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Verfasst: 26.05.2008 13:01
von Steve Lenz
Turms Kreutzfeldt hat geschrieben:Ja, und das macht mir Angst. Was jetzt modern und künstlerisch wirkt, kann in wenigen Jahren nur noch Kopfschütteln hervorrufen. Die neuen Publikationen finde ich noch schlimmer: Ethno-Rekos: Hirte wie ein Massai, Häuser wie auf Sumatra...
bin auch ratlos, Turms
Der Hirte mit den Strichzeichnungen auf dem Ocker könnte ein Bandkeramiker sein - diese Art der Interpretation lasse ich ja noch eher durchgehen als die eines anderen Akademikers, welcher zum Thema publizierte...

Verfasst: 26.05.2008 13:18
von Krtek
Ich hab als Archäologe eigentlich nichts grundsätzlich gegen eine solche eher ungewöhnliche Präsentation, die mit Sicherheit mit den Restaurator_innen abgesprochen sein dürfte. Archäologische Objekte sind ja Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst. Archäologie ist eine historische Wissenschaft; Archäolog_innen sind daher Wissenschaftler_innen und keine Sammler_innen. Insofern dürfen sie sich ihren Forschungsobjekten auch mal von ungewohnter Seite nähern, solange diese keinen Schaden nehmen oder spätere Forschungen behindert werden.

Schwierig dürfte es wohl nur werden, wenn sich mal wieder jemand mit neolithischen Steinbeilen in Sachsen-Anhalt beschäftigen möchte und die alle schlecht zugänglich sind.

Arch. Funde können durchaus noch wesentlich "unkonventioneller" ausgestellt werden als hier in Halle. Hat zufällig jemand die Ausstellung "Die Suche" im Japanischen Palais in Dresden gesehen (12.07.2007 - 06.01.2008)?:

http://www.archsax.sachsen.de/lmv/print ... Print.html

Die Ausstellung »Die Suche« spielt auf zweideutige Art und Weise mit dem Titel: die sächsischen Archäologen haben die Exponate »gesucht und gefunden« und auch der Besucher muss in der Ausstellung »suchen und finden«.
Den Rahmen für die Ausstellung bildet eine moderne Wohnungseinrichtung aus dem Jahr 2007. Alle archäologischen Objekte - überwiegend Alltagsgegenstände vergangener Zeiten - finden ihren Platz im Interieur der Wohnung. Sinnvoll oder auch humorvoll zugeordnet erschließt sich dem Besucher somit die Bedeutung der archäologischen Hinterlassenschaften und ihr Stellenwert kann leicht verstanden werden: neolithisches oder mittelalterliches Geschirr findet man in modernen Küchenschränken, renaissancezeitliche Vierkantflaschen und mittelalterliche Stangengläser haben ihren Platz an der Hausbar, mittelalterliche Münzschätze liegen unter dem Kopfkissen etc.


Video:
http://www.dresden-fernsehen.de/(oky3oj ... aktWoche=2

Auch hier war jede einzelne Fundpräsentation mit den Restaurator_innen abgesprochen, auch die mittelalterlichen Fehlbrände in der Spülmaschine.
Insofern ist zumindest aus restauratorischer bzw. wissenschaftlicher Sicht nichts dagegen zu sagen.

Was mit einer solchen Ausstellung vermittelt wird oder werden soll, wäre Gegenstand einer anderen Diskussion.

Verfasst: 26.05.2008 14:46
von Fredewulf
"Kunst" ist sicherlich immer Geschmackssache, aber solange die Beile keinen Schaden dabei nehmen, warum nicht.
Allemal anschaulicher als ein Archiv voller mit Flint gefüllter Pappschachtel. :wink:

Verfasst: 26.05.2008 16:22
von R. Schumann
Ich find den Neolithikumsraum in Halle sehr ansprechend und ich finds einfach erfrischend, wenn die sachen nicht einfach in ne Vitrine geklatscht werden. Was hat das mit Misbrauch zu tun? Die Dinger werden nicht geborgen um zu 3599/3600 in den Depots zu verstauben.

Im Endeffekt hats irgendwie Ähnlichkeit mit der Schirndorfwand in der ASS in München, die auch einfach durch Masse erschlägt ;)

Verfasst: 26.05.2008 16:25
von Steve Lenz
Die Wand in der ASS transportiert Sachkultur - die in Halle ein (verfälschendes) Bild!

Verfasst: 26.05.2008 17:40
von Claudia
Dass man mal Fundobjekte in grösserer Anzahl als nur 1-2 jeden Typs zu sehen bekommt, finde ich eigentlich schon schön. Der künstlerische Eindruck ist auch recht stark.

Ich finde es allerdings bedauerlich, dass, um den künstlerischen Eindruck zu erhalten, der Rest des Raums fast frei gehalten worden ist (und wahrscheinlich auch musste, um den freien Blick zu erhalten) von Präsentationen (die zwei Objekte in der Mitte und die eine Wand ist ja nicht so furchtbar viel). Dadurch ist ziemlich wenig Platz für die Vermittlung von Wissen.

Turms, ist das eigentlich die Halle, in der vor dem Umbau des Museums der Neandertaler sass? Wenn ja: Da hatte ich mich schon etwas gewundert, warum die Halle so leer ist und gedacht, da kommt sicher noch deutlich mehr rein, wenn die Bestückung fortschreitet. Dass sie jetzt nicht viel voller wird, hatte ich irgendwie nicht erwartet.

Die Ausstellung "Die Suche" in Dresden fand ich übrigens hervorragend. Einerseits war es ein Riesenspass, mal überall Türen öffnen und reinspingsen zu dürfen und dadurch selbst zu entdecken. Das hat den Leuten offensichtlich einen Riesenspass gemacht und ich habe dort haufenweise Kinder gesehen, die mal vom Museumsbesuch nicht die Bohne gelangweilt waren, sondern im Gegenteil mit Feuereifer dabei. Der Knackpunkt an der Ausstellung war aber meiner Ansicht nach, dass die Ausstellungsstücke durch die ungewöhnliche Präsentation in den Kontext ihres Gebrauchs im täglichen Leben gestellt wurden und vielen Leuten dadurch erst ganz konkret der Gebrauch klar wurde. Es wurde eine persönliche Nähe zur Geschichte geschaffen. Man hat förmlich gesehen, wie bei vielen der Aha-Effekt eintrat und wie die Leute merkten, dass die Leute vor 300 oder 1000 oder 10000 Jahren auch nicht sooooooo viel anders waren als wir und dass die Vorzeit ganz und gar nicht primitiv war. Wie gesagt, ich habe selten so interessierte Kinder (und auch Erwachsene) erlebt.

Die Präsentation in Halle lässt mich von dem, was man auf den Bildern sieht, nicht Ähnliches erwarten. Die Präsentation wirkt zu kühl und schafft zuviel Entfernung. Es ist zu sehr moderne Kunst-Präsentation. Sieht erst mal cool aus, aber man geht (als normaler Besucher ohne Spezialinteressen) schnell vorbei. Ich werde sie mir allerdings auf jeden Fall noch mal in natura angucken (und ggf. berichten, ob sich meine Meinung geändert hat).
Als Missbrauch würde ich es aber auf keinen Fall bezeichnen. Es ist selten genug, dass man in Museen mal wirklich "Masse" zu sehen bekommt. Die Mengen an Keramik der Lausitzer Kultur, die man in Raddusch zu sehen bekommt, fand ich auch toll. Da ist man endlich auch mal in der Lage, Varianzen zu entdecken, die man gar nicht merkt, wenn nur 3 Exemplare ausgestellt sind.
Bei der Beilwand ist dabei allerdings ein Problem, dass viele Teile zu hoch angebracht sind, als dass man sie genau sehen könnte.

Mal zum Bäumefällen im Neolithikum: Kennt jemand von Euch "Tree-Felling in Draved"? Autor fällt mit gerade nicht ein, es ist ein Däne.
Wenn ihr es kennt, was haltet ihr von dem Versuch? Können wir auch gerne in einem separaten Thread besprechen.

Verfasst: 26.05.2008 17:46
von R. Schumann
Steve, die Wand in der ASS verfälscht auch, weil die kleinen Inventare da auch nicht präsentiert werden, sondern auch nur eine Auswahl großer und schöner Inventare, die sich präsentieren lassen

aber die Wand in der ASS ist eigentlich ein andres thema, sorry ;)

Verfasst: 26.05.2008 17:53
von Nils B.
Was mich etwas stört ist die eingearbeitete Botschaft vom Neolithiker als wild durch die Gegend rodendem Forst-Berserker, welche - zumindest durch die, von Turms eingestellte Stellungsnahme - vermittelt wird.
Das sieht mir stark nach einer überspitzten 'Aktualisierung' aus, von wegen: 'Kannste mal seh'n, hat der Mensch schon damals mit'm Klimawandel angefangen'. Diese Instrumentalisierung vorgeschichtlicher Artefakte könnte man eventuell als Mißbrauch werten, sollte denn meine Interpretation nicht allzu weit hergeholt sein.
Ansonsten bin ich, aufgrund meiner Interessenlagerung, in diesen Sachen eher Minimalist. In einer Ausstellung zählen für mich die Funde, möglichst nüchtern, übersichtlich und transparent präsentiert.
Mit einer solchen Show kann man halt vielleicht mehr zahlende Kundschaft anlocken, für welche der 'Event' mehr oder mindestens genauso viel zählt, wie der Inhalt.
Definitiv nicht mein Ding.

Verfasst: 26.05.2008 19:23
von C. Koepfer
Moderne Kunst soll ja auch primär immer zum Diskurs anregen. Hier sehr gut gelungen, würde ich sagen. :) Daß just dieser Diskurs hier intendiert war, ist sicherlich eher unwahrscheinlich, aber ich find?s trotzdem toll. :wink:

Mein Senf: Ob man solche Funde jetzt in einer Einzelvitrine mit besonderem Schlaglicht vor dunklem Hintergrund mit viel historischer Aura, oder aber eben in Form eines modernen Kunstwerks präsentiert, ist eigentlich kaum anders - IMO ist jede Form der Ausstellung zwangsweise auch Vermittlung von Zusätzlichem - Warum nicht auch Kunst?

Verfasst: 26.05.2008 20:48
von ulfr
Claudia hat geschrieben: Kennt jemand von Euch "Tree-Felling in Draved"?
Svend J(dänisch ö)rgensen hats 1985 geschrieben, die Versuche waren aber schon 1952-54. Ähnliche Versuche, allerdings nicht in diesem Ausmaß, hat es auch in Deutschland gegeben, im Hambacher Forst (?finds grad ned), und einzelne Baumfällungen, dokumentiert in den ExpArch-Bilanzen. Kein Problem, Bäume mit Steinbeilen zu fällen, aber wirkliche totale Rodungen größerer Gebiete könnte ich mir eher durch Brandrodungen vorstellen, da ist der Arbeitsaufwand denn doch zu groß, ebenso der Verbrauch an (Flint)Beilen, und deren Herstellung ist bekanntlich so schwierig wie mühsam, meine Lendenwirbel und Handgelenke können da mehrstrophige Lieder von singen.

Mein Ding ist diese Inszenierung auch nicht, vor allem, weil die Funde nur noch schwer zugänglich sind (s.o.), allerdings finde ich es noch schlimmer, Äxte und Beile aus dem Magazin für moderne "exparch"-Holzarbeiten zu ver(sch)wenden, soll auch schon vorgekommen sein.... :shock: :evil:

ULFR

Verfasst: 26.05.2008 21:40
von Hans T.
Nun....wenn all die Beile wirklich ordentlich publiziert sind und man zudem auch einen ordentlichen Katalog kaufen könnte....dann hätte ich auch keineswegs etwas gegen eine 'moderne' Präsentation. Ich finde sie sogar gelungen. Und eine Hineininterpretation von irgendeiner Beteutung...sowas ist einfach immer nur Ansichtssache.

Aber ich befürchte fast, dass weder eine saubere Publikation noch ein Katalog vorliegt und somit ist meine Eingangsvoraussetzung möglicherweise gar nicht erfüllt.

@ulfr: Oje, Sachen gibts. Wobei...unsere neolithischen Rekonstruktionen, insbesondere die Beile...sind auch 'echte'. Eine Sammlung, die um 1900 ins Museum kam und deren Herkunft einzelner Objekte völlig unklar ist, dient dabei als Quelle. Allerdings 'verarbeiten' werden wir die nicht. Höchstens wird im Jahr 5061 bei der nächsten Neubearbeitung die 14C-Analyse des anhaftenden Birkenpechs dazu führen, dass die Geschichte der Plastikbecher-Kultur des beginnenden 21. Jhd. neu geschrieben werden muss....

H.

Verfasst: 26.05.2008 21:41
von Ragnar
Die Wand sieht toll aus.
Welches Bild sieht der Normalbürger, wenn man Ihm etwas von der Steinzeit
erzählt? Eine Gruppe von felltragenden "Affen", die nächste Sippe ist kilometerweit entfernt. Massen von Tieren, die über eine Steppe galoppieren
und sonst nichts. Eine dunkle Höhle als Behausung, vielleicht auch eine Blätterhütte. Aber wie sah es wirklich aus?
Hier haben "richtige" Menschen gelebt! OK, sie hatten kein Metal, aber ansonsten war es nicht viel anders als heute. Die haben nicht nur mal einen Baum gefällt, um sich vielleicht einen Einbaum daraus zu machen, oder etwas ähnlich Spektakuläres. Sie haben das Holz auch für einfachere Dinge gebraucht, weil man mit einem Steinbeil genauso Bäume fällen kann, wie mit einer Stahlaxt. Dauert halt nur etwas länger.
Sie haben in richtigen Dörfern gelebt, gearbeitet, geliebt, gelacht, geweint.
Das Bild von den "Affen" kriegst du nicht aus den Köpfen, wenn du ein eizelnes Steinbeil, in einer schönen Vitrine, gut ausgeleuchtet präsentierst.
Mit der Himmelsscheibe im Hintergrund, genial!

Erst einmal herzlichen Dank ...

Verfasst: 27.05.2008 06:48
von Turms Kreutzfeldt
Ich danke erst einmal für die sachliche und anregende Diskussion, die mir viel zum Nachdenken gegeben hat. Leider ist eine ähnlich sachliche Diskussion mit den eigentlichen Beteiligten nicht möglich.
Ja, die Ausstellung ist cool und damit ist eigentlich alles gesagt. Von diesem Landesamt war nichts anderes zu erwarten.

Verfasst: 27.05.2008 07:14
von C. Koepfer
OK, sie hatten kein Metal,
http://de.youtube.com/watch?v=N_UGFLT0VMY
Wie ham die des bloß ausgehalten, damals...
:mammut2:

Verfasst: 27.05.2008 09:53
von ulfr
Im Prinzip hast Du Recht, Ragnar, dieses verfestigte Bild versuchen wir ja schon seit Jahr(zehnt)en aufzubrechen. Aber wenn das nicht mit einem gut ausgeleuchteten Steinbeil gelingt, dann auch nicht mit 3600 gut ausgeleuchteten Steinbeilen. Auch hier wird der Betrachter/Besucher mit einer Inszenierung allein gelassen, die zwar ohne Frage künstlerisch ansprechend ist, aber ohne (Vor)Information kann er sich zu diesem Monumentalbild alles mögliche denken. Und die Halbwertszeit solcher Inszenierungen wird doch immer kürzer, mit jedem neuen Fund müssen wir uns von überkommenen Vorstellungen verabschieden, mal mehr, mal weniger. Vielleicht waren mehr als die Hälfte dieser Steingeräte gar nicht für die Holzbearbeitung bestimmt, sondern Waffen, Statussymbole, Zahlungsmittel... ? Die Erfahrung zeigt, dass der "Normal"besucher am ehesten etwas versteht, wenn er es gezeigt bekommt, am besten sogar selbst Hand anlegen darf, wie Konfuzius schon vor langer Zeit geschrieben hat. Deswegen stimme ich einer Inszenierung wie in Dresden (die ich leider selbst nicht gesehen habe) viel eher zu. Und wenn dann noch auf dem Museumshof ein Baum mit (bitte gerne rekonstruiertem) Steinwerkzeug zerlegt wird und diese Aktion entsprechend erklärend begleitet wird, verflüchtigt sich das Bild von grunzenden keulenschwingenden Dumpfbacken am schnellsten.

ULFR