcher Theorien stellenweise wie unhinterfragtes Allgemeinwissen verbreitet.

Was mir allerdings interessant erscheint wäre eine Auseinandersetzung mit Projekten zur Pollenanalyse. Es gab in jüngerer Vergangenheit z.B.- Projekte über die Analysen von Pollen in Ablagerungsschichten am Grund von Gewässern im östlichen Mittelmeerraum bzw. im Bereich Mesopotamien für einen Zeitraum von vor etwa 10.000 Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Möglicherweise stand die Uni Tübingen mit einem solchen Projekt in Verbindung (ich müsste das erst wieder recherchieren).
Meine Angaben sind jedoch noch zu überprüfen, denn es ist eine Weile her, dass ich dieses Thema anrecherchiert habe, d.H. in dem einen oder anderen Punkt könnte ich mich hier erinnerungstechnisch irren.
Mein Hintergrundgedanke dabei ist: Wenn solche signifikanten Überflutungsereignisse statgefunden haben sollten, müssten sie sich für überflutete Bereiche stellenweise auch z.B. in Ablagerungen am Grund von Gewässern nachweisen lassen. Zum Einen, weil überflutende Wässer hypothetisch nichtheimische Samenkörner und Pollen, Schwemmerden u.a. mit sich geführt haben können, zum Anderen, weil massive Überflutungen das typisierbare Abbild von Flora, dass sich z.B. an Gewässergrründen in Ablagerungen finden lässt, potenziell verändern würde (z.B. hypothetisch durch Wegschemmen typischer Floraabbilder in Ablagerungen von Gewässern). Fiktives Beispiel: Würde sich am Grund eines Gewässer im Mittelmeerraum eine bestimmte Pollenart nachweisen lassen, die eigentlich für bestimmte erdgeschichtliche Zeiträume eher typisch für den Bereich des heutigen Alaska wäre, würde dies zumindestens ein interressanter Anhaltspunkt für die "Wanderung von Wässern" sein, bei dem man ansetzen könnte (es kommt natürlich hierbei möglicherweise die herkömmliche Strömungswegschwemme potenziell in Betracht, die zunächst einmal kein Überflutungsereignis benötigt, wenn ich mich nicht irre; insgesamt wäre zum Thema also auch eine Auseinandersetzung mit erdgeschichtlicher Wasserströmungslehre sicherlich nicht verkehrt).

Bei Gelegenheit schaue ich mal, ob ich etwas zum Tehma wieder herausfinden kann. Mit der Gelegenheit kann es aktuell jedoch eine Weile dauern: Hitzewelle und viel zu tun. :2:

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 17.06.2023 13:46
von Pitassa
Ach ja :einbaum:

Die zuverlässigsten Nachweise zur einstigen Uferlinie des Pontischen Meeres konnten offenbar anhand von Rückständen der euryhalinen Fauna im Sediment der Donau Mündung, sowie im Schelfbereich selbst erbracht werden. Demnach könnte der Meeresspiegel im pontischen Becken binnen 34 Jahren um bis zu 155 Meter angestiegen sein ! :9:
Die Überflutung des pontischen Beckens setzte um 7.400 v. Chr. ein und geriet zwischen 6.350 - 6.230 v. Chr. zu einem dramatischen Meereseinbruch (marine incursion), wie Turney und Brown (2007, p. 2038) berichten. Schätzungen zufolge wurden im Verlauf des Meereseinbruchs ca. 72.700 km² überflutet und insgesamt etwa 145.000 Individuen (ca. 2 pro km²) aus ihren Sitzen verdrängt (ebd. 2007, p. 2040).

Turney und Brown schöpfen diesbezüglich unter anderem auch aus den nachfolgenden Quellen :

Ryan, William ; Pitman, Walter ; Major, Candace ; Shimkus, Kazimieras ; Moskalenko, Vladamir : An abrupt drowning of the Black Sea shelf. In : Marine Geology, Vol. 138, Amsterdam 1997, p. 119 - 126.

Link : https://www.sciencedirect.com/science/a ... 2797000078

sowie :

Major, Candace ; Goldstein, Steven ; Ryan, William ; Lericolais, Gillen ; Piotrowski, Alexander ; Hajdas, Irka : The co-evolution of Black Sea level and composition through the last deglaciation and its paleoclimatic significance. In : Quaternary Science Reviews, Vol. 25, Issues 17 - 18, Amsterdam 2006, S. 2031 - 2047.

Link : https://www.sciencedirect.com/science/a ... 9106000989

Der mit dem einströmenden Meereswasser im pontischen Becken stattgefundene Wechsel der Fauna ist evident und wurde sorgfältig datiert. Die Argumentation scheint mir daher durchaus schlüssig zu sein. Die Autoren Turney und Brown (2007) halten es für sehr wahrscheinlich, dass hier ein direkter, kausaler Zusammenhang mit dem in dieser Zeit erfolgten Ausbruch des Laurentidischen Eisschildes besteht.

Gibt es gegenteilige Annahmen zu diesem Aspekt des Hudson Bay Ereignisses ? :20

Gruß in die Runde

Pitassa :fisch:

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 17.06.2023 15:28
von Monolith
Deshalb wird dies auch oft als das Sintflutereignis interpretiert, das sich in die Hirne unserer Vorfahren eingebrannte, oder vielmehr eingespülte.

Re: Welche Auswirkungen hatte das Hudson Bay Ereignis ?

Verfasst: 17.06.2023 19:37
von Sculpteur
@Pitassa: Ich persönlich habe dem nichts gegenteiliges anzumerken. Das Thema ist komplex und ich bin nicht im Thema. Ich weiß nur, dass es in unserer Zeit sinnvoll wäre, sich zumindestens für die Wohnhaus-Innovationen (schwimmende Häuser) der Niederländer zu interessieren bei dem aktuell grassierenden Eisabbruch in eisschildführenden Gefilden und dem aktuellen Gletscherschwinden.
Interessant ist für mich, wie sich die Generationen der Vergangenheit auf solch extreme Ereignisse eingestellt haben mögen.

Es würde mich nicht wundern, wenn solche Mega-Ereignisse ursächlicher Auslöser für das Verfasser bestimmter Bücher gewesen sein könnten, die eben u.a. jene Sintflut als Ursprung eines Schöpfungsmythps thematisierten (möglicherweise weil man froh war es überlebt zu haben und vielleicht, weil man möglicherweise glaubte, nach einer solchen Kathastrophe überliefern zu müssen).

Ich glaube, dass die Bibel stellenweise tatsächlicher Report ist und dass dieses Buch nicht von heute auf Morgen entstanden ist, sondern markante Ereignisse über weite Zeitabschnitte zusammenfassend überliefert.

Ob diese Quelle jedoch verlässlich ist und wie sie zu lesen sei (je nach Übersetzung) - wer weiß es?