Fernsehsendung zu Skythenbogen
Verfasst: 02.04.2008 13:31
Es ist doch immer wieder schön zu sehen, daß Mitglieder dieses Forums an der "vordersten Front" archäologischer Forschung vertreten sind.
Aus der BZ vom 1.3.2008
Bogenbauexperte Michael Bittl aus Neuenweg in Sibirien
Neuenweg. Für Bogenbauexperte Michael Bittl war es ein Schuss ins Schwarze: Zusammen mit hochrangigen Archäologen durfte er Anfang Februar im sibirischen Novosibirsk einen spektakulären, fast 2500 Jahre alten Grabfund analysieren ? den gut erhaltenen Bogen eines sykthischen Kriegers. Für das Grab und für Bittls Erkenntnisse interessieren sich jetzt Archäologen, Bogenforscher - und das ZDF.
Minus 29 Grad und Schnee so weit das Auge reicht. Sibirien zeigte Michael Bittl zu Beginn die kalte Schulter. Und doch wurde es dem Bogenbauexperten warm ums Herz. Durfte er doch etwas sehen, worauf Bogenbauforscher schon lange gespannt gewartet haben: ein gut erhaltenes Exemplar eines Skythenbogens. Das legendäre Reitervolk aus den asiatischen Steppen fasziniert derzeit die Forschung ? und auch die Öffentlichkeit. Vorläufiger Höhepunkt war vergangenes Jahr die große Ausstellung "Im Zeichen des Goldenen Greifen" in Berlin. Auch Bittl war an ihr beteiligt. Für die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) hatte der Bogenbau-Experte schon so manches Mysterium geknackt und Bögen nachgebaut. Bögen, von denen nur anhand von Berichten und/oder Abbildungen bekannt ist, dass es sie gegeben haben könnte. Nach diversen griechischen Projekten bekam er von den Forschern im Vorfeld der Ausstellung den Auftrag, einen Skythenbogen nachzubauen. Eine echte Herausforderung. Existierte bis dahin doch kein einziges Original-Exemplar. Zumindest keines, das für Rekonstrukteure zugänglich gewesen wäre. Bittl: "In China gibt es zwar einen gut erhaltenen Bogen ? aber der wird komplett unter Verschluss gehalten. Die Chinesen geben absolut nichts preis." So musste sich Bittl ? wieder einmal ? selbst behelfen. Welches Holz haben die Skythen verwendet? Wie kam die eigentümliche, in Schwüngen gebogene Form zustande? Warum waren die Wurfarme so stark gewölbt und wie kam dies zustande? Bestand der Bogen aus einem Stück oder waren es verschiedene verleimte Schichten? Bittl recherchierte. Experimentierte. Und lieferte den Forschern schließlich Bögen, von denen er überzeugt war, dass sie dicht dran an den Originalen waren. Allein: "Gewissheit hat man natürlich nicht." Umso neugieriger wurden er und die Forscher ? besonders der Düsseldorfer Professor Godehardt, Mitglied der DFG ? als sie von einem spektakulären Fund in Sibirien hörten. Seit wenigen Jahren sind hier deutsche und russische Archäologen dem kaum erforschten Skythen-Volk auf der Spur. Kommen doch im sibirisch-mongolischen Altai-Gebirge nach und nach unzählige Gräber zum Vorschein. Hier, in der unzugänglichen Gebirgsregion in 2600 Metern Höhe im Dreiländereck Mongolei, China und Russland, taut wegen des Klimawandels der Permafrostboden allmählich auf. Gräber drücken an die Oberfläche, geben den Blick frei auf Schätze, die jahrtausendelang im Eis konserviert waren. Vom sibirischen Tal der Könige ist bereits die Rede.
Ende Juli 2006 gelang einem internationalen Team um Professor Hermann Parzinger (Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts) ein Sensationsfund. Entdeckt wurde das intakte Grab eines skythischen Reiterkriegers aus dem 4./3. Jahrhundert vor Christus. Etwa 2500 Jahre hatte er im ewigen Eis überstanden. Er trug noch einen prächtigen Pelzmantel und einen vergoldeten Kopfschmuck. Doch was vor allem für Bittl interessant ist: Im Grab befanden sich auch sehr gut erhaltene Teile eines Bogens. Parzinger und sein russischer Partner, Professor Molodin, Vize-Präsident der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk, luden Godehardt und Bittl ein, nach Sibirien zu reisen und sich die Funde anzuschauen. Und sie, wenn möglich, einzuordnen. Auch Bittls ältere Tochter Anna war mit dabei. Sie studiert unter anderem Ethnologie und ließ sich diese Chance nicht entgehen. Los ging?s am 1. Februar. Nicht unbedingt die beste Zeit für eine Sibirien-Reise. Doch die Zeit drängt. Ende September müssen die Funde untersucht sein. Dann will sie die Mongolei haben. Die Mongolen sehen sich als rechtmäßige Nachfolger der Skythen und beanspruchen die Grabinhalte für sich. Erfahrungsgemäß aber sind die Funde für Forscher kaum oder gar nicht mehr zugänglich, sind sie erst jenseits der russischen Grenze. Was Bittl zu Gesicht bekam, übertraf alle Erwartungen. "Der Fund ist für Bogenbauer ein echter Glückstreffer, das Nonplusultra" , erklärt er. Größe, Konstruktion, Machart ? all diese Geheimnisse gaben die Teile preis. Für Bittl waren sie Erkenntnis und Bestätigung zugleich. Bestätigung, dass seine Rekonstruktionen ganz dicht dran waren. Erkenntnis, weil er in Details ? etwa wie die Leisten angeordnet wurden ? doch noch Neues entdecken konnte. Vor allem aber ist er nun mehr denn je von den technisch-handwerklichen Fähigkeiten der Skythen beeindruckt. So haben sie tatsächlich ? wie Bittl vermutete ? die spezielle Bogenform dadurch hinbekommen, dass sie das frisch geschlagene Holz in vorgefertigte Formen pressten. Die Rundungen wiederum hatten einen praktischen Gedanken. "Die Skythen waren Reiter ? und da waren lange Bögen unpraktisch. Durch die Wölbungen wurde der Bogen kürzer und damit handlicher." Statt 1,20 Meter maß er gerade noch etwas um die 75 Zentimeter. Selbst über das Material, mit dem der Bogen vor Nässe geschützt wurde, weiß Bittl jetzt Bescheid. "Das war eindeutig Birke." Beeindruckt ist Bittl auch von den Pfeilen. "Die liefen sowohl hinten und vorne schmal zusammen ? aerodynamisch perfekt. Besser geht es nicht. Das ist höchste Bogenbaukunst."
Finanziert wurde die Reise von der Gerda-Henkel-Stiftung ? wobei Bittl auch gleich von ihr einen neuen Auftrag bekam. Anhand der Erkenntnisse in Novosibirsk soll er erneut drei Bögen rekonstruieren. Zurück in Vorderheubronn, wo der vormalige Schopfheimer seit einem Jahr lebt und auch seine Werkstatt hat, machte er sich gleich ans Werk. Die Bogenleisten sind bereits angefertigt, ebenso die Formen, in denen er das Holz zurechtformen wird. Für diese Arbeit interessieren sich außer Bogenbauexperten und Archäologen übrigens auch das ZDF. Die Dokumentationsreihe "Schliemanns Erben" widmete schon einmal eine Sendung der Skythen-Forschung. Wegen der neuen Erkenntnisse ist jetzt eine weitere Sondersendung in der Mache. Am Donnerstag war ein Kamerateam bei Bittl zu Besuch und filmte ihn bei der Arbeit. Mit der wird er etwa im April fertig sein. "Zwei Bögen werden im Auftrag der Gerda-Henkel-Stiftung intensiv ausgetestet ? der dritte wird nach Sibirien gehen. Dann haben die Forscher dort wenigstens ein Duplikat."
Die Spezial-Sendung "Schliemanns Erben" zu den neuen Skythen-Funden wird voraussichtlich am 20. April um 19.30 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
André Hönig , 1.3.2008, BZ
Aus der BZ vom 1.3.2008
Bogenbauexperte Michael Bittl aus Neuenweg in Sibirien
Neuenweg. Für Bogenbauexperte Michael Bittl war es ein Schuss ins Schwarze: Zusammen mit hochrangigen Archäologen durfte er Anfang Februar im sibirischen Novosibirsk einen spektakulären, fast 2500 Jahre alten Grabfund analysieren ? den gut erhaltenen Bogen eines sykthischen Kriegers. Für das Grab und für Bittls Erkenntnisse interessieren sich jetzt Archäologen, Bogenforscher - und das ZDF.
Minus 29 Grad und Schnee so weit das Auge reicht. Sibirien zeigte Michael Bittl zu Beginn die kalte Schulter. Und doch wurde es dem Bogenbauexperten warm ums Herz. Durfte er doch etwas sehen, worauf Bogenbauforscher schon lange gespannt gewartet haben: ein gut erhaltenes Exemplar eines Skythenbogens. Das legendäre Reitervolk aus den asiatischen Steppen fasziniert derzeit die Forschung ? und auch die Öffentlichkeit. Vorläufiger Höhepunkt war vergangenes Jahr die große Ausstellung "Im Zeichen des Goldenen Greifen" in Berlin. Auch Bittl war an ihr beteiligt. Für die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) hatte der Bogenbau-Experte schon so manches Mysterium geknackt und Bögen nachgebaut. Bögen, von denen nur anhand von Berichten und/oder Abbildungen bekannt ist, dass es sie gegeben haben könnte. Nach diversen griechischen Projekten bekam er von den Forschern im Vorfeld der Ausstellung den Auftrag, einen Skythenbogen nachzubauen. Eine echte Herausforderung. Existierte bis dahin doch kein einziges Original-Exemplar. Zumindest keines, das für Rekonstrukteure zugänglich gewesen wäre. Bittl: "In China gibt es zwar einen gut erhaltenen Bogen ? aber der wird komplett unter Verschluss gehalten. Die Chinesen geben absolut nichts preis." So musste sich Bittl ? wieder einmal ? selbst behelfen. Welches Holz haben die Skythen verwendet? Wie kam die eigentümliche, in Schwüngen gebogene Form zustande? Warum waren die Wurfarme so stark gewölbt und wie kam dies zustande? Bestand der Bogen aus einem Stück oder waren es verschiedene verleimte Schichten? Bittl recherchierte. Experimentierte. Und lieferte den Forschern schließlich Bögen, von denen er überzeugt war, dass sie dicht dran an den Originalen waren. Allein: "Gewissheit hat man natürlich nicht." Umso neugieriger wurden er und die Forscher ? besonders der Düsseldorfer Professor Godehardt, Mitglied der DFG ? als sie von einem spektakulären Fund in Sibirien hörten. Seit wenigen Jahren sind hier deutsche und russische Archäologen dem kaum erforschten Skythen-Volk auf der Spur. Kommen doch im sibirisch-mongolischen Altai-Gebirge nach und nach unzählige Gräber zum Vorschein. Hier, in der unzugänglichen Gebirgsregion in 2600 Metern Höhe im Dreiländereck Mongolei, China und Russland, taut wegen des Klimawandels der Permafrostboden allmählich auf. Gräber drücken an die Oberfläche, geben den Blick frei auf Schätze, die jahrtausendelang im Eis konserviert waren. Vom sibirischen Tal der Könige ist bereits die Rede.
Ende Juli 2006 gelang einem internationalen Team um Professor Hermann Parzinger (Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts) ein Sensationsfund. Entdeckt wurde das intakte Grab eines skythischen Reiterkriegers aus dem 4./3. Jahrhundert vor Christus. Etwa 2500 Jahre hatte er im ewigen Eis überstanden. Er trug noch einen prächtigen Pelzmantel und einen vergoldeten Kopfschmuck. Doch was vor allem für Bittl interessant ist: Im Grab befanden sich auch sehr gut erhaltene Teile eines Bogens. Parzinger und sein russischer Partner, Professor Molodin, Vize-Präsident der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk, luden Godehardt und Bittl ein, nach Sibirien zu reisen und sich die Funde anzuschauen. Und sie, wenn möglich, einzuordnen. Auch Bittls ältere Tochter Anna war mit dabei. Sie studiert unter anderem Ethnologie und ließ sich diese Chance nicht entgehen. Los ging?s am 1. Februar. Nicht unbedingt die beste Zeit für eine Sibirien-Reise. Doch die Zeit drängt. Ende September müssen die Funde untersucht sein. Dann will sie die Mongolei haben. Die Mongolen sehen sich als rechtmäßige Nachfolger der Skythen und beanspruchen die Grabinhalte für sich. Erfahrungsgemäß aber sind die Funde für Forscher kaum oder gar nicht mehr zugänglich, sind sie erst jenseits der russischen Grenze. Was Bittl zu Gesicht bekam, übertraf alle Erwartungen. "Der Fund ist für Bogenbauer ein echter Glückstreffer, das Nonplusultra" , erklärt er. Größe, Konstruktion, Machart ? all diese Geheimnisse gaben die Teile preis. Für Bittl waren sie Erkenntnis und Bestätigung zugleich. Bestätigung, dass seine Rekonstruktionen ganz dicht dran waren. Erkenntnis, weil er in Details ? etwa wie die Leisten angeordnet wurden ? doch noch Neues entdecken konnte. Vor allem aber ist er nun mehr denn je von den technisch-handwerklichen Fähigkeiten der Skythen beeindruckt. So haben sie tatsächlich ? wie Bittl vermutete ? die spezielle Bogenform dadurch hinbekommen, dass sie das frisch geschlagene Holz in vorgefertigte Formen pressten. Die Rundungen wiederum hatten einen praktischen Gedanken. "Die Skythen waren Reiter ? und da waren lange Bögen unpraktisch. Durch die Wölbungen wurde der Bogen kürzer und damit handlicher." Statt 1,20 Meter maß er gerade noch etwas um die 75 Zentimeter. Selbst über das Material, mit dem der Bogen vor Nässe geschützt wurde, weiß Bittl jetzt Bescheid. "Das war eindeutig Birke." Beeindruckt ist Bittl auch von den Pfeilen. "Die liefen sowohl hinten und vorne schmal zusammen ? aerodynamisch perfekt. Besser geht es nicht. Das ist höchste Bogenbaukunst."
Finanziert wurde die Reise von der Gerda-Henkel-Stiftung ? wobei Bittl auch gleich von ihr einen neuen Auftrag bekam. Anhand der Erkenntnisse in Novosibirsk soll er erneut drei Bögen rekonstruieren. Zurück in Vorderheubronn, wo der vormalige Schopfheimer seit einem Jahr lebt und auch seine Werkstatt hat, machte er sich gleich ans Werk. Die Bogenleisten sind bereits angefertigt, ebenso die Formen, in denen er das Holz zurechtformen wird. Für diese Arbeit interessieren sich außer Bogenbauexperten und Archäologen übrigens auch das ZDF. Die Dokumentationsreihe "Schliemanns Erben" widmete schon einmal eine Sendung der Skythen-Forschung. Wegen der neuen Erkenntnisse ist jetzt eine weitere Sondersendung in der Mache. Am Donnerstag war ein Kamerateam bei Bittl zu Besuch und filmte ihn bei der Arbeit. Mit der wird er etwa im April fertig sein. "Zwei Bögen werden im Auftrag der Gerda-Henkel-Stiftung intensiv ausgetestet ? der dritte wird nach Sibirien gehen. Dann haben die Forscher dort wenigstens ein Duplikat."
Die Spezial-Sendung "Schliemanns Erben" zu den neuen Skythen-Funden wird voraussichtlich am 20. April um 19.30 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
André Hönig , 1.3.2008, BZ