Archäologischer Kriminalfall Eulau
Verfasst: 03.09.2010 12:09
Neu auf dem Büchertisch:
Harald Meller et.al.:
Tatort Eulau.
Theiss, August 2010.
€ 22,90
Ich denke, viele haben den dazugehörigen Terra X Beitrag im TV gesehen und sind entsprechend skeptisch.
Um was geht´s ?
In der Nähe von Naumburg, im Ort Eulau, nördlich der Saale-Schleife findet seit Jahren Kiesabbau statt. Da Luftbilder und Einzelfunde arch. Be-Funde voraussagten, wird dort im Voraus gegraben.
Befund auf der hochwassersicheren Terrasse: Zwei oder drei noch erkennbare Neolithische Hausgrundrisse, rund 200 m nördlich davon ein Gräberfeld.
Kultur: Schnurkeramik, 14C pendelt um 2.500 v.Chr.
Funde, neben anderen Gräbern:
Drei Grabgruben, jeweils mit Mehrfachbestattungen, insgesamt 13 Menschen.
Schon alleine aufgrund der Lage der Skelette zueinander, wobei bei den Kindern auffälligerweise von der geschlechtsspezifischen geographischen Ausrichtung abgesehen wurde, ließen von vornherein eine Beziehung der Bestatteten untereinander vermuten.
aDNA (ancient DNA) Proben machten in einer der Grabgruben mit einer Frau, einem Mann und zwei Kindern sicher, dass es sich hierbei um eine Familie handelt. Dies konnte für die anderen Gräber aufgrund der schlechten Erhaltungszustände der Kinderknochen (warum ist Word eigentlich bei diesem Wort nicht irritiert...?) nicht nachgewiesen werden.
Isotopenanalyse der Zähne zeigte weiterhin, dass die Männer offenbar in der Gegend aufgewachsen waren, die Frauen jedoch nicht.
Deren Herkunftsort ist unklar, da es keine flächendeckende Isotopenkartierung für Deutschland gibt.
Die nächste Möglichkeit wäre rund 60 km von Eulau entfernt.
Medizinischer Befund:
Zwei sehr große, sehr kräftige Männer, die jedoch unter körperlichen Einschränkungen litten.
Die Frauen offenbar lange Zeit in Hockhaltung, Abnutzung der Gelenke.
Kinder, soweit die Knochen da Aussagen zulassen, gesund.
Pfeileinschüsse bei einer Frau, zusätzlich Hiebmarkierungen am Schädel.
Bei den Männern Abwehrverletzungen an den Unterarmen.
Pfeilspitzen sind Querschneider.
Erklärung:
Überfall bei Abwesenheit der kampffähigen Bevölkerung. Die beiden Männer litten, wie gesagt unter Bewegungseinschränkung, kämpften jedoch beim Überfall. Sie hatten keine Verletzungen von Fernwaffen, sondern unterlagen offenbar in einem Nahkampf.
Die Pfeilspitzen gehören wohl zur nördlich angesiedelten Schönfelder Kultur.
Sicher entwickelt auch das Buch einige Thesen, die sich nicht belegen lassen. Man merkt auch, dass während des Schreibens der Texte und offenbar auch während der Dreharbeiten noch nicht klar war, wer als Täter in Frage kam. Deshalb auch ein längerer Exkurs über die den Schnurkeramikern benachbarten Glockenbecherleuten und deren Verbreitung.
Trotzdem:
Interessante Lektüre. Lesbar auch für den interessierten Laien. Vielleicht ein wenig unnötig populärer Sprachstil.
Insgesamt ist das Buch aber wohl nicht mit dem Stil des TV-Berichtes zu vergleichen.
Weitere Meinung, mal unter uns Pfarrerstöchtern:
Wir (NHG) habe leider keine Berichte über die aktuelle Archäologie Sachsen-Anhalts in der Bibliothek. Natürlich ist ein Vergleich mit der Faktenlage ausweislich einer normalen Publikation notwendig und sinnvoll.
Andererseits werden die Hauptfakten über das Skelettmaterial und deren medizinischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Aussagemöglichkeiten wohl richtig bekanntgegeben.
Auch die schmalen, recht einfach gestalteten Querschneider dienen wohl zurecht als Indikator einer Beteiligung von Menschen der Schönfelder Kultur. Ebenso zeigen die Hiebwunden die Größe von Schönfelder Beilen und nicht die von Glockenbecher-Äxten.
Auch die Hinzuziehung eines modernen Profilers ist natürlich diskussionswürdig. Allerdings weißt er selbst deutlich darauf hin, dass sich moderne Täterforschung aufgrund der wohl höchst unterschiedlichen Sozialstrukturen nicht einfach übertragen lässt. Allerdings stellt er fest, dass vor allem bei besonders brutalen Taten, in rund 95% der Fälle die Täter aus dem unmittelbaren Umfeld kommen. Erklärung hierfür ist, dass die zu solchen brutalen Taten notwendigen emotionalen Konflikte sich eben allermeist im unmittelbaren Umfeld ergeben. Diese Beobachtung auf die Zeit um 2.500 v.Chr. als Überlegung zu übertragen, halte ich zumindest erstmal für statthaft. Zwingend ist sie natürlich nicht.
Der „Overkill“ der sicher zumindest in einem Fall stattfand, (Zwei Hiebverletzungen, zwei Pfeileinschüsse) gibt allerdings schon zu denken.
Die Isotopenanalyse ist natürlich ein wirklich interessantes modernes Mittel. Zumindest in diesem Fall gelang ja das allererste Mal der Nachweis einer patrilokalen Struktur im Endneolithikum.
Dass weiterreichende Schlüsse, wie z.B. der von ulfr im Thread zur neolithischen Scheibenkeule erwähnte Fall des glockenbecherzeitlichen Amesbury Schützen, der auch im besprochenen Buch als Indiz zur Beteiligung der Glockenbecherkultur am Ausbau von Stonehenge (!) herhalten muss, auch letztlich zu stark ins Spekulative gehen, sei mal der Begeisterung über diese für die Arch. neue Methode geschuldet..
Und, rein akademisch, sagt die Isotopenanalyse ja eigentlich nur, wo die Nahrung des Menschen zur Zeit während und nach der Entwicklung seines zweiten Zahnsatzes herkam.
Ich komme demnach in 4.500 Jahren wohl aus Neuseeland- wegen meiner Vorliebe für Kiwis und Lammfleisch..
Auch die offenbar im TV Bericht unterstellte religiösen Verbindung zu den Ägyptern ist wohl, na ja, nicht zwingend, sondern eher gezwungen. Klar sehen die Schnurkeramiker im Tode nach Süden, dem Mittag entgegen. Aber da gleich mit den Ägyptern....noch dazu, wenn man weiß, dass Echnaton ja eigentlich erst 1000 Jahre später....nun ja. Im Buch wird diese „Egyptian connection“ jedenfalls nicht erwähnt.
Resümee:
Erstmal spannend. Dann interessant. Gute Sachinformation. Der Spagat zwischen Populärer Literatur und wissenschaftlicher Information und darin gebotener Zurückhaltung ist immer schwierig.
Mir ist jedenfalls diese Art der Information für das breite Publikum lieber, als eine wissenschaftliche Abhandlung über die Indikation der Attinger Abrollverzierung für Ha A1 oder A2 in der Festschrift zum 25-jährigen Berufsjubiläum der Bibliotheksverwalterin des Heimatmuseums Kleinschluck im Landkreis Roth.
Gerade der Detailreichtum an Aussagen, die heutzutage über eine solche Bestattung möglich ist, sollte schon erneut für die berechtigten Anliegen einer modernen Arch. werben.
Thomas
Harald Meller et.al.:
Tatort Eulau.
Theiss, August 2010.
€ 22,90
Ich denke, viele haben den dazugehörigen Terra X Beitrag im TV gesehen und sind entsprechend skeptisch.
Um was geht´s ?
In der Nähe von Naumburg, im Ort Eulau, nördlich der Saale-Schleife findet seit Jahren Kiesabbau statt. Da Luftbilder und Einzelfunde arch. Be-Funde voraussagten, wird dort im Voraus gegraben.
Befund auf der hochwassersicheren Terrasse: Zwei oder drei noch erkennbare Neolithische Hausgrundrisse, rund 200 m nördlich davon ein Gräberfeld.
Kultur: Schnurkeramik, 14C pendelt um 2.500 v.Chr.
Funde, neben anderen Gräbern:
Drei Grabgruben, jeweils mit Mehrfachbestattungen, insgesamt 13 Menschen.
Schon alleine aufgrund der Lage der Skelette zueinander, wobei bei den Kindern auffälligerweise von der geschlechtsspezifischen geographischen Ausrichtung abgesehen wurde, ließen von vornherein eine Beziehung der Bestatteten untereinander vermuten.
aDNA (ancient DNA) Proben machten in einer der Grabgruben mit einer Frau, einem Mann und zwei Kindern sicher, dass es sich hierbei um eine Familie handelt. Dies konnte für die anderen Gräber aufgrund der schlechten Erhaltungszustände der Kinderknochen (warum ist Word eigentlich bei diesem Wort nicht irritiert...?) nicht nachgewiesen werden.
Isotopenanalyse der Zähne zeigte weiterhin, dass die Männer offenbar in der Gegend aufgewachsen waren, die Frauen jedoch nicht.
Deren Herkunftsort ist unklar, da es keine flächendeckende Isotopenkartierung für Deutschland gibt.
Die nächste Möglichkeit wäre rund 60 km von Eulau entfernt.
Medizinischer Befund:
Zwei sehr große, sehr kräftige Männer, die jedoch unter körperlichen Einschränkungen litten.
Die Frauen offenbar lange Zeit in Hockhaltung, Abnutzung der Gelenke.
Kinder, soweit die Knochen da Aussagen zulassen, gesund.
Pfeileinschüsse bei einer Frau, zusätzlich Hiebmarkierungen am Schädel.
Bei den Männern Abwehrverletzungen an den Unterarmen.
Pfeilspitzen sind Querschneider.
Erklärung:
Überfall bei Abwesenheit der kampffähigen Bevölkerung. Die beiden Männer litten, wie gesagt unter Bewegungseinschränkung, kämpften jedoch beim Überfall. Sie hatten keine Verletzungen von Fernwaffen, sondern unterlagen offenbar in einem Nahkampf.
Die Pfeilspitzen gehören wohl zur nördlich angesiedelten Schönfelder Kultur.
Sicher entwickelt auch das Buch einige Thesen, die sich nicht belegen lassen. Man merkt auch, dass während des Schreibens der Texte und offenbar auch während der Dreharbeiten noch nicht klar war, wer als Täter in Frage kam. Deshalb auch ein längerer Exkurs über die den Schnurkeramikern benachbarten Glockenbecherleuten und deren Verbreitung.
Trotzdem:
Interessante Lektüre. Lesbar auch für den interessierten Laien. Vielleicht ein wenig unnötig populärer Sprachstil.
Insgesamt ist das Buch aber wohl nicht mit dem Stil des TV-Berichtes zu vergleichen.
Weitere Meinung, mal unter uns Pfarrerstöchtern:
Wir (NHG) habe leider keine Berichte über die aktuelle Archäologie Sachsen-Anhalts in der Bibliothek. Natürlich ist ein Vergleich mit der Faktenlage ausweislich einer normalen Publikation notwendig und sinnvoll.
Andererseits werden die Hauptfakten über das Skelettmaterial und deren medizinischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Aussagemöglichkeiten wohl richtig bekanntgegeben.
Auch die schmalen, recht einfach gestalteten Querschneider dienen wohl zurecht als Indikator einer Beteiligung von Menschen der Schönfelder Kultur. Ebenso zeigen die Hiebwunden die Größe von Schönfelder Beilen und nicht die von Glockenbecher-Äxten.
Auch die Hinzuziehung eines modernen Profilers ist natürlich diskussionswürdig. Allerdings weißt er selbst deutlich darauf hin, dass sich moderne Täterforschung aufgrund der wohl höchst unterschiedlichen Sozialstrukturen nicht einfach übertragen lässt. Allerdings stellt er fest, dass vor allem bei besonders brutalen Taten, in rund 95% der Fälle die Täter aus dem unmittelbaren Umfeld kommen. Erklärung hierfür ist, dass die zu solchen brutalen Taten notwendigen emotionalen Konflikte sich eben allermeist im unmittelbaren Umfeld ergeben. Diese Beobachtung auf die Zeit um 2.500 v.Chr. als Überlegung zu übertragen, halte ich zumindest erstmal für statthaft. Zwingend ist sie natürlich nicht.
Der „Overkill“ der sicher zumindest in einem Fall stattfand, (Zwei Hiebverletzungen, zwei Pfeileinschüsse) gibt allerdings schon zu denken.
Die Isotopenanalyse ist natürlich ein wirklich interessantes modernes Mittel. Zumindest in diesem Fall gelang ja das allererste Mal der Nachweis einer patrilokalen Struktur im Endneolithikum.
Dass weiterreichende Schlüsse, wie z.B. der von ulfr im Thread zur neolithischen Scheibenkeule erwähnte Fall des glockenbecherzeitlichen Amesbury Schützen, der auch im besprochenen Buch als Indiz zur Beteiligung der Glockenbecherkultur am Ausbau von Stonehenge (!) herhalten muss, auch letztlich zu stark ins Spekulative gehen, sei mal der Begeisterung über diese für die Arch. neue Methode geschuldet..
Und, rein akademisch, sagt die Isotopenanalyse ja eigentlich nur, wo die Nahrung des Menschen zur Zeit während und nach der Entwicklung seines zweiten Zahnsatzes herkam.
Ich komme demnach in 4.500 Jahren wohl aus Neuseeland- wegen meiner Vorliebe für Kiwis und Lammfleisch..
Auch die offenbar im TV Bericht unterstellte religiösen Verbindung zu den Ägyptern ist wohl, na ja, nicht zwingend, sondern eher gezwungen. Klar sehen die Schnurkeramiker im Tode nach Süden, dem Mittag entgegen. Aber da gleich mit den Ägyptern....noch dazu, wenn man weiß, dass Echnaton ja eigentlich erst 1000 Jahre später....nun ja. Im Buch wird diese „Egyptian connection“ jedenfalls nicht erwähnt.
Resümee:
Erstmal spannend. Dann interessant. Gute Sachinformation. Der Spagat zwischen Populärer Literatur und wissenschaftlicher Information und darin gebotener Zurückhaltung ist immer schwierig.
Mir ist jedenfalls diese Art der Information für das breite Publikum lieber, als eine wissenschaftliche Abhandlung über die Indikation der Attinger Abrollverzierung für Ha A1 oder A2 in der Festschrift zum 25-jährigen Berufsjubiläum der Bibliotheksverwalterin des Heimatmuseums Kleinschluck im Landkreis Roth.
Gerade der Detailreichtum an Aussagen, die heutzutage über eine solche Bestattung möglich ist, sollte schon erneut für die berechtigten Anliegen einer modernen Arch. werben.
Thomas