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Re: Handwerk in der Steinzeit ...

Verfasst: 13.03.2018 11:04
von Sculpteur
Wenn ich mal immer wüsste, was ich in welcher Doku gesehen habe:
Es gibt bestimmte Dschungelvölker, die bauen als Gemeinschaft in Eigenleistung alle paar Jahre Häuser für ganze Familien - inklusive Haustieren - in lichten Höhen zwischen die dünnen Wipfel mehrerer Bäume. Sämtliche Materialien werden kletternd hinauf transportiert. :shock:

Zu AxtimWaldes Argumentation: Es stimmt sicherlich. Viel von einem Breitbandwissen verkümmert heutzutage regelrecht, weil die Notwendigkeit dafür nicht mehr in allen Fällen besteht. Das ist tatsächlich auch ein Wohlstandsphänomen. Unsere Gesellschaften sind es ja gewohnt, mit Baumärkten und Handwerkern zu leben. Darum gibt es in Wohlstandsgesellschaften heutzutage ja auch Kinder, die nicht Wissen, dass Milch nicht im Supermarktregal entsteht.

Auf der gesamten Isle of Wight (das ist allerdings schon 25 Jahre her) gab es laut eigener Aussage nur einen einzigen Experten für Lehmflechtwerk. Und das auch wohl nur, weil er - wenn ich mich richtig erinnere - Schlossbesitzer und damit genötigt war, sehr viele Sanierungsarbeiten selbst zu bewerkstelligen und möglicherweise keinen anderen Experten finden konnte. Not macht erfinderisch.

Lange Entwicklungszeiten für Bauwerke waren in der Frühzeit sicherlich auch dem Trial-and-Error-Prinzip geschuldet.

Die Unterscheidung zwischen Handwerk und Hauswerk finde ich nach wie vor irreführend, aber da würde es ja um eine semantische Grundsatzdiskussion gehen, die wenig Sinn macht.
Handarbeit z.B. ist ja auch "Handwerk" im Sinne des Tuns. Die Verwendung des Begriffes "Handwerk" bezieht sich aber heutzutage (und seit erster, früher Definitionsunterscheidung) wohl vor allem auf die Unterscheidung zwischen gewerblicher und nichtgewerblicher Tätigkeit. Das aber wirkt nach Begriffsdefinition wiederum absurd, weil demnach auch Hauswerk eine gewerbliche Ausrichtung haben kann.

Ganz zu schweigen von dem heutigen Begriffswirrwarr, weil auch ein Kunsthandwerker in einem künstlerischen Beruf tätig sein kann und deshalb per Definition keine gewerbliche, sondern eine freiberufliche Tätigkeit ausübt.

Bei den neuzeitlicheren "Tüödden" in Westfalen war es z.B. wohl so, dass die Frauen zuhause Leinen hergestellt haben (also Hauswerk?), die Männer als wandernde Händler den Leinen aber in die weite Umgebung vertrieben und gehandelt haben. Nach der Grundlage, dass z.B. Handarbeit mit weitem Verbreitungsfeld gehandelt wurde, wären die Tüöddenfrauen für mich von der Definitionsgrundlage her Handwerkerinnen gewesen.

Gleiches Argument für den Bergmann, der im Erzgebirge im Winter vor einigen Jahrhunderten hauchdünne Seidenschals zuhause geklöppelt, oder gemeinsam mit der Familie traditionellen Weihnachtsschmuck hergestellt hat, um seine "Hauswerkprodukte" zu verkaufen.

Welches ist denn das ausschlaggebendste Argument für Handwerk in der Abgrenzung zum Hauswerk?

HG, Sculpteur


HG, Sculpteur

Re: Handwerk in der Steinzeit ...

Verfasst: 13.03.2018 15:38
von AxtimWalde
Lieber Sculpteur,
ich glaube, dass ich deine Verwirrung begreife, da du andere Prämissen setzt. Es ist schön von Ulfr, dass er Literatur genannt hat, die ich hätte nicht nennen können. Ich erinnere mich nur an die stundenlangen Diskussionen bei unseren konsperativen Studententreffen, bei denen dieses Thema im Mittelpunkt stand. Ich glaube, dass wir mit den Begriffen "Hauswerk" und "Handwerk" unterschiedliche Wirtschaftsweisen speziell in der Prähistorie abgrenzen wollten. Zugegeben verschmelzen sich diese Wirtschaftsformen! Was auch logisch ist, da m. E. das Handwerk sich aus dem Hauswerk entwickelte. Die Definition bei Wiki für Hauswerk halte ich nicht komplett für stimmig!! Als Hauswerk sollte die Produktion von Gütern erachtet werden, die in einer Haus-, Dorf- oder Kleinregionalen Gemeinschaft hergestellt werden, um autark zu leben. Die Tätigkeiten der tallentierten Personen sollten auch nur einen Teil Ihrer Gesamtarbeitszeit in Anspruch nehmen, so dass sie auch weiterhin für allgemeine Arbeitsprozesse der Gruppe zur Verfügung steht.
Im Gegensatz steht der Handwerker, der den größten Teil seiner Zeit damit verbringt seiner Spezialisierung nachzugehen (siehe Post von Blattspitze oben).
Die Gewerblichkeit der einzelnen Bereiche ist sekundär.
Vielmehr geht es darum, dass ein Hauswerker seinen Lebensunterhalt sowohl durch seine spezialisierte Arbeit als auch der allgemeinen Arbeit in seiner Gruppe sichert. Der Handwerker nur durch seine spezialisierte Arbeit.
Bleiben wir einmal bei Blattspitzes Post:
Blattspitze hat geschrieben:Fällt bereits die Inuit-Frau, die fantastisch gemachte Haut- und Fellkleidung nach komplexen Schnittmustern herstellt und die dafür über ein extremes Maß an Wissen und Können verfügt, darunter? {handwekkliche Spezialisierung}
Ich denke nein, da diese Inuit-Frauen sicherlich noch wesentlich mehr Aufgaben in der Gruppe bewältigen müssen, als Kleidung her zu stellen, was aber wohl einen erheblichen Zeitaufwand darstellt. Entsprechend handelt es sich hier um Hauswerk! Dass das Produkt dennoch von hoher handwerkicher Kunst zeugt erscheint begrifflich wirklich irre führend. Aber die handwekliche Qualität weist nicht auf den Ursprung Hauswer / Handwerk hin, sondern will nur vermitteln, dass dieses Produkt neben dem hohen Können eben nicht aus mechanissierter oder automatisierte Produktion stammt.
Entsprechend darf man für die frühen Kulturen eher die Wirtschaftsform des Hauswerks annehmen. Erst nach dem die Bevölkerungsdichte zunahm, und die Begehlrlichkeiten stiegen, konnten Spezialisten ihr Lebensunterhalt durch ihre Arbeit bestreiten.
In späteren Zeiten reichte das erlernte Handwerk z. T. nicht mehr hierfür aus, so dass "Nebentätigkeiten" (Hauswerk) angenommen werden mussten. Ähnlich deiner Beispiele.
LG
Kai

Re: Handwerk in der Steinzeit ...

Verfasst: 13.03.2018 20:48
von Sculpteur
Lieber AxtimWalde,

vielen Dank für Deine interessante und informative Antwort! :)

Vierlleicht gehe ich zu handwerks-vorgeprägt und verkopft an die Sache heran. Wie vertrackt die Abgrenzung zwischen Hauswerk und Handwerk aber sein kann, zeigt vielleicht ein Beispiel aus dem Mittelalter, über den Orden der Zisterzienser:

Einerseits wurden Laienbrüder benötigt, um die notwendige Arbeit (z.B. Landwirtschaft) zu bewerkstelligen, um höhergestellte Ordensmitglieder für ihre spezialisierten Tätigkeiten freizuhalten, andererseits war das Credo der Zisterzienser, "von der eigenen Hände Arbeit zu leben" (ein Credo, das den Zisterziensern laut Quelle teilweise durchaus abhanden gekommen war).

Gerade dadurch - und durch die prädestinierte Situation, Ordensgemeinschaft zu sein, die quasi alles selber macht, entstand Spezialisierung und Fachwissen, dass z.B. im Bereich des Baumeistertums und der Architektur (und nicht nur dort) stark innovative Wirkung auf die gesamte Entstehung, Erweiterung - und nach meiner unmaßgeblichen Meinung - Charakterisierung des Handwerks hatte, dass im Hochmittelalter u.a. z.B. in den Zünften und Bauhütten gipfelte.

Das interessante aber ist, dass etwa die Kunst des Kirch- und Kathedralbaus, also neben anderen die Kunst der Maurer, Steinschneider, Steinbrecher, Steinmetzen und Steinbildhauer, Zimmerleute... - maßgeblich in den Klöstern des frühen Mittelalters geprägt wurde. Gerade WEIL eine Mischung aus Lebensunterhalt aus eigener Hände Arbeit und einem geschützten Rahmen der Selbstentfaltung ("in Demut vor Gott und dem Glauben") existierte, generierte sich aus der Tatsache, dass alle miteinander für alles verantwortlich waren, in manchen Fällen möglicherweise hochgradige Spezialisierung...

Ich kann aber Sinn und Zweck der von Euch formulierten Abgrenzung nun nachvollziehen und alles andere wäre Haarspalterei. Dennoch frage ich mich, ob es nicht bessere Begrifflichkeiten gäbe, um das zu formulieren, worum es Euch geht. Wie gesagt: Die Missverständnisse sind meines Erachtens quasi vorprogrammiert. Aber vielleicht bin ich ja was das angeht als Handwerksmeister auch betriesbblind...

Seite „Zisterzienser“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17. Februar 2018, 12:44 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?ti ... =174109588 (Abgerufen: 13. März 2018, 19:31 UTC)
:mammut2:

Grüße,
Sculpteur